Es bleibt ein Desaster für Hamburg und Schleswig-Holstein – aber es endet nicht ganz so schlimm wie befürchtet.

Hamburg. Am Ende zeigten die Protagonisten doch noch, wie es wirklich in ihnen aussah. War die Pressekonferenz von Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU), Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) sowie Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz und Finanzsenator Peter Tschentscher (beide SPD) zum Verkauf der HSH Nordbank zuvor von großem Ernst und staatstragenden Worten geprägt gewesen, standen sich nun nur noch Heinold und Tschen­tscher auf dem Podium im Konferenzsaal des Kieler Landtags gegenüber.

Es war 13 Uhr, draußen herrschte klirrende Kälte, aber die Sonne strahlte über der Förde. Und die beiden Ressortchefs, die seit Jahren im Duett darum gekämpft hatten, den Schaden für ihre Länder in Grenzen zu halten, strahlten für einen kurzen Moment doch mit ihr um die Wette – und nahmen sich innig in den Arm. Geschafft! Endlich!

Sie haben es tatsächlich geschafft, das traurige Kapitel HSH Nordbank nach 15 Jahren zu beenden. Und sie haben es auf eine Weise geschafft, die ihnen viele nicht zugetraut hatten. Die HSH Nordbank auf Anordnung der EU verkaufen? Zu einem festen Stichtag und für einen positiven Verkaufspreis? Unmöglich, hatten nicht nur Regierungskritiker geunkt.

Das ist doch so, als würde man für ein schrottreifes Auto, das für 5000 Euro repariert werden muss, jemanden suchen, der noch Geld dafür bezahlt – so war es anfangs immer wieder düster prophezeit worden. Als sich dann abzeichnete, dass es doch Interessenten gibt, weil die Märkte sich etwas erholten und die HSH ihren „Reparaturbedarf“ schneller reduziert bekam als gedacht, hieß es: Na gut, vielleicht gibt euch jemand einen Euro. Aber bestimmt müsst ihr noch jede Menge Mist dafür übernehmen.

HSH ist Finanzdebakel für Hamburg

Und nun saßen Günther, Heinold, Scholz und Tschentscher nebeneinander und konnten auch offiziell verkünden, was wenige Stunden zuvor schon vom Abendblatt berichtet worden war: Ein Konsortium aus den US-Investoren Cerberus, J.C. Flowers und Golden Tree sowie der britischen Centaurus Capital und der österreichischen Bawag kauft die komplette Bank, mit allem Drum und Dran – abzüglich jener 5,1 Prozent, die ohnehin schon Flowers gehören.

Und sie bezahlen nicht einen Euro, sondern eine Milliarde. Neue Lasten für die Länder? „Es gibt keine neuen Risiken“, betonte Tschentscher.

Aber Genugtuung? Erleichterung? Gar Triumphgetöse? Davon wollten alle Beteiligten nichts wissen. Lediglich Günther räumte ein, dass „auch etwas Erleichterung“ dabei sei. Aber ihre demonstrative Ernsthaftigkeit wollten sich weder der Ministerpräsident noch die anderen Politiker nehmen lassen. Denn was unterm Strich bleibt, ist immer noch das größte Finanzdebakel für die beiden Bundesländer.

Hamburg hält Schaden so gering wie möglich

Zwischen fünf und sieben Milliarden werde das HSH-Abenteuer allein sein Land kosten, sagte Günther. Eine ähnliche Belastung komme auf Hamburg zu, bestätigten Scholz und Tschentscher. Eine unfassbare Summe. „Aber es ist der geringste Schaden, den wir erreichen konnten“, so der Finanzsenator, während Scholz mehrfach die „verantwortungslose Expansionsstrategie in den Jahren 2003 bis 2008“ geißelte. Rückblick: Die HSH Nordbank entstand 2003 aus der Fusion der Landesbanken von Hamburg und Schleswig-Holstein.

Beide Länder reagierten damit auf eine EU-Vorgabe, dass spätestens 2005 Schluss sein müsse mit der Gewährträgerhaftung – also der Möglichkeit staatlicher Banken, sich dank der Haftung ihrer Eigentümer günstiger Geld beschaffen zu können als die Konkurrenz. Also schmiedeten sie unter Führung des damaligen Finanzsenators Wolfgang Peiner (CDU) den Plan, beide Banken zusammenzulegen und an die Börse zu bringen.

