Hamburg. In der Behörde für Stadtentwicklung lässt sich die Hansestadt im Maßstab 1:500 bestaunen – eine Attraktion für Besucher und Experten.

Voller Stolz übergaben die Bauherren die Elbphilharmonie fristgerecht an die Freie und Hansestadt Hamburg. Dank akribischer Planung wurde der Bau weit vor dem geplanten Termin fertig. Und dies auf den Cent genau zum kalkulierten Preis.

Klingt wie ein klarer Fall von Fake News. Und ist doch Realität. Natürlich nicht für das Original am rechten Ufer der Norderelbe. Sondern für das Modell, kostenlos zu besichtigen im Erdgeschoss der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, drei Fußminuten entfernt vom S-Bahnhof Wilhelmsburg. Bauzeit drei Tage, Materialkosten zehn Euro. Und doch bis ins Detail ein Abbild des neuen Wahrzeichens der Hansestadt im Maßstab 1:500, inklusive der beinah magnetischen Anziehungskraft des Originals. Erst mal Elbphilharmonie gucken – das gilt für die Besucher des Stadtmodells genauso wie für Hamburg-Touristen.

Modell steht seit 50 Jahren in Behörde

Stadtmodell? Auch viele geborene Hanseaten dürften mit diesem Begriff herzlich wenig anfangen können. Dabei steht dieses Modell schon seit mindestens 50 Jahren in der Behörde, lange Zeit am alten Behördensitz an der Wexstraße, seit Juli 2013 im Neubau in Wilhelmsburg. Auf einer Fläche von 120 Quadratmetern zeigt das Modell den inneren Stadtbereich von Övelgönne im Westen bis Rothenburgsort im Osten und von der HafenCity im Süden bis Harvestehude im Norden.

Im Gegensatz zum Miniaturwunderland gibt es hier zwar weder dampfende Züge noch startende Flugzeuge zu bewundern. Dafür aber Realität bis ins kleinste Detail mit mehr als 20.000 Gebäuden, derzeit entsteht der Kleine Grasbrook.

Wer Hamburgs Modell-Oberbauherrn besuchen will, muss sich über lange Flure bis in den äußersten Flügel im Nordwesten der Behörde tasten. In den Regalen des Büros von Walter Sieh stehen Miniaturen der wichtigsten Gebäude Hamburgs in Reih und Glied, inklusive Elbphilharmonie versteht sich. „Fassen Sie die ruhig an, wir sind hier Praktiker“, appelliert Sieh. Nach wenigen Minuten spürt man: Für den Di­plom-Ingenieur ist der Beruf in Wahrheit Berufung, seine Begeisterung steckt an.

Gebäude werden zentimeterweise versetzt

Seine Visitenkarte weist ihn als Fachbereichsleiter „3D und Fernerkundung“ aus, ein Indiz dafür, dass das Modell im Foyer mitnichten nur aufgebaut wurde, damit Hanseaten nun zum x-ten Mal in ihrer Meinung bestärkt werden, dass die Stadt an Elbe und Alster nun wirklich die schönste Metropole der Welt ist. Nein, Hamburg leistet sich die kostspielige Pflege und den ständigen Umbau des Modells, um besser zu werden. Woche für Woche beugen sich Stadtplaner, Architekten und Investoren über das Ensemble aus Miniaturen.

Der langjährige Oberbaudirektor Jörn Walter, der von 1999 bis 2017 die baulichen Geschicke Hamburgs entscheidend prägte, galt als regelrechter Fan des Modells. Höchstpersönlich versetzte er wichtige Gebäude zentimeterweise, um zu sehen, wie dies Blickachsen und Schattenwürfe verändert. Für seinen Nachfolger Franz-Josef Höing „ist das Stadtmodell nach wie vor ein ex­trem präzises Messinstrument, um die Passgenauigkeit von Projekten in der inneren Stadt zu überprüfen“.

Gebäude entsteht in zehn Stunden

Im Untergeschoss der Behörde entstehen die Miniaturen. Der 3-D-Drucker surrt leise vor sich hin, sprüht schichtweise Gipsstoff und Klebstoff auf eine Platte, die Daten des Modells liefert der Computer. Inklusive Trocknen entsteht ein Gebäude in zehn Stunden. Im Raum nebenan bearbeitet eine wie von Zauberhand gesteuerte Fräse einen Holzblock.

