Hamburg. Bundesverwaltungsgericht gibt grünes Licht für Fahrverbote. 239.000 Wagen in der Hansestadt betroffen. Das sind die ersten Reaktionen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden: Städte dürfen bei der geltenden Rechtslage eigenständig Fahrverbote verhängen. Damit werden wohl bereits im Frühjahr in Hamburg die ersten Durchfahrtssperren verhängt: an der Max-Brauer-Allee und der Stresemannstraße, die besonders stark von Stickoxiden belastet sind.
Betroffen sind rund 600 Meter der Max-Brauer-Allee zwischen Chemnitzstraße/Gerichtstraße/Julius-Leber-Straße und Holstenstraße, sowie ein 1,6 Kilometer langer Abschnitt auf der Stresemannstraße zwischen Kaltenkircher Platz und Neuer Kamp. An der Max-Brauer-Allee sollen laut Luftreinhalteplan keine Dieselfahrzeuge (Lkw und Pkw) mehr fahren dürfen, die nicht die Abgasnorm 6 bzw. Euro VI erfüllen. Die Stresemannstraße soll ausschließlich für Lkw gesperrt werden, die nicht der Abgasnorm "Euro VI" entsprechen.
Durchfahrtsbeschränkungen ab Ende April
"Das Gerichtsurteil ist eine starke Entscheidung für den Schutz der Gesundheit", sagte Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) am Dienstag. "Wir können jetzt die beschlossenen Maßnahmen in Hamburg wie geplant umsetzen. Die Schilder können noch heute bestellt und binnen weniger Wochen aufgestellt werden." In Kraft treten würde die Durchfahrtsbeschränkung erst, wenn die Beschilderung komplett ist. Die Umweltbehörde teilte am Dienstagnachmittag mit, dass alle Vorbereitungen für die Beschilderung und die Ausweichstrecken abgeschlossen sind. "Die Durchfahrtsbeschränkungen werden damit voraussichtlich Ende April 2018 wirksam", heißt es in der aktuellen Mitteilung.
Das sind die geplanten Ausweichrouten
Bei dem Dieselfahrverbots-Abschnitt Max-Brauer-Allee gibt die Behörde die Königstraße und Holstenstraße als Ausweichroute an. Im Fall des Diesel-Lkw-Fahrverbots auf der Stresemannstraße gelten folgende Ausweichrouten:
- Richtung Westen: Klosterwall – Steintorwall – Glockengießerwall – Lombardsbrücke – Esplanade – Gorchfock-Wall – Jungiusstraße – St. Petersburger Straße
- Oder: Glacischaussee – Holstenglacis – St. Petersburger Straße
- Oder: Neuer Kamp – Feldstraße - Holstenglacis – Karolinenstraße
- Gemeinsame Führung ab Rentzelstraße: Rentzelstraße – Schröderstiftstraße – Schäferkampsallee – Fruchtallee – Doormannsweg – Alsenplatz – Augustenburger Straße
- Richtung Osten: Bornkampsweg – Holstenkamp – Eimsbütteler Marktplatz – Fruchtallee
- Oder: Kaltenkirchener Straße – Augustenburger Straße – Doormannsweg
- Gemeinsame Führung ab Fruchtallee: Fruchtallee – Schäferkampsallee – Schröderstiftstraße – Rentzelstraße – Karolinenstraße – Holstenglacis – Sievekingplatz
Dieselfahrverbot: Hier geht es zum Leitartikel
In den Diesel-Durchfahrtsbeschränkungen sieht Kerstan auch eine Botschaft an die Autohersteller, schnell bezahlbare Alternativen zu schmutzigen Dieselmotoren auf den Markt zu bringen. "Die zwei Durchfahrtsbeschränkungen sind nur ein kleiner Teil dessen, was wir für saubere Luft in Hamburg tun", sagte Kerstan und verwies unter anderem auf den Ausbau des Bus- und Bahnnetzes sowie der Radwege und die Anschaffung von emissionsfreien Bussen.
Der Umweltsenator betonte zugleich: "Auch wenn der Gesundheitsschutz der Bevölkerung Vorrang haben muss, ist das Urteil für die Autofahrer eine besondere und unverschuldete Härte." Verantwortlich dafür sei in erster Linie die Autoindustrie. Zudem habe die Bundesregierung zudem versäumt, Nachrüstungen auf Kosten der Hersteller anzuordnen. Kerstan: "Was wir jetzt von der Bundesregierung brauchen, sind wirksame Regelungen für praktikable Kontrollen."
