Hamburg. Ahmad A. wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht sieht außerdem “die besondere Schwere der Schuld“.

Es war einer der verstörendsten Mordfälle der jüngeren Hamburger Geschichte. Aus schlichtem „Hass auf alle Ungläubigen“ wurde am 28. Juli 2017 ein zwischen extremer Religiosität und westlicher Lebensweise zerrissener, labiler junger Mann zum Mörder. Jetzt hat das Hanseatische Oberlandesgericht den „Messerstecher von Barmbek“ wegen Mordes und versuchten Mordes in sechs Fällen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit besonderer Schwere der Schuld verurteilt – eine höhere Strafe sieht das deutsche Recht nicht vor.

Drei seiner sechs überlebenden Opfer sitzen dem Angeklagten in Gerichtssaal 237 gegenüber; einer der Nebenkläger wäre am 28. Juli fast gestorben. Gerade hat das Gericht Ahmad A. zu lebenslanger Haft verurteilt, doch wenn diese niederschmetternde Perspektive den Mörder im Innersten bewegen sollte, dann lässt er es sich nicht anmerken. Selbst jetzt bleibt sein Gesichtsausdruck starr. Nur einmal, als der Vorsitzende Richter Norbert Sakuth, sich direkt an ihn wendet und hofft, dass Ahmad A.’s im „letzten Wort“ geäußerte Reue auch in der langen Haft fortbestehen möge, nickt der Angeklagte zustimmend. Eine Frau im Zuschauerraum zischt deutlich hörbar: „Reue? Der? Was für ein Schwachsinn!“

Zerissen zwischen extremer Religiösität und westlicher Lebensweise

Bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe wird nach 15 Jahren geprüft, ob der Verurteilte auf Bewährung entlassen werden kann. Diese Automatik ist in der Regel außer Kraft gesetzt, wenn das Gericht aufgrund einer vom „Normalmaß“ deutlich abweichenden Tat eine „besondere Schwere der Schuld“ feststellt. Wie lange Ahmad A. in Haft bleibt, darüber wird in ferner Zukunft ein Strafsenat entscheiden müssen.

Rückblick: 28. Juli 2017. Im Edeka an der Fuhlsbüttler Straße schnappt sich Ahmad A., aufgewühlt vom Konflikt rund um die Al-Aksa-Moschee in Jerusalem, ein Küchenmesser aus der Auslage und ersticht einen Kunden, den 50 Jahre alten Matthias P. Ohne zu zögern stürmt er zur Fleischtheke, dort fügt er Ingo T. (56) lebensgefährliche Verletzungen zu. Unter „Allahu Akbar“-Rufen verlässt er dann den Supermarkt und sticht auf Passanten ein. Drei weitere Männer und zwei Frauen erleiden schwere bis lebensgefährliche Verletzungen. Ahmad A. wütet solange, bis ihn eine Gruppe mit Stühlen und Steinen bewaffneter Passanten stoppt, überwiegend Muslime wie er selbst. Den Männern gelingt es, ihn mit einem Steinwurf außer Gefecht zu setzen. Mit einem „süffisanten Lächeln im Gesicht“ erzählt Ahmad A. einem LKA-Beamten kurz darauf, er habe so viele (junge) deutsche Christen töten wollen wie nur irgendmöglich. Leider sei er nicht als Märtyrer gestorben.

Es handelte sich um eine „relative Spontantat“

Geplant habe Ahmad A. die Tat nicht, es handele sich um eine „relative Spontantat“, sagte Richter Sakuth am Donnerstag. Am Morgen hatte er noch in seiner Langenhorner Unterkunft mit einem Mitbewohner Tee getrunken und sich mit den Worten „Bis heute Abend“ verabschiedet. Er ging zur Sprachschule und dann zur Ausländerbehörde, um seine wegen fehlender Papiere verzögerte Ausreise in sein Heimatland zu beschleunigen – vergebens. Schließlich besuchte er die Moschee, wo sich der Imam für eine friedliche Lösung des Konflikts in Jerusalem aussprach. Trotzdem ging der Angeklagte dann in den Supermarkt, um aus religiösem Eifer „Kuffar“ (Ungläubige) zu töten. Die Ungläubigen wiederum identifizierte er allein anhand ihrer hellen Hautfarbe. Keines seiner Opfer hatte damit gerechnet, von einem messerschwingenden Islamisten angegriffen zu werden. Ahmad A. habe „heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen“ gehandelt, sagte Sakuth. Wie der psychiatrische Gutachter feststellte, sei Ahmad A. zur Tatzeit „voll schuldfähig“ gewesen.

Noch einmal skizzierte das Gericht am Donnerstag den Lebensweg des geständigen Angeklagten. Wie der Palästinenser, fasziniert von der westlichen Lebensweise, nach Etappen in Norwegen, Schweden und Spanien schließlich im März 2015 in Deutschland ankam.

Ein Terrorist im juristischen Sinne ist Ahmad nicht

Wie zuvor passte sich Ahmad A. auch hier an: Er besuchte ein Fitnessstudio, rauchte, trank Alkohol, bestach im Sprachkurs durch exzellente Leistungen. Als absehbar wurde, dass sein Asylantrag abgelehnt werden würde, habe er sich radikalisiert. Immer wieder wechselten sich gemäßigte, „westliche“ Phasen mit radikalen ab. Dabei habe er „das schlichte Weltbild“ der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) übernommen. Den Dschihadismus habe er vor allem zur „Selbstwertstabilisierung“ benötigt, sagte Yasemin Tüz, Vertreterin der Bundesanwaltschaft.

Ein Terrorist im juristischen Sinne ist Ahmad jedoch nicht – auch wenn er einen Treueschwur auf den IS abgelegt, eine IS-Fahne gebastelt und nach der Bluttat einem Polizisten ins Protokoll diktiert hatte „Ich bin Terrorist“. Der nicht vorbestrafte Mann sei ein Einzeltäter und nicht Mitglied einer terroristischen Vereinigung gewesen, sagte Sakuth. Gleichwohl sei er aufgrund seiner labilen Persönlichkeit anfällig gewesen. „Er hat sich durch die Propaganda des IS instrumentalisieren lassen“, so Sakuth. „Insoweit hatte der IS Erfolg.“ Die Strategie des IS, mit derartigen Taten „die Gesellschaft zu spalten“, sei aber nicht aufgegangen. Die „praktizierte Solidarität von Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen“ habe am Tattag das Gegenteil bewiesen.