Hamburg. Zeugen beschreiben Angeklagten als Persönlichkeit mit erschreckenden Stimmungsschwankungen – mal Islamist, mal Kiffer.
Als seine sechs Opfer am vergangenen Freitag über die Tat und ihr schwieriges Leben danach berichteten, wirkte der Angeklagte noch wie versteinert. Als am Montag seine ehemalige Sprachlehrerin vor Gericht aussagt, huscht über das Gesicht des Messerstechers von Barmbek ein Lächeln – es ist das erste Mal überhaupt, dass Ahmad A. in dem Prozess eine erkennbare Gefühlsregung zeigt.
Die Lehrerin, die ihn in den vier Wochen vor dem Attentat unterrichtet hat, erinnert sich an den Angeklagten als „weltoffenen, an europäischer Kultur“ interessierten Menschen, der im Kurs die beste Leistung gezeigt habe. Er habe gern über das Reisen und Couch-Surfing gesprochen, er sei „sehr fleißig“ gewesen und selbstbewusst aufgetreten. „Einmal hat er mir gesagt, dass er lernen wolle, seine Gefühle besser zu zeigen“, sagt die 25-Jährige. Als sie den Gerichtssaal wieder verlässt, nickt ihr Ahmad A. zu – abermals mit einem Lächeln.
Tiefgespaltener Mensch
Es fällt schwer, den 26 Jahre alten Palästinenser in einer Schublade einzuordnen. Hier die monströs-mitleidslose Tat vom 28. Juli 2017, als Ahmad A. in und vor einer Edeka-Filiale an der Fuhlsbüttler Straße einen Menschen erstach und sechs weitere schwer verletzte; seine Sympathie für den Islamischen Staat (IS) und die völlige Abwesenheit von Reue im gegenwärtigen Verfahren vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts.
Dort ein Mann, den Zeugen am Montag als ebenso „hilfsbereiten“ wie in seinen ethisch-religiösen Ansichten tiefgespaltenen Menschen beschreiben. Zwar hat Ahmad A. bereits am ersten Prozesstag sämtliche Vorwürfe eingeräumt. Die Bundesanwaltschaft hat ihn wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung in sechs Fällen angeklagt. Doch auf Fragen des Gerichts zu seiner religiösen Radikalisierung hat er bisher geschwiegen.
„In seinem Verhalten sehr wechselhaft“
Antworten darauf liefern am Montag zwei Zeugen, sie kannten Ahmad A. aus dem Flüchtlingsheim Kiwittsmoor. „Er war in seinem Verhalten sehr wechselhaft“, sagt Samet N. (42). Beide Ex-Mitbewohner berichten, dass sich bei Ahmad A. Phasen eines eher „westlich geprägten Lebensstils“ abrupt mit „sehr gläubigen“ Phasen abwechselten. Mal betete Ahmad A. viel, trug lange weiße Gewänder, hielt Hassreden gegen den Westen und las aus dem Koran derart laut, dass seine Zimmernachbarn jedes Wort verstehen konnten; in dieser Phase habe er mitunter ein an Hysterie grenzendes religiöses Eifertum gezeigt und andere Muslime als „Hunde“ beschimpft.
Doch außerhalb der religiösen Schübe habe man ihn praktisch täglich mit einem Joint in der Hand gesehen, sogar im Fastenmonat Ramadan. Ahmad A. habe sich mit anderen unterhalten, sei „hilfsbereit und nett“ gewesen und habe von der „Freiheit in Deutschland geschwärmt“, so der Zeuge. Es waren demnach vor allem Stimmungen, die entschieden, in welchem „Aggregatzustand“ sich der Angeklagte befand – weltoffen-liberal, scheinbar tiefgläubig oder gar fanatisch.
Auch das Wetter spielte eine Rolle
Sogar das Wetter spielte eine Rolle. „Im Sommer hat er Haschisch geraucht und Mädchen angesprochen; wurde das Wetter schlecht, hat er sich in sein Zimmer verkrochen und uns als Hunde beschimpft“, sagt der Zeuge Mustafa A. Einmal habe Ahmad A. erklärt, dass er sich dem IS anschließen wolle, wenn er nicht in Deutschland bleiben dürfe. „Ich glaube, er war am Boden zerstört, weil er keine Bleibeperspektive hatte“.
Zentrales Thema sei für Ahmad A. die Blockade der al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg in Jerusalem durch jüdische Sicherheitskräfte gewesen, dafür habe er auch „den Westen“ verantwortlich gemacht, sagt der Zeuge. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass es die Wut über die Blockade und das den Muslimen angeblich weltweit widerfahrende Unrecht war, die ihn zu dem Attentat am 28. Juli verleitete. Ein Verbrechen, das der Angeklagte als „seinen Beitrag zum Dschihad“ betrachtet habe.
Messerangriff in Hamburger Supermarkt:
Messerangriff in Hamburger Supermarkt
Anzeichen für extremistische Tendenzen gab es aber schon lange davor. So hatte im März 2016 die Wohnunterkunft Kiwittsmoor die Hamburger Beratungsstelle für religiöse Extremisten (Legato) eingeschaltet. Grund: Ahmad A. habe sich in auffälliger Weise verändert, habe sich einen Bart wachsen lassen und lange weiße Gewänder getragen, wie sie für Islamisten typisch sind, berichtet eine Mitarbeiterin der Langenhorner Unterkunft im Zeugenstand. Im November 2016 habe man Legato sogar eine Fallkonferenz in Sachen Ahmad A. vorgeschlagen – „dies wurde aber nach einem ersten Kontakt mit Hinweis auf eine psychische Krise des Angeklagten abgelehnt“, sagt die Zeugin.
Kontakt zu Legato aufgenommen
Gekleidet wie ein Islamist erschien Ahmad A. Ende 2016 auch im Flüchtlingscafé der Universität Hamburg. Der Angeklagte sei dort seit 2015 regelmäßig Gast gewesen und habe als „freundlich und aufgeschlossen“ gegolten, sagt der Zeuge Leon H. (23). Am 17. November 2016 jedoch habe sich Ahmad A. im „weißen Prediger-Outfit“ in die Mitte des Raumes gestellt und lautstark das Wort ergriffen. In seiner „letzten Botschaft an die Regierung von Deutschland“, abgelesen aus einem später sichergestellten Notizbuch, hieß es unter anderem: „Verlasst euer Land und rettet eure Leute; die Flammen des Krieges werden auch euch erreichen.“
Nach dem „bedrohlichen Auftritt“, so Leon H., habe man Kontakt zu Legato aufgenommen. „Dort hieß es, dass man bei Ahmad in erster Linie ein psychisches Problem sähe und deshalb nicht zuständig sei“, sagt Leon H. Das Gericht hat am Montag entschieden, einen Mitarbeiter der Beratungsstelle auf die Zeugenliste zu setzen – er soll am 9. Februar vernommen werden.
Große Ehrung für die „Helden von Barmbek“:
Große Ehrung für die „Helden von Barmbek“