Hamburg. Peter Kay, Vorstand der Baugenossenschaft freier Gewerkschafter, über Bürokratie und Gefahren durch Fonds-Gesellschaften.

Das Thema Wohnungen steht für den Senat ganz oben auf der Agenda – kein Wunder, angesichts der dramatisch steigenden Mieten. Viele Hoffnungen ruhen dabei auf den 30 Hamburger Baugenossenschaften, denen 130.000 Wohnungen gehören. Doch der Weg zu Neubauten ist steinig, wie Peter Kay, Vorstand der Baugenossenschaft freier Gewerkschafter (BGFG/über 7300 Wohnungen), berichtet.

Wem gehört Hamburg? Das Logo der Aktion von Correctiv und dem Hamburger Abendblatt
Wem gehört Hamburg? Das Logo der Aktion von Correctiv und dem Hamburger Abendblatt © HA

Herr Kay, in Hamburg sollen nach dem Willen des Senats jedes Jahr 10.000 Wohnungen gebaut werden. Dafür sollen bürokratische Hemmnisse abgebaut werden. Welche Erfahrungen macht Ihre Baugenossenschaft?

Peter Kay : Wir waren für dieses Ziel mit dem Bündnis für Wohnen schon mal auf einem besseren Weg. Inzwischen ist eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Wir haben zwar zig Arbeitsgruppen gebildet, damit man leichter zu Baugenehmigungen kommt. Leider haben an diesen Sitzungen viel zu wenige Politiker teilgenommen. Wir sind nach wie vor in Hamburg in Sachen Bauen völlig überreguliert.

Hier klicken für Details zum Projekt von Correctiv und Abendblatt

Was meinen Sie konkret?

Kay : Jeden Antrag für ein Neubauvorhaben reichen wir in 16-facher Ausfertigung ein …

… per Mail dürfte das ja kein großes Problem sein.

Kay : Vorgeschrieben ist aber die Papierform. Bei größeren Vorhaben bedeutet dies, dass wir 16 Leitz-Ordner an die jeweils zuständige Bauprüfabteilung des zuständigen Bezirksamts schicken. Der Bauprüfer sichtet die Unterlagen und leitet sie dann weiter an die 16 Beteiligten – von der Umweltbehörde bis zum Naturschutzreferat des Bezirks. Leider hat dieser Bauprüfer keine Weisungsbefugnis gegenüber diesen Behörden und Abteilungen. Er kann also nicht als eine Art Verfahrensmanager darauf drängen, dass Änderungen oder Zustimmungen in einer bestimmten Frist kommen.

Dann müssen Sie also warten.

Kay : So ist es. Um nicht missverstanden zu werden: Grundsätzlich ist die Beteiligung von Referaten wie dem Naturschutz gut und wichtig. Zudem sind die für die Bauprüfung zuständigen Behörden personell stark unterbesetzt. Es gibt viel zu wenige Bauingenieure im öffentlichen Dienst. Aber manche Zeitverzögerungen sind schlicht absurd. Bei manchen Neubauvorhaben müssen wir zum Beispiel die Kronen von Bäumen am Grundstück zurückschneiden. Dies ist aber nur in der kalten Jahreszeit erlaubt.

Wir haben erlebt, dass die Erteilung der Baugenehmigung nur noch eine Formsache war, jede Behörde wusste das. Dennoch durften wir die Bäume noch nicht zurückschneiden. Als dann die Baugenehmigung offiziell erteilt wurde, war es zu spät. Dadurch hat sich der Baubeginn wieder um ein halbes Jahr verzögert. Allein für die Umweltverträglichkeits-Prüfung geben wir inzwischen neun bis elf Gutachten in Auftrag, von den Amphibien und Vögeln über die Flora bis zur möglichen Verschattung anderer Gebäude.

Das dürfte auch für erhebliche Kosten sorgen.

Kay : Wir haben früher bei Bauvorhaben für Planungsleistungen und technische Gebühren mit ungefähr zwölf Prozent der Gesamtkosten kalkuliert. Aktuell sind wir bei 20 bis 22 Prozent.

Wie lange dauert es von der ersten Projektidee bis zum Baubeginn?

