Hamburg. Ahmad A. glaubt, dass die Tat Gottes Wille war, doch die Schuld wird er selber tragen müssen. Rechtsmediziner schildert sein Vorgehen.

Voll schuldfähig - so schätzt ein psychiatrischer Gutachter den islamistisch motivierten Messerstecher von Hamburg-Barmbek ein. „Es liegt keine die Schuldfähigkeit beeinträchtigende Störung vor“, sagte Prof. Norbert Leygraf am Mittwoch im Prozess vor dem Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts. Der 27-jährige Ahmad A. leide weder an einer psychischen Erkrankung noch habe er bei seiner Tat am 28. Juli vergangenen Jahres unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen gestanden. Bei einer Haaranalyse hatte das Hamburger Institut für Rechtsmedizin nur sehr geringe Rückstände des Cannabis-Wirkstoffes THC gefunden.

Videoaufnahmen zeigen den Tatablauf

Der Angeklagte hat gestanden, in einer Edeka-Filiale einen Mann erstochen und anschließend sechs weitere Menschen verletzt zu haben. Die Bundesanwaltschaft wirft dem Palästinenser aus Gaza Mord sowie versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung in sechs Fällen vor.

Das Gericht schaute sich am Mittwoch Videoaufnahmen aus Überwachungskameras an, die den Tatablauf zeigen. Anschließend verlas der Vorsitzende Richter ein Polizeiprotokoll, das die Bilder beschreibt. Demnach dauerte das Geschehen im Edeka-Markt nur 46 Sekunden. 14 brauchte Ahmad A., um sich das Messer aus einem Regal zu holen, und 4, um die Schutzhülle abzuziehen. Dann stach er innerhalb von 10 Sekunden viermal auf sein erstes Opfer ein.

Zweimal verlor der Täter das Messer

Der 50-Jährige hatte keine Chance. Zwei der Stiche in die Brust- und Bauchhöhle, 18 und 21 Zentimeter tief, seien absolut tödlich gewesen, erklärte der Leiter des Instituts für Rechtsmedizin, Prof. Klaus Püschel. Der Täter müsse das Messer bis zum Heft in den Körper des Mannes „hineingerammt“ haben. Sogar Rippen und Wirbelsäule seien eingekerbt gewesen, fanden die Mediziner bei der Untersuchung des Leichnams heraus. Der 50-Jährige verblutete.

Zweimal habe der Täter sein Messer aus der Hand verloren. Einmal sei es im Oberschenkel des Opfers steckengeblieben, ein anderes Mal sei es auf den Boden gefallen, so die Polizei weiter. Dennoch habe er nur vier Sekunden bis zu seinem nächsten Opfer benötigt. In „Eispickelhaltung“ habe er innerhalb von zwei Sekunden zweimal auf den 56-jährigen Mann eingestochen. Nach weiteren zwölf Sekunden haben der Täter den Kassenbereich erreicht. Am Ausgang des Marktes befand sich keine Kamera.

Auf der Straße attackierte Ahmad A. noch drei Männer und zwei Frauen. Wie eine Rechtsmedizinerin vor Gericht erklärte, erlitten sowohl das zweite Opfer im Markt als auch ein Mann auf der Straße akut lebensgefährliche Verletzungen. Zwei weitere Männer und eine Frau befanden sich in potenzieller Lebensgefahr, weil die Stiche nur ganz knapp lebenswichtige Gefäße oder Organe verfehlten. Eine andere Frau trug eine weniger gravierende Verletzung an der Brust davon.

Ahmad A. war schon zuvor im Supermarkt

Vor der Tat gegen 14.50 Uhr war Ahmad A. bereits ein erstes Mal in dem Supermarkt gewesen. Dabei umkreiste er insgesamt achtmal das Regal mit den Messern. Doch nach sechs Minuten verließ er das Geschäft und stieg in einen Bus, wie aus HVV-Überwachungsvideos hervorgeht. Doch bevor der Bus losfuhr, stieg er wieder aus. „In seinem Gesichtsausdruck sind keine Hinweise auf einen Tatentschluss zu sehen“, notierte die Polizei. Um 15.10 Uhr betrat er erneut das Geschäft, um die Tat zu begehen.

Phasenhafter Verlauf der Radikalisierung

Der Angeklagte habe ihm gesagt, „der Vorfall“ sei nicht seine eigene Entscheidung, sondern Gottes Wille gewesen, erklärte Leygraf, der das Institut für Forensische Psychiatrie in Essen leitet und insgesamt dreimal mit Ahmad A. sprach. Auffällig sei der phasenhafte Verlauf seiner Radikalisierung gewesen. Nach der Gründung des Islamischen Staates (IS) im Jahr 2014 habe er sich Propagandavideos der Terrororganisation angesehen. Im März 2016 habe er nach eigenen Angaben den Koran plötzlich vollkommen verstanden und sei davon überwältigt gewesen. Er habe die Menschen nur noch in wahre Gläubige und Heuchler unterteilt. Letztere habe er auch als „Hunde“ tituliert.

Die neunjährige Odyssee durch vier Länder habe das Selbstwertgefühl des Angeklagten beschädigt, gerade weil er kein Flüchtling gewesen sei. Er habe sich selbst entschieden gehabt, von Ägypten aus nach Europa zu gehen, angezogen vom westlichen Lebensstil, den er aus Filmen kannte. Frauen und Werbeplakate hätten ihn dort aber immer wieder in Versuchung gebracht. Nun sei er Allah dankbar für die Inhaftierung, denn sonst wäre er weiter anfällig für Versuchungen, sagte er dem Gutachter.

Der Vorsitzende Richter deutete an, dass der Staatsschutzsenat Ahmad A. auch zu einer Sicherungsverwahrung verurteilen könnte. Der Prozess soll am 19. Februar mit den Plädoyers fortgesetzt werden, das Gericht will sein Urteil am 1. März verkünden.