Hamburg. Werke wie „Tosca“ und „La traviata“, denen in Hamburg ein Festival gewidmet ist, sind beliebt wie wenige andere. Das hat einen Grund.

Wie in einem Bogen fällt die Melodie des Fagotts abwärts. Hält ein wenig inne und setzt noch einmal an, einen Ton höher jetzt, um dann in einem besonders schmerzerfüllten Intervall wiederum abzusinken. Dann übernimmt der Tenor die Melodie, spinnt sie fort im Dialog mit der Klarinette, während darunter die Streicher zupfen wie eine riesige Laute. Ganz zart seufzt und schluchzt die Musik und verzögert hin und wieder, und gegen Ende malt die Gesangsstimme, ganz allein, eine Schleife aus lauter kleinen Terzen in die Luft.

„Eine verstohlene Träne quoll in ihren Augen“, beginnt der Text. Auf Italienisch klingt das natürlich viel lyrischer: „Una furtiva lagrima negl‘ occhi suoi spuntò.“ Ah, das kennt man doch. Ist von Donizetti. Der Bauer Nemorino besingt in der Romanze die schöne Adina, wohlgemerkt in Moll. Lange Zeit schien sie unerreichbar für ihn. Es ist ja immer nicht so einfach mit der Liebe, in der Oper schon gar nicht.

Oper und Italien, das gehört irgendwie zusammen

Selbst im kühlen Norddeutschland dürften Passanten auf der Straße zum Stichwort Oper als erstes Werke wie eben Donizettis „L’elisir d’amore“ oder Bellinis „Norma“ einfallen. Die edle Kurtisane Violetta aus Verdis „La traviata“. Der unvergessene Tenor Luciano Pavarotti, der die ganz großen Arenen der Welt füllte und Berge von Pasta verzehren konnte, und die noch unvergessenere Maria Callas, die zwar Griechin war, aber vom Repertoire her italienischer als jede toskanische Mamma.

Italien ist, wie wir spätestens seit Goethes blühenden Zitronen wissen, der Sehnsuchtsort nieselregengeplagter Teutonen. Die Staatsoper erweist diesem Sehnen ab dem 11. März fünf „Italienische Opernwochen“ lang die Reverenz. Puccinis „Tosca“ und „Madama Butterfly“ stehen auf dem Spielplan und von Verdi „Aida“, „La traviata “ sowie die „Messa da Requiem“. Die Totenmesse ist nämlich einem Bonmot zufolge des Meisters schönste Oper. Weshalb sie nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen ist, Regie führt der Spanier Calixto Bieito. Und fürs reine Hören flicht das Philharmonische Staatsorchester unter der Leitung von Alejo Pérez noch ein handverlesenes italienisches Konzertprogramm ein.

Romantische italienische Oper läuft immer

Vier Schlachtrösser des Repertoires hat sich die Staatsoper ausgesucht. Romantische italienische Oper läuft immer. Bundesweit stellte sie in der Saison 2015/16 sieben der 20 am häufigsten inszenierten Opern, hat der Deutsche Bühnenverein gezählt. Puccini war allein mit drei Werken dabei, Verdi mit zweien, außerdem Rossini mit „Il barbiere di Siviglia“ und Donizetti „L’elisir d’amore“. An der Staatsoper Hamburg laufen die beiden letztgenannten Inszenierungen aus den 70er-Jahren, und immer noch mit Erfolg, wie das Haus mitteilt.

Jetzt mal die Kellner im offenen weißen Hemd, die beim Servieren „La donna è mobile“ schmettern, die knatternden Vespas und all die anderen charmanten Italien-Klischees beiseite: Warum ist eigentlich das so? Was lieben die Menschen an diesem Repertoire? Dass die Wiege der Oper in Italien stand, geschenkt, und ob nun die allererste Oper der Weltgeschichte Claudio Monteverdis „Orfeo“ war oder dem Komponisten seine Kollegen Peri oder Caccini an der Schwelle zum 17. Jahrhundert zuvorkamen, das ist semantisches Klein-Klein. Wir sind hier im 19. Jahrhundert, beim Belcanto-Dreigestirn Rossini, Bellini oder Donizetti, bei dem lebensprallen Verdi und dem süffigen Spätromantiker Puccini.

„E lucevan le stelle“ aus Puccinis „Tosca“, noch so ein Ohrwurm

„Das italienische Opernrepertoire erzählt Geschichten, die jeden angehen, und vermittelt diese durch wunderschöne einprägsame Melodien“, sagt Michael Schröder, stellvertretender Geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins. „Es geht um Gefühle, um große menschliche Themen, bei denen man die Welt draußen für einen Moment vergessen darf.“

Denken wir nur an die Arie des Cavaradossi „E lucevan le stelle“ aus Puccinis „Tosca“, noch so ein Ohrwurm. Da überlässt sich jemand kurz vor der eigenen Hinrichtung seinen Erinnerungen daran, wie er unterm Sternenhimmel einen duftenden Frauenkörper in seinen Armen hielt. Puccini schenkt ihm dafür weit geschwungene Melodiebögen und einen unendlich zärtlichen Ton, den die Geigen zwei Oktaven höher mit einem Goldhauch bekränzen, bevor dann das Tutti den Tenor einfach fortträgt auf der Woge der Gefühle. Wen das nicht rührt, der muss schon ein Herz aus Stein haben.

