Hamburg. Tankstellen suchen das Geschäft der Zukunft. Auf längere Sicht wird der Absatz von Diesel und Benzin sinken.

Wer die öffentliche Diskussion über Elektromobilität verfolgt, könnte leicht zu dem Schluss kommen, die klassische Tankstelle sei ein Auslaufmodell. Doch aktuell sieht die Realität ganz anders aus: Der Absatz von herkömmlichen Treibstoffen, vor allem von Diesel, steigt seit Jahren wieder an. Verantwortlich dafür sind die Lkw, auf die ungefähr die Hälfte des Diesel-Verbrauchs entfällt: „Die Transportbranche berichtet über gigantische Fahrleistungen, und das treibt den Absatz hoch“, sagt Rainer Wiek vom Energie Informationsdienst (EID) in Hamburg.

Zwar verteilen sich die Verkaufsmengen von Diesel und Superbenzin tatsächlich auf eine immer geringere Zahl von Straßentankstellen, aber zuletzt hat sich diese Abwärtstendenz abgeflacht. Bei Shell, der zweitgrößten Marke in Deutschland mit knapp 2000 Stationen, macht man sich über die längerfristigen Perspektiven des Treibstoffmarktes trotzdem keine Illusionen. „Wir können nicht so weitermachen wie bisher“, sagt Patrick Carré, Leiter des Tankstellengeschäfts in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit Sitz in Hamburg, „denn es gibt einen weltweiten Konsens, dass die CO2-Emissionen sinken müssen.“

„Alternative Kraftstoffe werden kommen“

So spielt der Energiekonzern Szenarien durch, wonach sich der Absatz der bisherigen Treibstoffe aus Erdöl für das Pkw-Segment zwischen 2020 und 2030 in Deutschland halbiert. „Alternative Kraftstoffe oder Antriebskonzepte werden kommen; die Frage ist nur, welche sich durchsetzen werden“, sagt Carré. Aus diesem Grund fährt Shell mehrgleisig und setzt als Miteigner der Gemeinschaftsfirma H2 Mobility unter anderem auf den Energieträger Wasserstoff für Fahrzeuge mit Elektroantrieb. Derzeit gibt es an Shell-Tankstellen elf Zapfpunkte für Wasserstoff, davon zwei in Hamburg. In diesem Jahr sollen bundesweit rund 20 weitere hinzukommen.

Für Lkw sieht der britisch-niederländische Konzern in verflüssigtem Erdgas (LNG) eine aussichtsreiche Alternative zum Diesel mit einem um rund 20 Prozent niedrigeren CO2-Ausstoß. In den Niederlanden betreibt Shell bereits sechs Tankstellen dafür. Im September will das Unternehmen in Hamburg am Georgswerder Bogen die erste LNG-Tankstelle Deutschlands eröffnen, weitere sollen möglichst noch in diesem Jahr folgen.

Hohe Ladezeiten

Mit Ladesäulenfür batterieelek­trisch betriebene Autos tut sich die Branche aber noch schwer. Bislang dürften erst weniger als 100 der gut 14.000 Straßentankstellen in der Bundesrepu­blik mit solchen Säulen versehen sein. Wolfgang Langhoff, als Chef von BP Europa auch für Deutschlands führende Tankstellenmarke Aral verantwortlich, erklärte das mit den noch immer hohen Ladezeiten von in der Regel deutlich mehr als 30 Minuten. Damit sehe man noch kein wirtschaftlich tragfähiges Konzept. Die Tankstellen dürften nicht zu Parkplätzen werden, sagte Langhoff.

Sollte der Ladevorgang aber nur noch ungefähr zehn Minuten dauern, was für die nächsten Jahre angestrebt wird, wären die Tankstellenbetreiber mit im Spiel – da ist man sich in der Branche einig. Auch Shell will dann mit dabei sein. An ausgewählten Stationen in Großbritannien und in den Niederlanden sollen schon jetzt testweise Schnellladesäulen errichtet werden. Außerdem hat der Konzern im Herbst den niederländischen Ladepunkt-Anbieter NewMotion gekauft und ist Partner des Ionity-Konsortiums der Autobauer BMW, Daimler, Ford und VW, das ein Netz von Schnellladepunkten entlang der Hauptverkehrsrouten in Europa aufbauen will.