In Hamburg wären 239.000 Fahrzeuge betroffen
Unklar ist dabei allerdings, wie die Einhaltung der Verbote überhaupt kontrolliert werden soll. Zuletzt hatten die Polizeigewerkschaften darauf hingewiesen, dass es schon aufgrund fehlenden Personals nicht möglich sei, Diesel-Fahrverbote ausreichend zu kontrollieren. "Wir müssen uns angesichts der Personaldecke auf Kernaufgaben beschränken", sagte der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei, Arnold Plickert, der "Welt am Sonntag". "Wer glaubt, dass wir solche Verbote dauerhaft durchsetzen können, der irrt."
Tatsächlich dürften die Kontrollen schwierig sein, da es sogar erlaubt sein soll, mit seinem alten Diesel durch die Verbotsstrecken zu fahren, wenn man Anlieger besuchen oder beliefern möchte. Anlieger selbst und auch Müll- oder Rettungswagen dürfen natürlich ebenfalls mit ihren alten Dieseln durch die Abschnitte fahren. Stand Mitte 2017 erfüllten lediglich 114 der 661 Dieselfahrzeuge der Feuerwehr die neue Euro-6-Norm. Insgesamt wären in Hamburg nach Senatsangaben aus dem vergangenen Jahr rund 239.000 ältere Dieselfahrzeuge von den Durchfahrtsverboten betroffen.
CDU: Scheinerfolg für Autogegner
Die Hamburger CDU-Bürgerschaftsfraktion übte kurz nach dem Diesel-Urteil herbe Kritik, dieses sei ein "Scheinerfolg für Autogegner". Die Fahrverbote seien sozial ungerecht, unkontrollierbar und schadeten der Mobilität. „Das heutige Urteil zementiert den Diesel-Wortbruch des Bürgermeisters", sagte der CDU-Verkehrsexperte Dennis Thering. Ein weiteres seiner Versprechen sei heute geplatzt wie eine Seifenblase. "Dabei hatten der Erste Bürgermeister und der Verkehrssenator sieben Jahre Zeit, für bessere Luft auf und an Hamburgs Straßen zu sorgen. An dieser Aufgabe sind Scholz und Horch gescheitert", kritisierte Thering.
Der CDU-Politiker warf Scholz und Horch vor, dass sie sich von Umweltsenator Jens Kerstan hätten vorführen lassen. Dabei haben sie das Hauptproblem für verkehrsbedingten Schadstoffausstoß komplett aus den Augen verloren, sagte Thering. "Denn nichts schadet Umwelt, Wirtschaft und Gesundheit so stark wie das Verkehrschaos auf Hamburgs Straßen." Der CDU-Mann forderte, dass der Senat den Kampf gegen die "Staustadt Hamburg" aufnehmen müsse.
Auch Roland Heintze, Landesvorsitzender der CDU Hamburg, warnte vor Schnellschüssen. „Ein allgemeines Dieselverbot in der Innenstadt legt das städtische Leben lahm", sagte er. "Es trifft vor allem Handwerker und Lieferanten und damit auch die Bewohner der Innenstädte." Heintze fürchtet, dass durch die Dieselfahrverbote ein Flickenteppich an Verordnungen entstehen wird. Er fordert eine einheitliche Regelung auf Bundesebene.
FDP: Bestraft werden kleine Handwerksbetriebe
Äußerst kritisch sieht das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auch die FDP. "Die Fahrverbote werden hauptsächlich kleine Handwerksbetriebe und Lieferanten sowie Bürger mit älteren Autos treffen, die in gutem Glauben einen Diesel gekauft haben", sagte Ewald Aukes, Verkehrsexperte der FDP-Bürgerschaftsfraktion. Diese dürften seiner Meinung nach jedoch nicht für die Fehler der Autohersteller und des Staates bestraft werden. "Der Hamburger Senat war viel zu lange untätig", sagte Aukes. Er bemängelt, dass die digitale Vernetzung des Verkehrs in Hamburg noch immer in den Kinderschuhen stecke. Die FDP fordert ein Verkehrskonzept aus einem Guss. "Denn nur so lassen sich unnötige Durchgangsverkehre verhindern."
