Hamburg. Pamela Schlemmermeier wirbt für das Pflicht-Ehrenamt – und Jurist Detlef Grigoleit räumt mit Vorurteil von “verpeilten Richtern“ auf.

Der Justiz-Krimi „Zeugin der Anklage“ ist einer ihrer Lieblingsfilme. Für das Drama „Die zwölf Geschworenen“ schwärmt sie. Überhaupt hat sich Pamela Schlemmermeier schon ewig für Recht und Gesetz interessiert, Krimis gelesen und die Gerichtsberichterstattung in namhaften Zeitungen verschlungen. Nun ist die 66-Jährige selbst in der Justiz aktiv, als ehrenamtliche Richterin ­– und begeistert von diesem wichtigen Ehrenamt. „Ich brenne für das Schöffenamt“, sagt die Hamburgerin, Mitglied im Schöffenverband Nord und seit vier Jahren ehrenamtliche Richterin. „Es ist gut, daran beteiligt zu sein, dass Recht gesprochen wird. Es ist eine Macht, die tatsächlich vom Volk ausgeht.“

Schöffen sind die Richter ohne Robe – und in der Regel auch ohne Fachwissen. Und doch sind sie unverzichtbar und eine wichtige Stütze unserer Rechtsprechung. Sie vertreten das Volk, in dessen Namen Urteile gefällt werden, und haben in den Prozessen mehrere Befugnisse – eine verantwortungsvolle und zugleich interessante Aufgabe. Jetzt beginnt in Hamburg die Suche nach Schöffinnen und Schöffen für die Amtszeit vom 1. Januar 2019 bis zum 31. Dezember 2023. Der ehrenamtliche Richter ist ein Pflicht-Ehrenamt, das heißt, dass die Berufung nur im Ausnahmefall abgelehnt werden darf. Man kann sich aber auch dafür bewerben.

Schöffen bewahren die Berufsrichter vor Routine

„Mit dem Einsatz der Schöffen wird eine Einbindung der Bevölkerung als demokratisches Prinzip gefördert“, betont Detlef Grigoleit, Richter am Landgericht, der auch seit vielen Jahren Seminare für angehende Schöffen anbietet. Die Einbindung von Schöffen in die Justiz sorge auch für ein tendenziell höheres Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsprechung, wenn der Bürger daran beteiligt wird, so Grigoleit. „Und ein ganz entscheidender Gewinn durch die Mitwirkung von Schöffen ist, dass wir Berufsrichter davor bewahrt werden, in Routine zu versinken. Wir werden durch sie angehalten, unsere Überzeugungen und die Grundlagen dafür sowie die resultierenden juristischen Folgen noch präziser zu beraten und zu übermitteln.“

Alles andere als verpeilte Richter

Kritisch sieht Grigoleit indes das Argument vieler, Schöffen als Volkes Stimme seien wichtig für die Justiz, weil sie mit „gesundem Menschenverstand an rechtliche Sachverhalte“ herangingen. „Das kommt so rüber, als gebe es überwiegend verpeilte Richter, die nicht mehr wissen, wie es in der Welt zugeht“, so der Jurist. „Aber gerade als Richter lernt man, wie das Leben funktioniert.“ Schöffen würden in manchen Verfahren mit Sachverhalten und Lebenswelten konfrontiert, von denen sie sagen: „Dass es solche Lebensverhältnisse gibt, wusste ich nicht.“ Zu bedenken sei auch, betont Grigoleit, dass Schöffen in zeit­licher Hinsicht teils stark gefordert werden. In der Regel werden Schöffen zu zwölf Sitzungstagen pro Jahr heran­gezogen. „Es gibt aber besonders beim Landgericht Verfahren, die Wochen oder Monate dauern“, so der Richter.

