Hamburg. Der Franzose Sylvain Cambreling folgt in der Laeiszhalle auf den im Juni vergangenen Jahres verstorbenen Sir Jeffrey Tate.

Auf die Frage, was er 2018 nach seinem Weggang aus Stuttgart machen wolle, hatte der französische Dirigent Sylvain Cambreling in einem Interview geantwortet: „Ich werde leben.“ Nun ist klar, dass ein wichtiger Teil dieses Lebens in Hamburg stattfinden wird. Denn Cambreling, derzeit noch Generalmusikdirektor der Oper Stuttgart, wird mit Beginn der Spielzeit 2018/19 neuer Chefdirigent der Symphoniker Hamburg.

In einem ersten Statement sagte Cambreling am Freitag zu seinen Gründen: „Die Laeiszhalle atmet nicht nur eine reiche Tradition, sondern gehört zu den am schönsten klingenden Sälen der Welt. Es ist eine Ehre und berührt mich, als Chefdirigent meinem Freund Jeffrey Tate nachzufolgen.“ Vor wenigen Tagen erst hatte der 69 Jahre alte Cambreling erklärt, es sei für ihn noch viel zu früh für die Pension, und dass er zukünftig mehr Konzerte und weniger Oper dirigieren wolle.

Lange Suche

Für Symphoniker-Intendant Daniel Kühnel endet damit die lange Suche nach einem Nachfolger für den Anfang Juni 2017 verstorbenen Sir Jeffrey Tate: „Nach einem sehr intensiven und spannenden Findungsprozess sind wir voller Vorfreude auf die Zusammenarbeit mit einem großen Künstler, der Publikum und Orchester gleichermaßen zu begeistern weiß.“ Ob und wie die Chemie zwischen dem womöglich Neuen und dem Orchester stimmen könnte, war unausgesprochenes Thema eines Konzerts im vergangenen Herbst gewesen, als Cambreling in der Laeiszhalle Werke von Dutilleux, Dalbavie und Debussy dirigierte.

Beeindruckende Vita

Cambrelings Vita ist beeindruckend: 1975 wurde er Generalmusikdirektor in Lyon, 1976 holte ihn Pierre Boulez als ständigen Gastdirigenten des Ensemble Intercontemporain nach Paris. Von 1981 an hat Cambreling der Brüsseler Oper La Monnaye mit dem damaligen Intendanten Gérard Mortier zu internationalem Renommee verholfen. Während seiner Tätigkeit dort betreute Cambreling 40 Neuinszenierungen mit Regisseuren wie Luc Bondy, Patrice Chéreau, Karl-Ernst Herrmann, Peter Mussbach und Herbert Wernicke. Diese Zusammenarbeit setzten Cambreling, der später an die Oper Frankfurt wechselte, und sein 2014 verstorbener Lebensgefährte Mortier auch bei den Salzburger Festspielen fort. Gemeinsam gaben sie dem Musik-Programm der Ruhrtriennale ein vielbeachtetes Profil. Im August dirigierte Cambreling zur Eröffnung der 2017er-Ruhrtriennale Debussys „Pelléas et Mélisande“ in der Bochumer Jahrhunderthalle, die weibliche Hauptrolle sang und spielte Barbara Hannigan.

Kein Generationswechsel

Nach den acht künstlerisch wie atmosphärisch erfolgreichen Jahren mit Tate als Chefdirigent hätte die Entscheidung für einen deutlich jüngeren Dirigenten einen konzeptionellen Kurswechsel für das Residenzorchester der Laeiszhalle bedeutet. Dieser Generationswechsel ist nun ausgeblieben. Intendant Kühnel setzt ein weiteres Mal auf Erfahrung: Bei Amtsantritt wird Cambreling vier Jahre älter sein, als es Tate 2009 bei seinem Start gewesen war. Auch Generalmusikdirektor Kent Nagano hat der Franzose einige Jahre voraus. Der nächste NDR-Chefdirigent Alan Gilbert, jetzt 50, ist knapp eine Generation jünger als Cambreling.

Cambreling gilt als Spezialist für das französische Repertoire, aber auch als kreativ im Umgang mit programmatischen Konzepten jenseits der gängigen Kombinationen. In der Kritikerumfrage der Zeitschrift „Opernwelt“ wurde er zweimal zum „Dirigenten des Jahres“ gewählt (1993/94 und 2000).

Passgenaues Timing

In seiner Amtszeit wurde die Frankfurter Oper „Opernhaus des Jahres“, ein Erfolg bei der Kritik, an den Cambreling mit seinem Wechsel an die Oper Stuttgart von 2012 an anknüpfen konnte, die er in wenigen Monaten verlässt. 2016 war Stuttgart „Opernhaus des Jahres“.

Das Timing bei Cambrelings Entscheidung für die Symphoniker ist passgenau. Sein Nachfolger in Stuttgart steht längst fest: Cornelius Meister rückt dort nach, der Enddreißiger kommt vom RSO aus Wien. Zu den wichtigen Führungspositionen in Cambrelings Lebenslauf zählt auch die Arbeit als Chefdirigent des damaligen SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg, das inzwischen mit dem RSO Stuttgart zwangsfusioniert wurde. Dort hatte Cambreling 1999 die Nachfolge von Michael Gielen angetreten und blieb bis 2011.

Gute Entwicklung

Kultursenator Carsten Brosda (SPD) sagte zu diesem Engagement: „Dass die Symphoniker Sylvain Cambreling als Chefdirigenten gewinnen konnten, unterstreicht die gute Entwicklung, die das Orchester unter Sir Jeffrey Tate genommen hat. Auch der Laeiszhalle und der ganzen Musikstadt Hamburg eröffnet diese Personalie eine wunderbare Per­spektive. Die Verpflichtung wird dazu beitragen, den Erfolgskurs des Residenzorchesters der Laeisz­halle fortzuführen.“

Diese Profilierung wird Cambrelings wichtigste Aufgabe sein – und keine leichte. Denn dabei geht es nicht nur um die Leistung des Orchesters im Saal am Johannes-Brahms-Platz, sondern ebenso um die Schlüsselfunktion bei der Bespielung der Laeiszhalle, die neben der Elbphilharmonie tunlichst nicht zur B-Adresse werden darf.