Bevor diese Gewährträgerhaftung auslief, saugte sich die HSH jedoch noch einmal mit Milliarden voll und steckte sie – auch mangels Alternative – in zwei Geschäftsfelder, die sie später an den Rand des Abgrunds brachten.

HSH Nordbank vergab Risiko-Kredite

Da war zum einen das zum Teil hochspekulative Kreditersatzgeschäft, in das die HSH bis zu 30 Milliarden Euro investiert hatte. Als die Finanzkrise ausbrach, sorgten diese Geschäfte für Verluste von rund drei Milliarden Euro. Die Bank stand am Abgrund – ein erstes Rettungspaket musste her. Drei Milliarden Euro gaben die beiden Länder ihrer Bank 2009 in bar, weitere zehn Milliarden als Garantie – für die die HSH pro Jahr 400 Millionen Euro Gebühr zahlen musste.

Doch die Erholung, die mit einer Reduzierung der Garantie auf sieben Milliarden Euro und entsprechend niedrigeren Gebühren einherging, währte nur kurz. Denn auf die Finanz- folgte die Schifffahrtskrise.

Nun wurde das zweite Problem offenbar: Rund 40 Milliarden Euro hatte der größte Schiffsfinanzierer der Welt an Krediten vergeben, und das zum Teil unter völliger Missachtung einfachster Risikostandards. Als immer mehr dieser Kredite nicht mehr bedient werden konnten, geriet die Bank erneut ins Trudeln. Also wurde die Garantie wieder auf zehn Milliarden Euro erhöht.

EU stellte ein Verkaufs-Ultimatum

Für die EU war das eine neue staatliche Beihilfe. Die Verhandlungen darüber, während derer die Lage der Bank immer dramatischer wurde und die Länder ihr sogar noch für 2,4 Milliarden Euro faule Schiffskredite abnehmen mussten, zogen sich bis ins Jahr 2016 – und endeten damit, dass Brüssel endgültig der Geduldsfaden riss: Die Länder sollten ihre Bank bis zum 28. Februar 2018 privatisieren.

Und so begann ein irrer Wettlauf gegen die Uhr. 35 Interessenten meldeten sich bis Februar 2017 bei den Ländern, zehn Bieter wurden aufgefordert, ein unverbindliches Angebot abzugeben, und im Sommer drei von ihnen ausgewählt für ernsthafte Verhandlungen: der US-Investor Apollo, die britische Firma Socrates sowie das Konsortium um Cerberus und Flowers – mit dem man ab Januar exklusiv weiterverhandelte. Bis zum letzten Tag.

Am Wochenende sei es noch einmal richtig hektisch geworden, war von Beteiligten zu hören. Es sei dort noch um größere Posten gegangen, die zur Disposition gestanden hätten. Auch beim Kaufpreis habe es bis zuletzt Bewegungen gegeben. Zeitweise habe man rund um die Uhr Kontakt gehabt.

Kaufvertrag ist fünf Ordner dick

„Sie verhandeln noch“, war auch am Montag noch aus Regierungskreisen zu hören. Dienstagvormittag dann endlich die Einigung – ganze anderthalb Tage vor Ablauf der Verkaufsfrist am Mittwoch um 23.59 Uhr. Dienstagabend informierte Tschentscher die Spitzen von SPD und Grünen, am Mittwochmorgen um 8 Uhr dann alle Bürgerschaftsfraktionen. Anschließend düsten er und Scholz nach Kiel.

Um 11 Uhr tagten dort beide Kabinette. Als die Zustimmung zum Verkauf vorlag, wurden die Geschäftsführer der HSH Beteiligungs Management GmbH („HoldCo“), jener Zweckgesellschaft, die die Länderanteile an der Bank hält, informiert: „Ihr könnt jetzt unterschreiben.“ Die HoldCo-Leute saßen in Hamburg in einem Notariat an der Bergstraße, zusammen mit Vertretern der Käufer ließen sie sich den Kaufvertrag vorlesen – fünf Ordner dick.

Während die Politiker in Kiel den Verkauf erklärten, kam von Heinolds Finanzstaatssekretär Philipp Nimmermann die Nachricht: „Der Vertrag ist unterschrieben.“ Es war 12.51 Uhr. Elf Stunden vor Ablauf der Frist war die HSH Nordbank verkauft.