Insgesamt seien Schöffen allerdings ein Gewinn für die Justiz, so Grigoleit: „Es wäre in unserer Demokratie ganz schwer durchsetzbar, ausgerechnet in der Justiz demokratische Beteiligungsrechte zurückzufahren.“

Fortbildung in Schöffenseminaren

Bei den Schöffenseminaren, die Grigoleit anbietet, können die zukünftigen ehrenamtlichen Richter in vier Doppelstunden zum Beispiel lernen, wie die Strafjustiz aufgebaut ist, was in einer Hauptverhandlung passiert und welche Gesichtspunkte bei der Strafzumessung wichtig sind. Außerdem erfahren sie, wie sie ihr Fragerecht, das ihnen genauso wie den Berufsjuristen zusteht, am besten ausüben. Denn auch ehrenamt­liche Richter können sich in die Gefahr der Befangenheit begeben, erklärt der Jurist, etwa, wenn sie durch die Art der Fragestellung erkennen lassen, dass sie einen Angeklagten für schuldig halten. „Wenn ein Befangenheitsantrag erfolgreich ist, würde der Prozess platzen und müsste neu aufgerollt werden.“

Dies unterstreicht auch, wie wichtig ehrenamtliche Richter in der deutschen Justiz sind. Tatsächlich haben Schöffen in allen Beratungspunkten bei der Urteilsfindung das gleiche Stimmrecht wie Berufsrichter und können ihn sogar überstimmen. „Wir repräsentieren das Volk und sollen als Normalbürger an der Rechtsfindung teilnehmen“, erklärt Schöffin Pamela Schlemmermeier. „Mit dem gleichen Stimmrecht trägt man die volle Verantwortung für ein Urteil mit. Und seit ich weiß, wie die Justiz funktioniert, habe ich auch mehr Vertrauen in unsere Rechtsprechung. Ich ziehe meinen Hut vor den Berufsrichtern, davor, mit welcher Akribie sie sich mit den Fällen beschäftigen. Sie haben sich das wirklich nicht leicht gemacht.“ Die gelernte Fremdsprachensekretärin, mittlerweile in Rente, hatte in ihren bisher vier Jahren acht Fälle, die teilweise über mehrere Verhandlungstage gingen. In den Prozessen lerne man als Schöffe generell „viel über alle Schattierungen des Lebens, gute wie schlimme. Das ist interessant und hat mich bereichert.“

Schöffen haben keine Akteneinsicht

Aufgeregt sei sie gewesen, als sie den Schöffeneid ablegen musste, erinnert sich die Hamburgerin. „Und ich finde es bis heute aufregend, wenn ein Verfahren beginnt. Man weiß ja als ehrenamtlicher Richter vorher nicht, worum es geht, damit man unvorein­genommen in ein Verfahren geht. Und wir haben auch keine Akteneinsicht. Wir sollen uns nur durch Zuhören und Beobachten unsere Überzeugung bilden.“ Wichtig für das Schöffenamt sei, so Schlemmermeier, „dass man ein gesundes Rechtsempfinden hat, man muss gut zuhören können, man hat ja nichts Schriftliches“. Man solle bereit sein, „alles, was man gehört hat, ob Positives oder Schreckliches, in die Entscheidungsfindung einfließen zu lassen. Man muss überlegen: Kann das stimmen, was der sagt? Und irgendwann muss man sagen: schuldig oder nicht schuldig.“

Das Schöffenamt ist eine Bürgerpflicht, für Pamela Schlemmermeier aber auch etwas Bereicherndes. „Es ist eine anspruchsvolle Tätigkeit, man hat mit Menschen zu tun, und es ist nie langweilig. Ich habe das Gefühl, etwas Gutes zu tun, auch für mich.“ Vor einiger Zeit bekam die Schöffin einen Brief mit der Frage, ob sie sich für eine weitere Amtszeit bewerben wolle. „Ich habe natürlich Ja angekreuzt.“

Mehr Information, unter anderem
über einen Schöffentag am 24. März, unter
www.hamburg.de/justizbehoerde und www.schoeffen-nord.de.