Kay : Wir rechnen inzwischen mit einer Zeitspanne von ungefähr fünf Jahren. Es kommen ja auch immer wieder Nachforderungen, weil vieles im Ermessensspielraum der Genehmigungsbehörde liegt, zum Beispiel wie man den zweiten Rettungsweg realisiert …

… bei einem Unglück muss es zwei unabhängige Rettungswege aus dem Gebäude geben ….

Kay : ja, da kann es passieren, dass die zuständige Behörde beim Bauantrag eine Fläche ausweist, wo die Feuerwehr das Leiterfahrzeug hinstellen muss, um Bewohner bei einem Brand über die Drehleiter aus dem Gebäude zu retten. Und dann kommt bei der Abnahme der Fachmann der Feuerwehr und sagt, die vorgesehene Fläche passt aber nicht zu unserem Fahrzeug.

Oberbaudirektor Franz-Josef Höing fordert, dass Bauen auch zu einem günstigen Preis möglich sei, um am Ende eine Qua­dratmetermiete von 8 Euro zu erreichen.

Kay : Ich bin da sehr skeptisch, dann müsste man für unter 1500 Euro je Quadratmeter Wohnfläche bauen. Dagegen stehen schon die enormen Grundstückspreise. Wir haben vor fünf Jahren bei Neubauten mit ungefähr 500 Euro je Quadratmeter Wohnfläche kalkuliert. Inzwischen erreichen wir die 1000-Euro-Marke. Bei einem Sechsgeschosser reden wir also von 6000 Euro pro bebautem Quadratmeter. Dieser Preiskampf führt dazu, dass für Grundstücke in guten Lagen von 1000 Quadratmetern, wo das Einfamilienhaus abgerissen werden kann, um ein mehrgeschossiges Gebäude zu bauen, eine Million Euro und mehr gezahlt wird.

Nun stehen Baugenossenschaften für nachhaltiges und soziales Bauen. Werden Sie bei der Vergabe von städtischen Grundstücken bevorzugt?

Kay : Es gibt sogenannte Konzeptwettbewerbe. Wir stecken dann viel Zeit und Geld in die Ausarbeitung dieses Konzepts, nur um dann auf weitere Bewerber zu treffen, die ebenfalls mit ihrem Konzept alle Vorgaben erfüllen. Und am Ende entscheidet trotz allem der Preis darüber, wer das Grundstück bekommt. Diese Praxis der Grundstücksvergabe ist ärgerlich. Vor allem weil wir in hohem Maße öffentlich geförderte Wohnungen bauen. Und die werden dringend gebraucht.

Ich habe oft das Gefühl, dass wir als eine Art Handlanger missbraucht werden. Wir sollen als Genossenschaft dafür sorgen, dass sich Quartiere weiterentwickeln, stehen also in der städtebaulichen Verantwortung. Aber die Grundstücke werden unter Rendite­gesichtspunkten abgegeben. Das muss sich ändern. Wir brauchen die Möglichkeit, städtische Grundstücke günstiger erwerben zu können.

Gibt es denn zumindest Möglichkeiten, das Bauen an sich billiger zu machen?

Kay : Im Gegenteil, die Rahmenbedingungen lassen die Kosten eher noch steigen. Die Vorgaben der neuen Energiesparverordnung zwingen uns zum Beispiel, dass wir Aggregate einbauen müssen, die bei der kontrollierten Be- und Entlüftung die Wärme zurückgewinnen.

Energiesparen senkt aber immerhin die Nebenkosten.

Kay : Unsere Mitglieder sparen durch solche Maßnahmen ungefähr 30 bis 40 Cent pro Quadratmeter. Aber die Aggregate sorgen für deutlich höheren Stromverbrauch. Ein Großteil der eingesparten Heizkosten wird durch höhere Betriebskosten wieder aufgezehrt. Dazu kommen die Wartungskosten für die Filter, die dafür sorgen, dass die angewärmte Luft wieder technisch einwandfrei in das Gebäude eingeblasen wird. Und trotzdem macht jeder das Fenster von Zeit zu Zeit auf. Wir haben das mehrfach genau nachgerechnet: Der schlechteste Wärmestandard hatte am Ende die geringsten Nebenkosten.

