Hamburg. Freund berichtet, wie sich Ahmad A. vor der Tat veränderte. „Helden“ schildern ihr Eingreifen. Ex-Mitarbeiter: „Ich hatte große Angst.“
Toufiq A., klein und schmächtig, fast zierlich, wirkt nicht wie jemand, der sich blindlings in eine körperliche Auseinandersetzung stürzen würde. Doch am 28. Juli 2017 wuchs der 21-Jährige buchstäblich über sich hinaus. Er stellte sich Ahmad A. entgegen, als der Islamist an jenem Tag in und vor einer Edeka-Filiale an der Fuhlsbüttler Straße auf Kunden und Passanten einstach. „Ich hatte Angst, aber ich wollte nicht, dass er noch mehr Menschen verletzt“, sagt er.
Im Prozess gegen den Attentäter hat Toufiq A. am Freitag als Zeuge ausgesagt. Er gehört zu jenen sieben mutigen Männern, die als „Helden von Barmbek“ in die Geschichte der Stadt eingegangen sind. Sie stoppten Ahmad A. mit Metallstangen, Steinen und Stühlen, bevor er noch mehr Menschen verletzen und ermorden konnte. Schließlich sei das sein Ziel gewesen, erzählte der Angeklagte einem LKA-Beamten nach dem Attentat mit einem Toten und sechs teils lebensgefährlich verletzten Menschen: Er habe so viele deutsche Christen töten wollen wie nur irgend möglich. Ohne jede Gemütsregung hatte Ahmad A. bereits die Aussagen der sechs überlebenden Opfer vor zwei Wochen verfolgt. Am Freitag, als drei der „Helden“ dem Gericht schildern, wie sie ihn stoppten, sieht man ihn milde lächelnd den dunklen Vollbart zupfen – offenbar ist Ahmad A. mit sich und der Welt im Reinen.
“Er hat Mordlust ausgestrahlt“
Den Beginn des Exzesses im Edeka-Markt hatte der Auszubildende Ayken C. (20) erlebt. Er sei auf dem Weg in die Pause gewesen, da sei Ahmad A. auf ihn zugestürmt. „Er war blutverschmiert, hat Mordlust ausgestrahlt“, sagt der Zeuge. Voller Angst sei er ins Lager geflohen und habe sich dort eingeschlossen. Auch sein Kollege Toufiq A. – der kleine, tapfere Mann – sieht den Attentäter am Freitag erstmals im Gerichtssaal wieder. Er saß Ende Juli als Auszubildender an der Kasse – inzwischen hat er bei Edeka gekündigt. Die Bilder hätten ihn nicht mehr losgelassen, sagt er. Als er danach zur Arbeit in den Supermarkt ging, habe er immer an den Messerangriff denken müssen.
An jenem Tag wäre er am liebsten auch weggerannt, als er Gläser splittern und den Mann „Allahu Akbar“ brüllen hörte. „Ich hatte große Angst. Als ich mich an der Tür umdrehte, sah ich einen jungen Mann mit einem Messer in der Hand, die Hand war voller Blut“, sagt der Zeuge. „Ich dachte nur: Wir müssen etwas unternehmen. Er wollte die Leute töten.“ Draußen habe er sich mit einem Stuhl bewaffnet und so viele Menschen wie möglich gewarnt. Inzwischen hätten weitere Männer den Angreifer verfolgt. „Sie sagten: Tu das nicht! Darauf hörte ich, wie er sagte: Lasst mich! Wenn ihr kommt, seid ihr auch dran.“
Männer kreisten den Messerstecher ein
In den Tumult geriet nach einem Moschee-Besuch auch der Zeitungszusteller Mohammed W. (49). Er habe den Messerstecher auf Arabisch angesprochen. „Ich sagte: Junge, wach auf, wirf das Messer weg.“ Courage zeigte auch Khouldon R. (40), der am Tatort mit seinen Kindern spazieren ging. Gewappnet mit einem herumliegenden Paket sei er zu Ahmad A. gelaufen und habe ihm zugerufen: „Du Hund, du bist kein Mann.“ Darauf habe der ihm entgegnet: „Ich will nichts von euch. Ich will nur die anderen, die Ungläubigen.“ Der 40-Jährige: „Dazu musst du uns erst kriegen.“ In einer Nebenstraße kreisten die Männer den Messerstecher ein, bewarfen ihn unter anderem mit Stühlen. Mit einem Steinwurf gegen den Kopf habe einer der Verfolger den Attentäter außer Gefecht setzen können, ein anderer habe mit einer Metallstange auf ihn eingeschlagen.
Der abgelehnte Asylbewerber hat die Tat bereits zum Prozessauftakt gestanden. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm Mord und versuchten Mord in sechs Fällen vor – die Tat sei islamistisch motiviert. Einen weiteren Beleg für die krude Gedankenwelt liefert das Notizbuch des Angeklagten, dessen Inhalt von einem Islamwissenschaftler des Bundeskriminalamts (BKA) analysiert wurde. Wie aus der am Freitag vom Oberlandesgericht verlesenen Auswertung hervorgeht, war das Büchlein vollgestopft mit „blumigen Botschaften“ über die Opfer- und Kampfbereitschaft der „Gotteskrieger“ und Lobpreisungen des Dschihad.
Ehemaliger Freund: "Ich bekam Angst vor ihm"
Bereits im Frühjahr 2016 befürchteten Mitarbeiter der Wohnunterkunft von Ahmad A. eine Radikalisierung des Mannes. Sie schalteten deshalb die Extremisten-Beratungsstelle Legato ein. Ein ehemaliger Legato-Mitarbeiter berichtete, dass der Mann schon beim ersten Besuch „instabil, misstrauisch und hoffnungslos“ gewirkt habe. Bei einem weiteren Treffen im November habe ihn Ahmad A. als „Agent der Behörde“ bezeichnet. „Ich hatte Angst vor ihm und dachte, dass ich diesen Tag nicht überleben werde“, so der Zeuge. Er habe empfohlen, ihn in eine psychiatrische Einrichtung einzuweisen und das LKA einzuschalten.
Vor seiner Radikalisierung verhielt er sich offenbar unauffällig, wie sein Freund Ali S. (27) berichtete. Ahmad A. habe Alkohol getrunken und Marihuana geraucht, Religion sei nie ein Thema gewesen. Er habe sich aber verändert. „Dann bekam ich Angst vor ihm.“