Hamburg. Das Gericht ist sich sicher: Die Terrororganisation hatte die drei Syrer für mögliche Anschläge nach Norddeutschland geschickt.

Man kann lange darüber spekulieren, wann und wie die im Hamburger Umland verankerte Terrorzelle des Islamischen Staates (IS) zuschlagen wollte, um „Ungläubige“ zu ermorden und so die Gesellschaft zu destabilisieren. Vollendete Tatsachen schuf jedenfalls ihre Pariser Schwester-Zelle – das Terrorkommando richtete dort im November 2015 ein Blutbad mit 130 Toten an. Wie die Attentäter von Paris waren auch die drei jungen Syrer Ende 2015 vom IS nach Europa geschickt worden. Unterschlupf fanden sie in Flüchtlingsunterkünften in Großhansdorf, Reinfeld und Ahrensburg. Wie die Mörder von Paris hatten sie sich als Flüchtlinge getarnt.

Aus Sicht des Staatsschutzsenates am Hanseatischen Oberlandesgericht besteht kein Zweifel: Der IS hatte die Angeklagten nach Deutschland geschickt, damit sie sich im Norden als Schläferzelle für Anschläge bereithalten.

Alle drei Angeklagten müssen in Haft

Am Montag hat der Senat Mohammed A. (27) wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. Bei seinen Weggefährten kam Jugendrecht zur Anwendung. Mahir Al-H. war zur Tatzeit 16, sein Komplize Ibrahim M. 17 Jahre alt. Beide verurteilte das Gericht bei nachgewiesener „Schwere der Schuld“ zu jeweils dreieinhalb Jahren Haft. Die Bundesanwaltschaft hatte zuvor Haftstrafen zwischen mehr als vier Jahren und acht Jahren gefordert. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht. Der Verteidiger von Mahir Al-H. kündigte bereits am Montag an, den Schuldspruch anfechten zu wollen.

Gericht reiste nach Beirut zur Zeugenbefragung

Es war ein langwieriger, kleinteiliger Prozess über 30 Verhandlungstage. Zwei Mitglieder des Staatsschutzsenats waren sogar nach Beirut gereist, um einen dort inhaftierten IS-Schergen als Zeugen zu befragen.

Zuletzt hatte dann auch noch Mohammed A., der älteste Angeklagte, völlig überraschend gestanden: Er gehöre dem Islamischen Staat an, die beiden anderen Angeklagten jedoch nicht. Sie habe er „nur zufällig“ auf der Flucht getroffen. Das Geständnis hatte das Gericht indes als „unglaubhaft und widersprüchlich“ gewertet.

Wenig harte Beweismittel, eine Vielzahl von Indizien

So blieben dem Senat wenig harte Beweismittel, aber eine Vielzahl von Indizien. Isoliert betrachtet, sagte der Vorsitzende Richter Norbert Sakuth, mögen die Indizien keinen hohen Beweiswert haben. Aber in der Gesamtschau hätten sich die einzelnen Anhaltspunkte zu einem Gesamtbild mit hoher Beweiskraft verdichtet.

So seien Beweismittel wie Chat-Protokolle und Zeugenaussagen, Erkenntnisse aus US-amerikanischen, französischen, libanesischen, belgischen und deutschen Quellen zusammengezogen worden. Völlig abwegig sei daher der Vorwurf der Verteidigung, der Senat habe einen „politischen Prozess“ geführt. „Wir haben ein Puzzle zusammenfügen müssen“, sagte Sakuth. So würden Staatsschutzsenate nun einmal arbeiten.

Der 16-Jährige hatte sich selbst verraten

Ein Mosaikstein war etwa die Aussage des Beiruter Zeugen. Er hatte den jüngsten Angeklagten Mahir Al-H. als Bewohner eines sogenannten „Attentat-Hauses“ in der IS-Hochburg Rakka identifiziert. Unter der Ägide des IS-Funktionärs Abu Walid al-Suri werden Rekruten dort auf (Selbstmord-)Anschläge im Westen vorbereitet.

Zudem hatte sich der damals 16-Jährige gegenüber einem nach Deutschland geflüchteten Landsmann, den er über ein soziales Netzwerk im Internet kennengelernt hatte, indirekt als IS-Mitglied zu erkennen gegeben. So habe er in einem Chat seinen IS-Führer als „Chef“ oder auch „Vater“ bezeichnet und geschrieben: „Es kann sein, dass sie mich nach Paris schicken“. Der Chat-Partner habe in dem Prozess als Zeuge ausgesagt – voller Angst, deshalb selbst ins Fadenkreuz des IS zu geraten, sagte Sakuth. Ein anderer Chat-Partner, ein Verwandter von Mahir Al-H., habe noch versucht, ihn zum Ausstieg zu bewegen – vergeblich.

Parallelen zu den Attentätern von Paris

Beweiskraft entfalteten vor allem die Parallelen zu den Attentätern von Paris. Die drei Angeklagten nutzten dieselbe Route, dieselbe Fälscherwerkstatt, denselben Schleuser. Zudem erhielten sie ebenfalls mehrere Tausend Dollar in einer für den IS üblichen Stückelung von 100-Dollar-Scheinen sowie Handys mit dem vorinstallierten Krypto-Messenger Telegram.

Dass die Angeklagten rein zufällig auf die gleiche Infrastruktur zurückgriffen, hält das Gericht für ausgeschlossen. „Sie folgten einem vom IS ersonnenen Plan“, so Sakuth.

In Boostedt trafen sich die drei Schläfer wieder

Gemeinsam mit den beiden anderen Angeklagten wurde Mahir Al-H. von einem vor allem für den IS tätigen Schleuser von Syrien in die Türkei gebracht. In Gaziantep ging es dann im Pkw weiter nach Izmir. Von dort wurde die Gruppe nach Griechenland geschleust. Auf der Balkan-Route kurzzeitig getrennt, trafen die drei IS-Schläfer schließlich in der Erstaufnahme in Boostedt wieder zusammen.

Dort versicherten sie sich „einander der Treue zum IS und bekundeten ihre Bereitschaft, Anweisungen des IS zu befolgen“, sagte Sakuth. Von den Passfälschungen hatte allerdings das Bundeskriminalamt Wind bekommen – danach ließen die Behörden die Männer nicht aus den Augen, überwachten sie auf Schritt und Tritt.

Die drei IS-Schergen kamen sodann in Flüchtlingsheimen im Hamburger Umland unter. Sie integrierten sich mustergültig, sie nahmen an Sprachkursen und Volksfesten teil, sie absolvierten Praktika in Behinderteneinrichtungen und Krankenhäusern. Die Zelle schlief – und wartete auf Instruktionen aus Syrien. Doch der teuflische Plan scheiterte:Nach monatelanger Überwachung waren die drei Männer bei simultanen Zugriffen in ihren Unterkünften in Großhansdorf, Reinfeld und Ahrensburg festgenommen worden.