"Handwerk und Kunden zahlen Zeche"
Ebenfalls wenig erfreut über die Dieselfahrverbote zeigt sich die Handwerkskammer Hamburg. Diese verweist darauf, dass 78 Prozent der Handwerkerfahrzeuge mit Diesel betrieben werden. „Jetzt gehören das Handwerk und seine Kunden zu denen, die die Zeche bezahlen", sagte der Handwerkskammer-Präsident Josef Katzer. Auch wenn die Umsetzung in Hamburg mit Augenmaß erfolge, bleibe ein schaler Beigeschmack. Katzer: "Die eigentlichen Verursacher der Stickoxid-Thematik sind nicht die Dieselfahrer, sondern die Hersteller der Dieselfahrzeuge." Er prangert an, dass die Autoindustrie es versäumt habe, saubere Fahrzeuge anzubieten. "Die Politik hat die Kontrollen schleifen lassen“, sagte Katzer.
Linksfraktion: Höchste Zeit für eine Wende
Für die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft ist das Dieselfahrverbot hingegen "völlig unzureichend" – sie spricht von "zwei Mini-Durchfahrtsverboten" auf der Max-Brauer-Allee und der Stresemannstraße. Heike Sudmann, verkehrspolitische Sprecherin der Linksfraktion: „Es ist schon traurig, dass es nur mit einem Gerichtsurteil härte Maßnahmen für saubere Luft gibt." Die regierenden Parteien im Bund und in Hamburg müssten endlich begreifen, dass sie nicht die Autoindustrie, sondern die Menschen und das Klima zu schützen haben. "Es ist höchste Zeit für eine Wende, damit nicht mehr das Auto im Mittelpunkt der Verkehrsplanung steht“, sagte Sudmann. „Hamburg kann erst durchatmen, wenn der schmutzige Autoverkehr insgesamt stark reduziert wird. Bus und Bahn müssen dafür kräftiger ausgebaut werden."
Grüne: Fahrverbote allein nicht ausreichend
Für dringend notwendig hält auch die Grünen-Bürgerschaftsfraktion ein Fahrverbot für alte Dieselfahrzeuge. „Auch um den Druck auf die Automobilindustrie zu erhöhen, die sich offenbar einen Dreck um saubere Luft und damit um die Gesundheit der Menschen schert", sagte Anjes Tjarks, Vorsitzender der Grünen-Bürgerschaftsfraktion. Dennoch seien Fahrverbote als letztes Mittel zu begreifen und allein nicht ausreichend, um die Luftqualität in Hamburg zu verbessern. Tjarks: "Wir versuchen, mit Maßnahmen wie dem Ausbau des ÖPNV oder der Rad- und Fußwegeinfrastruktur, attraktive Alternativen zum Auto zu schaffen." Zudem fordern die Grünen, dass die Autos selbst sauberer werden müssen.
ADFC: Großräumig Tempo 30
Auch der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) fordert eine Verkehrswende für Hamburg. Die Zeiten, in denen die Menschen in den Städten klaglos ertragen mussten, von Autoabgasen krank zu werden, seien vorbei, sagte Jens Deye vom Vorstand des ADFC Hamburg. "Auch die Bürger Hamburgs haben ein Recht darauf, dass die Stadt ihre Gesundheit schützt." Wenn der Senat flächendeckende Fahrverbote vermeiden wolle, brauche Hamburg jetzt eine Verkehrswende, die dem Radverkehr und ÖPNV absoluten Vorrang vor dem Autoverkehr einräumt. Der ADFC schlägt die großräumige Ausweisung von Tempo 30 vor.
BUND fordert "Blaue Plakette"
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sieht in den Fahrverboten für Dieselfahrzeuge einen großen Fortschritt. „Die heutige Entscheidung ist richtungsweisend", sagte Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des BUND Hamburg. „Verbote für einzelne Straßen dürfen jedoch nur der Anfang sein, da sie das Problem teilweise auf die Nachbarstraßen verlagern.“ Ziel müsse es sein, ein flächenhaftes Einfahrtsverbot für Dieselfahrzeuge in die City zu verhängen. Für den BUND ist eine „Blaue Plakette“ dafür am besten geeignet – also eine bundeseinheitlichen Kennzeichnung, die es Fahrzeugen mit zu hohem Stickoxidausstoß untersagt, in eine Umweltzone einzufahren.