Hamburg. 2018/19 wollen der Chefdirigent und das Philharmonische Staatsorchester den Kontrast von Klassikern mit Zeitgenossen betonen.

Die derzeitige Gesamtauslastung der Philharmoniker-Kon­zerte hat große Ähnlichkeit mit den Wahlergebnissen, die Martin Schulz zum SPD-Vorsitzenden und Annegret Kramp-­Karrenbauer zur CDU-Generalsekretärin machten: 98,99 Prozent, von Orchesterintendant Georges Delnon auf 99 Prozent aufgerundet. Das sind rund zehn Prozent mehr als in der Vorsaison, und sie sind, bei allem Zweck­enthusiasmus, durchaus der Anziehungskraft einer sehr speziellen Kultur-Immobilie am Elbufer ­geschuldet.

Bei der Präsentation der nächsten Philharmoniker-Spielzeit wurde dieser Ausnahmezustand fast lässig durchgewunken, denn die nächsten Hürden für Chefdirigent Kent Nagano und sein ­Orchester sind programmatischerer Art: wie jetzt weitermachen? ­Womit sich selbst an nächste Grenzen bringen oder darüber ­hinaus, wenn ein ständig volles Konzerthaus die Regel ist und nicht mehr frommer Wunsch der Marketingabteilung? Nagano und sein Team setzen für 2018/19 auf die publikumspädagogische Wirkung, die sich ergeben soll, sobald man sehr klassische Klassiker mit großen Klassikern der ­Moderne in ­Beziehung setzt. Schön kann das sein, erst recht, wenn die musikalische Qualität in der Umsetzung stimmt; radikal neu ist das als Strickmuster allerdings nicht, während auf einem Plakat in ­Naganos Rücken Beethoven zitiert wurde: „Wahre Kunst ist eigensinnig.“

Die Saison beginnt mit drei Wiener Klassikern

Nach einer aktuellen Spielzeit, die mit ihren Ein-Komponisten-Akademie-Programmen insbesondere als Feinschliff-Langstrecke für die musikalischen Fähigkeiten der Philharmoniker gedacht war, folgen Konstellationen, für die Kent Nagano euphorische Worte wählte: „Jetzt müssen wir einfach loslegen.“ Er schwärmte von programmatischer Dialektik und dass Experiment und Risiko absolut notwendig seien. Er wolle Möglichkeiten und Grenzen der Elbphilharmonie weiter austesten, sagte er. „Wir erkunden unsere Welt durch Kunst.“ Universales Denken, universale Themen, „wir werden viel mehr Crescendi machen“.

Damit es dazu kommt, beginnt die Saison am 16. September mit drei Wiener Klassikern: Haydn, Schönberg und Mozart, mit dem Pianisten Christian Zacharias in Doppelfunktion als Solist und Dirigent. Der US-Amerikaner Kent Nagano kombiniert den eigenbrötlerisch-sperrigen US-Amerikaner Charles Ives, genauer gesagt dessen 4. Sinfonie, mit dem Beethoven-Violinkonzert, bei dem Viktoria Mullova den Solo-Part übernimmt, also keine der vielen Gefälligkeits-Geigerinnen. Im Folgekonzert treffen Ligetis „Atmosphères“ und Wagners „Lohengrin“-Vorspiel auf Jörg Widmanns „Con brio“ und Beethovens „Pastorale“. Für Saint-Saëns’ Cellokonzert wurde mit Camille Thomas ein Talent engagiert, das sich im Virtuosinnen-Markt noch beweisen muss.

Ein Silvesterkonzert für Feinschmecker

Das Silvesterkonzert ist für Feinschmecker komponiert: etwas Hosokawa aus der in Hamburg uraufgeführten Katastrophen-Oper „Stilles Meer“, eine Bach-Suite und zwei Brahms-Motetten, Varèses „Octandre“ und Mozarts Missa brevis. Andernorts ist mehr Lametta.