Die romantische italienische Oper lebt von der Melodie

Harmonisch und rhythmisch ist gerade Belcanto oft unkompliziert. Die Musik ist in ihrem emotionalen Gehalt unmittelbar verständlich, die Geschichten sind bunt und dramatisch. Mit einem Wort, es ist ein volkstümliches Repertoire. Und das ist kein Zufall. Es ist nämlich nicht zu trennen von der bewegten politischen Geschichte des Landes. Genauer, einer Gegend, die erst noch ein Land werden wollte.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Italien nicht mehr als ein geografischer Begriff. Es gab das Großherzogtum Toskana und die päpstlichen Staaten. Der größte Teil des italienischen Stiefels war aber aufgeteilt in Herrschaftsgebiete der spanischen Bourbonen, der Habsburger und des Hauses Savoyen, das seinen Stammsitz in den französischen Alpen hatte. Unter der Fremdherrschaft wurden Reformen rückgängig gemacht, Zensur und Repression bestimmten die Atmosphäre. Der Dichter Heinrich Heine reiste 1828 durch Norditalien und beschrieb seinen Eindruck so: „Dem armen geknechteten Italien ist ja das Sprechen verboten, und es darf nur durch Musik die Gefühle seines Herzens kundgeben. All sein Groll gegen fremde Herrschaft, seine Begeisterung für die Freiheit, sein Wahnsinn über das Gefühl der Ohnmacht, seine Wehmut bei der Erinnerung an vergangene Herrlichkeit, dabei sein leises Hoffen, sein Lauschen, sein Lechzen nach Hülfe, alles dies verkappt sich in jene Melodien, die von grotesker Lebenstrunkenheit zu elegischer Weichheit herabgleiten.“

Diese Opern-CDs sollten Sie hören

„Simon Boccanegra“

Die Titelfigur von Verdis „Simon Boccanegra“ ist eine Paraderolle für einen Bariton vom Rang Dmitri Hvorostovskys. Der russische Bariton, er starb im vergangenen November, besticht auf der Aufnahme mit üppigem Timbre und fein abgestufter Dynamik. (Delos, ca. 25 Euro.)

„Madama Butterfly“

Angela Gheorghiu und Jonas Kaufmann sind ein Dreamteam in dieser „Madama Butterfly“ – auch wenn die Liebesgeschichte zwischen der Geisha und dem Herzensbrecher Pinkerton in Puccinis Oper bekanntlich nicht gut ausgeht. Antonio Pappano und das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia kleiden die beiden in ein hinreißend farbenreiches Klanggewand. (Warner, ca. 25 Euro.)

„Manon Lescaut“

Anna Netrebko hat in Salzburg Puccinis „Manon Lescaut“ gesungen; der neue Mann an ihrer Seite, Yusif Eyvazov, gab den Des Grieux. Das Publikum war erwartungsgemäß begeistert, die Fachwelt war es auch, zumindest von Netrebko. Der Mitschnitt ist bei der Deutschen Grammophon erschienen und kostet ca. 37 Euro.  Für unersättliche Callas-Fans hat Warner die Liveaufnahmen der Diva assoluta aus den Jahren in eine fette CD-Box gepackt.

„Maria Callas Remastered Live Recordings 1949–1964“

In „Maria Callas Remastered Live Recordings 1949–1964“ ist fast alles drin, was der Süchtige so braucht an italienischem Opernrepertoire. Preis:  ca. 135 Euro.

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Musik als Ventil also. Es gab in Italien kein Sprechtheater vom Rang des französischen oder spanischen. Da musste eine Oper, die über die Grenzen hinweg für alle verständlich war, wie ein politisches Fanal wirken. Rossini und Bellini ging es wie vielen zeitgenössischen Künstlern darum, das Land zu einigen. So siedelte Bellini seine „Norma“ zwar im Gallien der Römerzeit an. Doch das Publikum war empfänglich für politische Untertöne, bald hatte jeder die Camouflage verstanden, und der wilde Kriegschor der Druiden „Guerra, guerra“ wurde in ganz Europa als italienische Marseillaise bekannt.

Italienische Oper ist für alle Sinne, nicht nur für die Ohren

Was in Italien eine explosive Wirkung entfaltete, war manchem kontrapunktgestählten Deutschen allzu populär. Gerade Rossini war den Kritikern suspekt. Der scharfzüngige Heine wünschte ihnen dafür, einst in der Hölle „die lange Ewigkeit hindurch nichts anderes zu hören als Fugen von Johann Sebastian Bach“. Und auch Verdi hat seine unbekümmerte Art, Ernsthaftigkeit mit Revuecharakter zu verschmelzen, einiges an Wertschätzung gekostet. Heute ist er der meistgespielte italienische Komponist. Die Staatsoper hätte genausogut „Nabucco“ auf den Spielplan setzen können oder „Il trovatore“, „Rigoletto“ oder „Macbeth“ – alles Dauerbrenner.

Andererseits hätte sie natürlich auch Unbekannteres programmieren können, Francesco Cileas „Adriana Lecouvreur“ etwa oder „Zazà“ von Ruggero Leoncavallo. Aber mal abgesehen davon, dass die Stücke nicht zum beachtlichen Repertoire des Hauses gehören: Wer will denn pädagogisch werden, wenn es um italienische Oper geht? Die muss man mitsingen können, trällernd oder schmachtend, aus vollem Halse und vollem Herzen. Geben wir’s zu, wir wollen es doch auch, dieses Wohlgefühl, als befänden wir uns in einer Freiluftaufführung in der Arena di Verona: laue Luft, sternklarer Himmel, und selbst am Ende der Vorstellung sind die steinernen Sitzreihen noch warm vom Tag. ­Italienische Oper ist für alle Sinne, nicht bloß für die Ohren.

Italienische Opernwochen 11.3. bis 17.4., Hamburgische Staatsoper plus zwei Konzerte in der Elbphilharmonie, Karten und Programminfos unter www.staatsoper-hamburg.de