Für große Unruhe sorgt eine Einschätzung des Finanzsenators, dass die Grundsteuer sich verzehnfachen könnte, nachdem das Bundesverfassungsgericht die bisherige Praxis gerügt hat. Eine 44 Quadratmeter große Mietwohnung in Eimsbüttel könnte sich dadurch um 104 Euro im Monat verteuern.

Kay : Ich kann nur davor warnen, dieses Pro­blem zu unterschätzen. Aus der Politik heißt es zwar, dass das Aufkommen aus der Grundsteuer insgesamt nicht höher werden soll. Aber wenn 50 Prozent deutlich weniger zahlen sollten, zahlen eben 50 Prozent deutlich mehr. Das kann auch einen Rentnerhaushalt, der glaubt, mit dem abbezahlten Eigenheim auf der sicheren Seite zu sein, in wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen.

Der Wohnungsmarkt gerät auch durch die großen Fonds unter Druck. Dem bekannten Plattenladen Zardoz Records am Schulterblatt in Schanzenviertel wurde der Mietvertrag gekündigt. Der Inhaber klagt, es habe gar keine Chance gegeben, mit dem Vermieter zu reden, da es sich um eine Gesellschaft handele, die den Hamburger Markt überhaupt nicht kenne.

Kay : Wir sehen den Einstieg dieser Fonds auch mit Sorge. Oft handelt es sich um internationale Pensionsfonds, die um nahezu jeden Preis Wohnungen erwerben, da sie nach sicheren Anlagenmöglichkeiten für ihre Gelder suchen. Vor einigen Jahren gab es viele skandinavische Gesellschaften, die hier in Hamburg investiert haben, um dann festzustellen, dass der Wohnungsmarkt in Hamburg ganz anders funktioniert als in Kopenhagen oder Stockholm. Zudem besteht immer die Gefahr, dass sich diese Gesellschaften nach ein paar Jahren wieder verabschieden und die Immobilie wieder veräußern. Lokale Marktkenntnisse sind extrem wichtig, das beobachten wir sogar von Bezirk zu Bezirk.

Wie meinen Sie das?

Kay : Wenn wir in Barmbek Fenster, Türen oder Bäder erneuern wollen, sagen unsere Mitglieder: Prima, wann fangt ihr an? In Altona bedeutet dagegen ein Modernisierungsprojekt immer auch ein Kommunikationsprojekt. Wenn es dort nicht gelingt, die Bewohner mitzunehmen, kann man einen ganzen Stadtteil gegen sich aufbringen.

Herr Kay, Genossenschaften gelten als völlig überlaufen. Macht ein Antrag auf Mitgliedschaft überhaupt noch Sinn?

Kay : Selbstverständlich. Es gibt zwar Neubauprojekte bei der BGFG, wo wir derzeit keine Bewerber mehr registrieren können. Aber wir, wie auch andere Genossenschaften, vergeben mehr als die Hälfte unserer neu vermieteten Wohnungen an Mitglieder, die erst mit Vertragsabschluss ihre Mitgliedschaft unterzeichnen.

Wem gehört Hamburg? – Machen Sie mit!

Wem gehört Hamburg? Diese Frage werden Sie in den nächsten Monaten häufiger lesen. Denn wir wollen mehr Trans­parenz auf dem Wohnungsmarkt schaffen. Das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv und das Abendblatt starten dazu ein eigenes Projekt, an dem sich auch der Mieterverein zu Hamburg beteiligt.

Schon jetzt können Sie sich auf der Internet­seite wem-gehoert-hamburg.de in einen Newsletter eintragen. Dann informieren wir Sie über den Fortgang des Projekts und unsere Veröffentlichungen zum Thema Wohnen. Dort finden Sie auch Kontaktmöglichkeiten zu unseren Reportern und Veranstaltungen, die Sie in den kommenden Wochen kostenlos besuchen können.

Ab April laden wir Sie ein, mit uns zu recherchieren. Auf einer neuen Plattform können Sie den Redaktionen dann mitteilen, wer der Eigentümer Ihrer Mietwohnung ist und welche Erfahrungen Sie mit Ihrem Vermieter gesammelt haben. Aus den gewonnenen Daten können wir die Stadt für alle transparenter machen. Und wir können dort recherchieren, wo sich Missstände zeigen.