Die Laptops, die mit den Maschinen verbunden sind, bedient Thorsten Haas. Als gelernter Tischler könnte er die Miniaturen auch von Hand bauen, es würde nur ungleich länger dauern. Die Geschichte des Stadtmodells taugt als Blaupause für die technische Revolution der vergangenen Jahrzehnte. In den 1960er-Jahren schraubten, frästen und lackierten sieben Handwerker die Modelle. Dank Computern erledigen Thorsten Haas und sein Kollege Thorsten Paschen das Arbeitspensum nun zu zweit mit viel größerer Präzision.

Elbphilharmonie gab es schon 2002 in Miniatur

Ihr Chef Walter Sieh bedauert, dass aus den Anfängen des Stadtmodells so wenig überliefert ist, es gibt nicht einmal ein präzises Startdatum, wahrscheinlich war es Mitte der 1960er-Jahre. Andererseits haben Hamburgs heimliche Bauherren ohnehin keine Zeit für Vergangenes, sie sehen nach vorn. Die Elbphilharmonie etwa thronte schon 2002 in der Miniatur-HafenCity, allerdings im Status des ersten Entwurfs.

Als sich ein zweiter Entwurf herauskristallisierte, warf das Sieh-Team wieder die computergesteuerte Fräse an – kostet ja alles im Vergleich fast nichts. Das ungemein genaue Abbild des vor gut einem Jahr eröffneten Originals entspricht Modellbau-Entwurf Nummer drei.

Alte Modelle werden entsorgt

Und die alten Miniaturen? Leider längst entsorgt. Denn auch Modelle fordern Platz. Und ein Archiv für den Austausch von 20.000 Gebäuden, die ständig an die Realität angepasst werden, kann die Behörde weder personell noch finanziell stemmen. Auch das Allianz-Hochhaus am Großen Burstah, an dem derzeit zum Leidwesen der Anrainer Presslufthammer und Mini-Bagger knabbern, haben die Modellbauer längst entsorgt.

Wer eine Stadt plant, muss seiner Zeit voraus sein. Zukunft und Gegenwart sind im Modell farblich sofort zu erkennen, bestehende Gebäude tragen eine weiße Farbe, geplante Bauwerke ein helles Braun. Der Schritt des Modells in die digitale Welt ist nur noch eine Frage der Zeit, irgendwann sollen Besucher mit ihren Smartphones die Gebäude scannen können, die Handys liefern dann detaillierte Informationen zu einzelnen Bauwerken.

Für Stadtplaner sind die Daten von großem Wert

Zukunftsmusik. Derzeit gilt Siehs Augenmerk vor allem dem nächsten Flugprojekt, das die Daten für die virtuelle Welt liefert. Im Frühjahr wird wieder wie jedes Jahr ein Flugzeug mit einem speziellen Kamerasystem an Bord starten, das an drei Tagen das Stadtgebiet Quadratmeter für Quadratmeter scannen wird, um ein dreidimensionales Bild Hamburgs zu entwerfen. Voraussetzungen: klare Sicht, kein Schnee, keine überfluteten Gewässerwiesen, kein Laub an den Bäumen. Die Kameras liefern Bilder mit einer enormen Präzision, jede Mauer, jeder Baum ist genau zu sehen.

Nicht nur für Stadtplaner sind diese Daten von unschätzbarem Wert. Sicherheitsexperten etwa können berechnen, wie die Stadt sich auf einen möglichen GAU vorbereiten kann, etwa auf eine Giftgaswolke, ausgelöst durch eine Explosion im Hafen. Doch mitunter kümmert sich das Sieh-Team nur um die schönen Dinge des Lebens, etwa um Geschenke für hochrangige Gäste der Freien und Hansestadt. Die begehrten Modelle der Elbphilharmonie aus Acryl entstanden ebenfalls in der Werkstatt im Behördenkeller.

Öffnungszeiten

Das Stadtmodell ist im Erdgeschoss der Behörden für Stadtentwicklung/Wohnen und Umwelt/Energie, Neuenfelder Straße 19, in unmittelbarer Nähe des S-Bahnhofs Wilhelmsburg zu finden. Geöffnet hat die Aus­stellung von Montag bis Freitag 9–19 Uhr, an Sonntagen von 13–17 Uhr (allerdings nicht in den Monaten November, Dezember und Januar). Der Besuch ist kostenlos.

Für Besuchergruppen finden nach vorheriger Vereinbarung Führungen statt. Anfragen dafür rechtzeitig telefonisch an die Behörde richten (040/428 40 50 50, Montag bis Donnerstag 9–16 Uhr, Freitag 9– 15 Uhr). Auch diese Teilnahme ist kostenlos.