Hamburg. Hamburgs Finanzsenator Peter Tschentscher beteuert, dass trotz neuer Milliardenschulden nirgendwo gekürzt werde.

Als Politiker Emotionen zu zeigen, ist Peter Tschentscher (SPD) fremd. Auch am Tag nach dem Verkauf der HSH Nordbank, mit dem Hamburg und Schleswig-Holstein das größte Finanzdebakel ihrer Geschichte beendet haben, gab sich der Finanzsenator im Gespräch betont sachlich.

Der Verkauf der HSH Nordbank war ein historischer Tag für Hamburg. Haben Sie am Mittwochabend gefeiert?

Peter Tschentscher: Gründe zum Feiern gab es nicht. Wir sind froh, dass wir ein gutes Verhandlungsergebnis erzielt haben und die Bank verkauft werden kann. Aber angesichts der enormen Belastungen, die wir trotz des Verkaufs erleiden, kam keine Sektlaune auf.

Gab es einen Moment im Verkaufsverfahren, an dem Sie Sorge hatten, dass alles scheitern könnte?

Tschentscher: Die Sorge musste man immer haben, weil man nie sicher sein konnte, dass die Investoren wirklich bereit waren, einen substanziellen Kaufpreis für die Bank zu zahlen und damit ins Risiko zu gehen. Aber genau das haben wir ja verlangt. Hinzu kamen komplexe rechtliche und wirtschaftliche Fragen auf Seiten der Bieter, bei denen wir nicht wussten, welche Überlegungen sie verfolgten. Insofern konnten wir in keiner Phase sicher sein, dass der Verkauf gelingt. Aber es gab eine hohe Wahrscheinlichkeit, weil im ganzen Verfahren immer ausreichend Interessenten dabei waren.

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Überwiegt angesichts des Verkaufs die Erleichterung oder der Ärger über die in den Sand gesetzten Milliarden?

Tschentscher: Die ganze Geschichte der HSH Nordbank ist empörend, tragisch und skandalös. Wer schuld an diesem Desaster ist, darüber streiten sich schon genug selbst ernannte Experten. Meine Aufgabe als Finanzsenator ist es, den Schaden für Hamburg, der damals angerichtet wurde, so gut wie es geht zu begrenzen. Die Länder haben diese Lasten aus der Vergangenheit zu tragen. Deshalb bin ich froh darüber, dass wir einen Käufer gefunden haben, der uns einen substanziellen Kaufpreis zahlt. Damit verhindern wir auch die Abwicklung der Bank, die noch einmal neue Lasten und Risiken mit sich gebracht hätte.

Haben Sie das durchgerechnet, wie teuer eine Abwicklung der HSH im Vergleich zum Verkauf geworden wäre?

Tschentscher: Das lässt sich nur in Szenarien darstellen, weil dabei viele Entscheidungen externer Akteure eine Rolle gespielt hätten, zum Beispiel der Abwicklungsbehörde in Brüssel, der Bankenaufsicht und von Vertretern der Banken-Sicherungssysteme. Aber alle realistischen Szenarien wären für die Länder teurer gewesen als ein Verkauf, wie wir ihn jetzt vereinbart haben.

Hamburg muss mindesten fünf Milliarden Euro neue Schulden machen, um die Belastungen aus dem HSH-Drama schultern zu können. Dafür werden Zinsen fällig, die aus dem Haushalt zu zahlen sind. Um wie viel Geld geht es dabei pro Jahr?

Tschentscher: Das ist natürlich abhängig vom Zinsniveau. Momentan ist die Lage sehr günstig. Bei langfristigen Finanzierungen muss man derzeit von zwei Prozent ausgehen, das wären dann bis zu 100 Millionen Euro pro Jahr. Angesichts der guten Haushaltslage mit einem Überschuss von fast einer Milliarde Euro in 2017 wirft uns das nicht um. Wir müssen deshalb keine öffentlichen Leistungen oder Investitionen kürzen.

Aber es beliebt doch dabei, dass dieses Geld an anderer Stelle fehlt.

Tschentscher: Das ist so. Das gilt für diese fünf Milliarden wie für die 25 Milliarden Euro Altschulden. Aber wir sind seit 2014 in der Lage, aus dem Haushalt heraus netto Schulden zu tilgen. Das ist die gute Botschaft: Es trifft uns in einer verbesserten Wirtschafts- und Finanzlage, in der wir nicht umfallen. Anders als 2009. Damals hatten die Länder noch eine Gewährträgerhaftung von 65 Milliarden Euro für die HSH Nordbank. Das war ein bestandsgefährdendes Risiko und das konnten wir abwenden. Seitdem haben wir die Haftung konsequent Schritt für Schritt reduziert.

Ist es nicht absurd, dass Hamburg und Schleswig-Holstein einerseits das größte Finanzdebakel ihrer Geschichte beklagen, die Bürger davon aber andererseits gar nichts spüren werden?