Bank und Tante-Emma-Laden

Die Unsicherheit über die Zukunft der Antriebskonzepte hält Shell nicht davon ab, dem flächendeckenden Stationsnetz auch künftig eine wichtige Rolle beizumessen. „Wir wollen noch mehr Gründe schaffen, an die Tankstelle zu kommen“, sagt Carré. Schon heute komme mehr als die Hälfte der Kunden nicht zum Tanken dorthin, sondern wegen anderer Produkte und Dienstleistungen.

„Tankstellen sind heute auch eine Bank und ein Tante-Emma-Laden“, so der Shell-Manager. Dank einer Kooperation mit der Postbank kann man als Kunde der Cash Group gebührenfrei Geld abheben. Auch Aral lässt die Geldversorgung nicht außen vor; die ING-DiBa hat an Tankstellen des Marktführers Geldautomaten aufgestellt.

Zusatzangebote werden wichtiger

Während das Kraftstoffgeschäft, das aus Sicht der Mineralölkonzerne noch ungefähr zwei Drittel der Erträge der Tankstellen ausmacht, mittel- bis längerfristig keine großen Steigerungsraten mehr verspricht, sieht das für die Zusatzangebote anders aus. „Im Shop-Geschäft erwarten wir weiteres Wachstum“, erklärt Carré. Nach jüngsten Marktdaten lag der Jahresumsatz eines solchen Shops im Schnitt bei knapp einer Million Euro.

Zwar machen Tabakwaren noch immer den größten Anteil davon aus. Doch die Veränderung der Lebensgewohnheiten ist ein bedeutsamer Faktor. „Das klassische Modell, dass Familien gemeinsam frühstücken, wird immer seltener“, so Carré. Eine der Auswirkungen dieses Wandels: „Im Jahr 2017 wurden bei Shell im Durchschnitt pro Station 15 Prozent mehr Tassen Kaffee als im Vorjahr getrunken.“ Dabei sei Kaffee „auch von der Marge her ein interessantes Produkt“ für das Unternehmen.

Attraktive Kooperationspartner

Im Hinblick auf die Zusatzgeschäfte an der Tankstelle werde viel experimentiert, sagt der Shell-Manager. Nicht alles, was sein Team an ausgewählten Stationen erprobte, habe sich bewährt: „Manche Ideen, wie Hunde-Waschanlagen, die Abholung von rezeptpflichtigen Medikamenten oder das Angebot von Dreiecks-Sandwiches, wie sie in Großbritannien beliebt sind, haben in Deutschland nicht so gut funktioniert.“

Patrick Carré, Leiter des Shell-Tankstellengeschäfts
in Deutschland,
Österreich und der Schweiz
Patrick Carré, Leiter des Shell-Tankstellengeschäfts in Deutschland, Österreich und der Schweiz © HA | Marcelo Hernandez

Wie auch die Wettbewerber setze Shell bei den Zusatzangeboten auf die Zusammenarbeit mit Spezialisten, sagt Carré. „Wir haben beispielsweise keine Fachkompetenz für Fertigpizza. Aber weil wir eine der großen Marken sind, fällt es uns leichter als anderen, attraktive Kooperationspartner zu finden.“ Zu diesen Partnern gehört auch der Onlinehändler Amazon, dessen Paketstationen an rund 200 Stationen aufgebaut sind. Eine ähnliche Kooperationsstrategie verfolgt auch Aral. An rund 1000 der Tankstellen baut der Rewe-Konzern seine Mini-Lebensmittelläden der „Rewe to go“-Linie auf; aktuell sind es 13 in Hamburg.

Digitalisierung ist ein herausforderndes Thema

Natürlich ist die Digitalisierung auch für die Mineralölkonzerne und deren Vertriebsnetze ein herausforderndes Thema. Im Juli hat Shell in Hamburg ein Pilotprojekt mit dem Onlinebezahldienstleister PayPal gestartet, das dem Kunden erlaubt, die Tankrechnung per Smartphone direkt an der Zapfsäule zu zahlen. Vom Frühsommer 2018 an soll das bundesweit möglich sein. Carré gibt sich zurückhaltend, was die Nutzungszahlen angeht: „Bis sich in Deutschland das mobile Bezahlen durchsetzt, wird es noch einige Zeit dauern. Aber wir wollen Vorreiter sein“

Der Shell-Manager denkt im Hinblick auf die Digitalisierung schon weiter: „Wenn die Autos autonom fahren, welche Tankstelle steuern sie dann an?“