Hamburg. Mit Calixto Bieitos Inszenierung von Verdis „Messa da Requiem“ begannen die „Italienischen Opernwochen“ in der Staatsoper.
Calixto Bieito ein Besucher-Schreck, der ständig über Leichen geht? Von wegen. Weit und breit keine brachiale Regie-Provokation, nirgends (sieht man von Qualitäts-Durchhängern ab, die man bei einer Premiere lieber nicht gehört hätte). Stattdessen: ein Verdi-Requiem lang die sparsam, stellenweise sehr verrätselte Bebilderung von Gratwanderungen einzelner Schicksale, aus ihrem harmlosen Alltag gerissen, zwischen Dies- und Jenseits.
Zwei junge Durchschnitts-Paare sind zu sehen, die mitten im Leben vom Tod gefangen wurden. Bitten um die Gnade Gottes. Angst, Schrecken, Verzweiflung, und immer wieder: Hoffnung. Fast gar kein Blut, so gut wie keine Gewalt. Stattdessen: Assoziationen, Andeutungen, Vermutungen. Und einige Wiederauferstehungen, begleitet und umarmt von dieser buchstäblich zum Sterben schönen Opernmusik, zu der es tatsächlich keine Oper gibt. Wer in einem Totenmessen-Abschnitt aus dieser Welt zu gehen schien, reinkarnierte mühelos im nächsten. Religion, frag nicht. Und warum trug die Mezzosopranistin ihre Schuhe nicht an den Füßen, sondern an ihren Handgelenken? Man weiß es so gar nicht. Ein Konzept, das auch als ästhetischer Verwandter zu Romeo Castelluccis Deichtorhallen-„Passione“ über Bachs Matthäuspassion verstanden werden kann.
Mehr und mehr wurde es trauerflorschwarz
Dort wurde mit fast endlos vielen Requisiten und Schauwerten gearbeitet, hier war es der radikale Verzicht auf Spielmaterial-Ballast. Die von Susanne Gschwender entworfene Bühne: Das ultimative Nichts, als Verschiebebahnhof für Trost suchende Seelen, zugestellt mit riesigen Regalen, die mal wie Beichtstuhl-Gitter wirkten, mal wie Setzkästen für Urnen oder Grabkammern.
In der ersten Szene leuchtete es noch kirchenfenstergleich bunt im Hintergrund, um sakrale Grundierung in diese Versuchsanordnung zu bringen, doch das gab sich schnell. Mehr und mehr wurde es trauerflorschwarz und trostarm, und das ebenso beeindruckende wie bedrückende Schlussbild zum „Libera me“ war sicher nicht zufällig ein Popkultur-Zitat, das auf „The Walking Dead“ verwies.
Luft nach oben
Die ersten „Italienischen Opernwochen“ an der Staatsoper, ihr erstes dortiges Frühjahrsferien-Special als Kundenbindungsmaßnahme bewusst nicht mit einer Oper zu eröffnen, ist als Ansage reizvoll und mutig. Schöner und festivaliger allerdings wäre es gewesen, wenn alle Solo-Stimmen – und nicht zuletzt auch der Gastdirigent Kevin John Edusei – diesem feierlichen Anspruch gerechter geworden wären. Denn für die süffige Melodienseligkeit, mit der hier gebetet und gefleht wird, bräuchte es, konfessionsübergreifend gesehen, vier Extraklasse-Stimmen zum ständigen Hinknien und Lobpreisen.
War leider nicht so; war auch nicht zum ersten Mal bei derartigen Prestige-Terminen an der Dammtorstraße anders. Auf den entsprechenden Besetzungslisten ist dort noch einiges an Luft nach oben.
Während Maria Bengtssons angemessen dramatisch leuchtender Sopran den Anforderungen ihrer Partie bestens gerecht wurde, fremdelte Nadezhda Karyazinas flüchtig schmaler Mezzo im Quartett der Stimmen, sowohl beim Timbre als auch bei der Intonationssicherheit lag in den Ensemblenummern auf längst nicht allem Segen. Solide, nicht mehr, nicht weniger, ergänzten sich Dmytro Popovs Tenor und der markante Bass von Gábor Bretz.
Hohes Niveau des Chors
Erwartungsgemäß auf hohem Niveau die Kollektivleistung des Chors, der seine Stärken bei Verdi immer wieder voll einbringen und aussingen kann. Doch genau in diese Balance-Falle tappte das Philharmonische Staatsorchester mehrfach unschön: Im „Tuba mirum“ und erst recht den „Dies irae“-Eruptionen mit Paukendonner und etlichen Trompeten hätte Edusei das von der Konzertbühne in den Graben-Untergrund verbannte Orchester stramm und kontrolliert in der Spur halten müssen, um dessen ungünstigen Aufenthaltsort wieder wettzumachen. Es reichte aber nur für dröhnend undefinierte Überlautstärke. Und auch dort, wo eher sinnliche Eleganz im Umgang mit Details vonnöten war (der Offertorium-Beginn beispielsweise, oder der Bläser-Einstieg ins „Quid sum miser“), wurde Verdi nach Vorschrift und damit unterwältigend durchbuchstabiert.
Sowohl mit seinem „Otello“ im Großen Haus als auch mit dem kammermusikalisch intimen Gesualdo-Projekt über Tod und Verklärung in der Opera stabile hatte sich Bieito als sensibel kluger Umdeuter erwiesen, der schneller viel sanfter geworden ist als sein Ruf. Dieses Requiem, das am Premierenabend-Ende mit einigen Buh-Rufen bedacht wurde, macht dort weiter, wo die anderen Arbeiten endeten. Im dritten und letzten Projekt soll, als tragikomisches Verdi-Spätwerk passend, der „Falstaff“ folgen. Für Intendant Georges Delnon ist Bieito offenbar der Fachmann für die allerletzen Dinge, die großen existenziellen Fragen, die man zur öffentlichen Nicht-Klärung auf eine Musik-Theater-Bühne stellen kann.
Weitere Termine: 14./17./20./23./27./31.3., jeweils 19.30 Uhr, Karten 6.- bis 109,- Euro Weiter im Programm geht es heute mit der ersten von zwei Aufführungen von Puccinis „Madama Butterfly“. Am 15. März beginnt eine „La Traviata“-Serie. Auch die Philharmoniker-Abo-Konzerte am 18. und 19. März sind Italien gewidmet. Es folgen drei „Tosca“-Aufführungen, die erste ist am 21. März. Letzte Wiederaufnahme ist Verdis „Aida“ an fünf Abenden, der erste am 25. März. Abschluss: eine (ausverkaufte) „Tosca“ mit Jonas Kaufmann und Anja Harteros. Weitere Informationen: www.staatsoper-hamburg.de