Tschentscher: So weit würde ich nicht gehen. Die Bürger haben schon ein Gefühl dafür, was fünf Milliarden neue Schulden und 100 Millionen Euro Zinsen bedeuten. Aber wir waren auf diese Belastung vorbereitet. Daher müssen wir von dem, was wir uns vorgenommen haben, keine Abstriche machen. Niemand muss Angst haben, dass die Schulen jetzt doch nicht saniert werden oder dass die Kitas nicht mehr gebührenfrei sind.

Die Milliardenschulden müssen ja außerdem irgendwann zurückgezahlt werden. Wie sieht Ihr Plan aus?

Tschentscher: Wir haben und werden unser Haushaltsergebnis strukturell jedes Jahr ein Stück verbessern. Früher gab es in Hamburg jedes Jahr hohe Haushaltsdefizite, das konnten wir ändern. 2014 bis 2016 hatten wir insgesamt 800 Millionen Euro Überschuss, 2017 sogar eine Milliarde. Dadurch konnten wir sub-stanziell Schulden tilgen, 640 Millionen Euro waren es 2017. Wir sind in der Lage, den hohen Schuldenberg Stück für Stück abzubauen – das dauert bei bald 30 Milliarden Euro Schulden etwas länger. Aber es wäre bei 25 Milliarden auch nicht über Nacht gelungen.

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Aus der Hamburger Wirtschaft gibt es besorgte Stimmen, die neuen Eigentümer hätten keinen Bezug zu Norddeutschland und könnten verbrannte Erde hinterlassen, indem sie Kreditnehmern die Pistole auf die Brust setzen. Inwiefern teilen Sie diese Sorge?

Tschentscher: Wir können die Bank nicht einerseits verkaufen und andererseits Einfluss auf den künftigen Kurs nehmen wollen. Die Käufer müssen für eine Genehmigung der Privatisierung gegenüber der Europäischen Kommission und der Bankenaufsicht nachweisen, dass sie ein tragfähiges Geschäftsmodell verfolgen, zu dem immer auch Neugeschäft gehört. Ich erwarte, dass die Käufer aus den Stärken der HSH heraus ein neues Geschäftsmodell entwickeln, und zu den Stärken zählen die Verankerung in Norddeutschland, die Kundenbeziehungen und die Kompetenz der Mitarbeiter. Bei einer Fortführung der Bank bleiben zumindest ein Teil der Arbeitsplätze und ein Finanzierungspartner für Hamburger Unternehmen erhalten. Im Übrigen gilt: Viele Kreditnehmer der HSH Nordbank haben mit den riskanten Geschäften, die sie gemacht und den Krediten, die sie nicht zurückgezahlt haben, die Verluste der Länder mit verursacht.

Bürgermeister Olaf Scholz hat mit Blick auf ihre gemeinsame Regierungszeit seit 2011 zur HSH gesagt: Wir haben keine Fehler gemacht. Würden Sie diesen Satz unterschreiben?

Tschentscher: Ja. Unsere Entscheidungen müssen eingeordnet werden in die Entwicklung der Risikolage. Wie gesagt: Damals drohte uns im Falle einer Abwicklung ein Schaden von mehr als 60 Milliarden Euro. Und jeder Schritt seitdem war darauf ausgerichtet, dieser hohen Haftung zu entgehen und das Vermögen der Länder zu schützen. Dass die Kosten am Ende auf einen deutlich kleineren Betrag begrenzt wurden, ist das Ergebnis richtiger Entscheidungen in sehr kritischen Situationen.

Ein konkreter Punkt: Als 2013 die Garantie der Länder wieder auf zehn Milliarden Euro erhöht wurde, vertrat der Senat die Auffassung, das werde zu keinem neuen EU-Beihilfeverfahren führen. Ein Irrtum. Am Ende stand die EU-Auflage, die Bank zwangsweise zu verkaufen.

Tschentscher: Wir haben diese Position gegenüber der EU vertreten, weil wir der Meinung waren, dass die Zehn-Milliarden-Garantie schon einmal beihilferechtlich geprüft worden war. Am Ende ging es in den Verhandlungen mit der EU aber gar nicht um die Garantiehöhe, sondern um die Entlastung der HSH von faulen Schiffskrediten und hohen Garantieprämien, die die Bank nicht mehr erwirtschaften konnte. Diese Entlastung war unumgänglich, sonst wäre die HSH im Herbst 2015 am Ende gewesen. Auch dann wären die Kosten der Länder höher gewesen als das jetzt der Fall ist.

Sie haben das HSH-Drama mehr als zehn Jahre in unterschiedlichen Rollen verfolgt. Was ist am Ende der Geschichte Ihr Fazit?

Tschentscher: Man sollte nie Risiken eingehen, die man nicht in vollem Umfang tragen kann.