Hamburg . Eine Frau steht wegen Unfallflucht vor Gericht. Die Fahrerin und ihre Begleiter wollen den Zusammenprall nicht bemerkt haben.
In der Ferne schlug das Schicksal zu. Ihr Gatte war fast 3500 Kilometer weit von Anna E. (Name geändert) weg, im Urlaub in fremden Ländern, als ein unerwarteter Anruf die Frau alarmierte. Der Ehemann war lebensgefährlich erkrankt! Ein Schock für die 62-Jährige – sicherlich und verständlicherweise ein Erlebnis, das enorm beeinträchtigt, betäubt sogar. Aber legt es sich wirklich auf alle Sinne?
So müsste es nach Schilderung von Anna E. damals gewesen sein, im Juni 2016, als sie mit dem Auto in einer schmalen Hamburger Straße unterwegs war und ihr ein Missgeschick passierte. Als der Fahrer eines geparkten Kleinlasters die Fahrzeugtür einen Spaltbreit öffnete, soll die 62-Jährige mit ihrem Fahrzeug den anderen Wagen touchiert und dabei dessen Außenspiegel abgefahren sowie die Tür beschädigt haben. Weil sie dann einfach weitergefahren sei, steht sie jetzt wegen Unfallflucht vor Gericht. Der Schaden an dem anderen Auto betrug rund 1700 Euro.
Kein Anstoßgeräusch bemerkt
„Ich habe von dem Unfall nichts mitbekommen“, sagt die zierliche blasse Angeklagte. Sie wirkt vom Leben gezeichnet, mit müden Augen und hängendem Kopf. Ihr Mann ist mittlerweile verstorben, erzählt sie. Und sie will gar nicht abstreiten, dass sie zur fraglichen Zeit in jener Gegend unterwegs war. „Das ist eine enge Straße, rechts und links parken Autos.“ Sie sei „vollkommen durcheinander gewesen“. Sie habe kurz zuvor erfahren, dass ihr Mann im Ausland schwer verunglückt war. „Ich bekam morgens einen Anruf mit der schlimmen Nachricht.“ Gleichwohl war ausgerechnet sie es, die sich ans Steuer setzte. Eine Tochter und deren Freundin fuhren mit. Sie habe Geld abheben wollen, um möglichst schnell einen Flug zum Ehemann zu buchen, erzählt die 62-Jährige. „Ich habe mir Sorgen gemacht, außerdem hatten wir laute Musik an.“ Deshalb habe sie kein Anstoßgeräusch bemerkt.
Außerdem habe der Fahrer des Kleinlasters ja wohl Schuld an der Kollision, überlegt sie. „Der hat ja die Fahrertür geöffnet.“ Sie habe zwar einen Knall gehört, „aber den nicht auf mich bezogen“. Sie habe geglaubt, dass es sich um klirrende Flaschen handelte, als sie ein Scheppern hörte.
Ahnungslose Beifahrerin
Anna E.’s damalige Weggefährtinnen stellen sich jetzt im Zeugenstand als ahnungslose Beifahrerinnen dar, die vollständig mit anderen Dingen beschäftigt waren. Dass der Außenspiegel fehlte, will die Tochter der Angeklagten, Halterin des Wagens und zur Zeit des Unfalls auf dem Beifahrersitz, erst deutlich später bemerkt haben. „Das war erst an der Tanke oder beim Aussteigen“, gibt sie sich unwissend. Überhaupt sei der Zustand des Fahrzeugs zu jener Zeit nebensächlich gewesen. „Ich war mit meinen Gedanken bei meinem Vater.“ Und eine Freundin der Tochter, die auf dem Rücksitz gesessen hatte, will ebenfalls nichts mitbekommen haben. „Ich war in meine Bücher vertieft und habe gelernt.“
Wohl dem, der so fokussiert ist, dass er alles andere ausblenden kann. Aber wie wahrscheinlich ist das? Ein Sachverständiger hat den Unfall nachgestellt, ausgerüstet mit einem speziellen Kopfhörer, mit dem Geräusche realitätsnah zu hören sind. Der Lärm, der beim Abreißen des Spiegels entsteht, „gab einen sehr hohen Ausschlag“. Der Experte vergleicht den Geräuschpegel „mit dem eines Presslufthammers in einem Meter Entfernung“. Selbst wenn beim Versuch die Musik weit über Zimmerlautstärke aufgedreht wurde, „war der Spiegelanschlag deutlich zu hören“, so der Gutachter. Es sei auch einzuordnen, aus welcher Richtung der Schall kommt. Demnach müsste man, wenn man den Unfall wirklich nicht registriert hätte, wohl stocktaub und dazu noch extrem fehlsichtig sein. Das wären bestimmt nicht die besten Voraussetzungen, um ein Auto zu führen.
Sie sei all die Jahre unfallfrei gefahren, sagt die Angeklagte
Solche Einschränkungen weist Anna E. denn auch weit von sich. Sie betont im Gegenteil, wie sicher sie am Steuer sei: Sie sei ja mittlerweile 62 und habe schon ewig den Führerschein, betont die Hamburgerin. „Und ich war all die Jahre unfallfrei.“
Eine leichte Kollision kann jedem mal passieren. Doch wer dann abhaut, begeht eine Straftat. So verurteilt das Gericht die Angeklagte zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je zehn Euro wegen Unfallflucht. Zusätzlich zur Geldstrafe muss die Angeklagte ihren Führerschein für sechs Monate abgeben. Es sei sicher davon auszugehen ist, dass Anna E. die Kollision bemerkt hat, begründet der Kammervorsitzende die Entscheidung. Dass die Hamburgerin ein Geräusch von der Lautstärke eines Presslufthammers nicht gehört haben will – „das nehmen wir ihr nicht ab“.