Das Januarkonzert verabschiedet sich von der Kontraste-Regel: Brahms’ 1. Klavierkonzert mit Herbert Schuch, ­dazu die Vierte, beides dirigiert ­Nagano. Bei seinem Debüt in der Elbphilharmonie im Rahmen der Echo-Klassik-Sause war der junge Franzose Lucas Debargue leider nur sehr kurz im Bild; im Februar wird er für das Ravel-Klavierkonzert wiederkommen, umrahmt von Liszts Tondichtung „Orpheus“ und Suks „Ein Sommermärchen“. Als erste von zwei Mahler-Sinfonien nehmen sich die Philharmoniker im März 2019 die Vierte vor, kombiniert mit Verdis „Quattro pezzi sacri“ und dirigiert von Paolo ­Carignani.

Bleibende Werte jenseits der klingenden Luft in den Abo-Konzerten

Kent Nagano stellt Mitte April Boulez’ „Rituel in memoriam Bruno Maderna“ in Beziehung zu Mozarts c-Moll-Messe, wenig später folgt im Rahmen des Musikfests ein in dieser Gedanken-spur bleibendes Sonderkonzert mit dem Ligeti-Requiem und Mahlers Zweiter, der „Auferstehungssinfonie“, für die Mahler während seiner Hamburger Zeit als Stadttheater-Kapellmeister bekanntlich im Michel eine letzte Inspiration erhielt. Das vorletzte Konzert (Gastdirigent: Dennis Russell Davies) kombiniert das Mendelssohn-Violinkonzert (Solist: Konradin Seitzer) mit Schostakowitschs Zwölfter, bevor die Saison mit zwei großen Unvollendungen endet: Messiaens „Quartett für das Ende der Zeit“ und Bruckners Neunte.

Die Philharmonischen Kammerkonzerte sind in bewährter Weise als Bonustracks konzipiert, Komponisten aus dem Hauptprogramm hallen dort nach. Besondere Gäste: der Tenor Klaus Florian Vogt mit einer Kammerorchester-Version von Schuberts „Schöner Müllerin“ und der Hamburger Vordenker Jan Philipp Reemtsma als Rezitator von Texten aus der Feder des Aufklärers Christoph Martin Wieland (1733–1813), einem seiner Lieblingsdichter.

In der Abteilung hiesiger Kundendienst gibt es Neues

Bleibende Werte jenseits der klingenden Luft in den Abo-Konzerten soll es bald geben: In wenigen Wochen, so Nagano, erscheint bei ECM der Live-Mitschnitt von Widmanns spektakulärem „ARCHE“-Oratorium aus den Elbphilharmonie-Eröffnungstagen auf CD; im Herbst startet bei BIS ein Zyklus der Brahms-Sinfonien mit einer Aufnahme der Zweiten. Damit hätte man auch verteilbare Visitenkarten für Auswärtsspiele wie jene Philharmoniker-Tournee, die Ende Januar 2019 nach Spanien führen soll. Nicht in Sicht: eine Ausweitung der örtlichen Konzertangebote, womöglich ­sogar zur Belebung des dortigen Angebots in der Ex-Spielstätte Laeiszhalle. Der Wunsch sei zwar da, aber die Dienst-Kapazitäten seien komplett ausgereizt. So kann man auch mit einer historischen Chance umgehen.

In der Abteilung hiesiger Kundendienst gibt es Neues: rund 500 frische Kombi-Abos, mit denen die Kunden in die Elbphilharmonie kommen können, aber auch in die Staatsoper gelockt werden sollen. Denn an der Dammtorstraße gibt es – im Vergleich mit der Elbphilharmonie kein Wunder – bei den Auslastungszahlen noch Luft nach oben.

www.staatsorchester-hamburg.de
Der Einzelkartenverkauf beginnt am 21.6., die Abo-Bestellfrist beginnt am 28.3.2018