Neustadt. Die meisten Schöffen sind hochseriös. Eine Reihe von Skandalen um die ehrenamtlichen Richter belastet aber die Hamburger Justiz.

Das Verlesen der Eidesformel bereitete dem Mann merklich Probleme. Nur langsam und stockend kamen ihm die Worte über die Lippen, mit denen der Schöffe in einem Prozess vor dem Amtsgericht schwören sollte, „nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen“. Dann fing der ehrenamtliche Richter auch noch an zu kichern und störte den Beginn der Verhandlung mit unpassenden Bemerkungen. Schließlich war klar: Der Hamburger war nicht in der Lage, einem Prozess vernünftig zu folgen, weil er in der Nacht zuvor lange gefeiert hatte – und der Restalkohol ganz offensichtlich noch seine Wirkung tat. Das Verfahren musste ausgesetzt werden. Es kam zu Verzögerungen, eine Ersatzschöffin wurde herbeitelefoniert und die Verhandlung später neu begonnen.

Eine Reihe von unschönen Vorfällen mit Schöffen

Dieser unschöne Auftritt eines ehrenamtlichen Richters in einem Prozess vor dem Amtsgericht wegen Vergewaltigung aus der vergangenen Woche ist der jüngste einer Reihe von Zwischenfällen mit Schöffen, die in Hamburg bereits für Schlagzeilen gesorgt haben, unter anderem weil deshalb auch Prozesse geplatzt sind. So musste erst im September ein Verfahren um eine Schlägerei auf dem Kiez, das bereits monatelang verhandelt wurde, vollkommen neu aufgerollt werden, weil ein ehrenamtlicher Richter an die Verteidigerin eines der Angeklagten schwärmerische E-Mails geschrieben hatte und deshalb als befangen galt. Die Kosten, die durch den geplatzten Prozess entstanden sind, werden auf mehrere Zehntausend Euro geschätzt.

Schöffen sind Richter ohne Robe. Sie vertreten das Volk, in dessen Namen jedes Urteil in Deutschland gefällt wird. Für das Amt kann man sich bei den Bezirksämtern bewerben, es werden aber auch über die Bezirksämter Listen mit Bürgern erstellt, die dann angeschrieben und aus denen dann schließlich die Schöffen ausgewählt werden. Schöffen haben in allen Beratungspunkten bei der Urteilsfindung das gleiche Stimmrecht wie Berufsrichter und können ihn sogar überstimmen. Der ehrenamtliche Richter ist ein sogenanntes Pflicht-Ehrenamt, das heißt, dass die Berufung nur im Ausnahmefall abgelehnt werden darf. Dann müssen aber besondere Umstände vorliegen.

Von einer angemessenen Entschuldigung konnte aber keine Rede sein, als in einem Verfahren vor dem Amtsgericht ein ehrenamtlicher Richter erst gar nicht zu einem Prozess erschienen war – mit der Begründung, er sei Steuerzahler und habe eine Familie zu ernähren. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, hatte der Vorsitzende Richter damals gesagt. Der Prozess musste seinerzeit verschoben werden. Gegen den Schöffen verhängte der Richter ein Ordnungsgeld von 500 Euro und entschied, dass dieser die Kosten für die Terminverschiebung tragen müsse.

Ein Schöffe wollte sogar einen Freispruch verkaufen

Ein Skandal um einen Schöffen hatte auch im vergangenen Jahr die Justiz erschüttert. Der Laienrichter hatte einem der Angeklagten in einem Wirtschaftsprozess angeboten, er könne für dessen Freispruch sorgen, wenn er dafür 20.000 Euro bekomme. 20.000 Euro müsse auch der zweite ehrenamtliche Richter erhalten, forderte der Schöffe demnach. Wegen Bestechlichkeit wurde der 31-Jährige deshalb später zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. „Sie haben ein Geschäft mit der Freiheit eines Menschen machen wollen. Das ist besonders verwerflich“, sagte damals die Vorsitzende Richterin im Prozess. Mit seinem Versuch, einen Freispruch gegen Geld anzubieten, habe der Schöffe das Richteramt „schwer beschädigt“.

Nachdem der damalige Angeklagte sich gegenüber dem Gericht offenbart und von dem Bestechungsversuch berichtet hatte, platzte seinerzeit der Prozess und musste vollkommen neu aufgerollt werden. Die Kosten dafür, die Kenner auf mindestens 30.000 Euro schätzen, wurden mittlerweile dem Schöffen auferlegt.

Ulrich Brandt, Schatzmeister und stellvertredender Vorsitzender der Deutschen Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen
Ulrich Brandt, Schatzmeister und stellvertredender Vorsitzender der Deutschen Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen © privat | privat

Waren diese Vorkommnisse eine unglückliche, zufällige Häufung von Fällen, handelt es sich um eher seltene Ausnahmen? Oder sind die Laienrichter generell unzuverlässiger geworden? Die Entwicklung sei „unauffällig“, heißt es von den Gerichten, die mit ehrenamtlichen Richtern zu tun haben. Eine besondere Steigerung von problematischen Fällen sei nicht festzustellen. Und auch der Bund ehrenamtlicher Richterinnen und Richter, Landesverband Nord, spricht von einer „sehr großen Anzahl von Schöffen, die ihre Aufgabe gut und pflichtbewusst wahrnehmen“, sagt der Stellvertretende Vorsitzende, Ulrich Brandt dem Abendblatt. „Wir haben keine Erkenntnisse, dass es weitere Verfahren gibt, in denen es Probleme mit Schöffen oder ehrenamtlichen Richtern gab.“ Bei den vier Fällen handele es sich wohl „um schwarze Schafe“.

Allerdings gebe es bei Schöffen, die sich nicht freiwillig für das Ehrenamt gemeldet haben, sondern über die Wahllisten der Bezirksämter bestimmt und so „zwangsverpflichtet“ wurden, mitunter „ganz massive Motivationsprobleme“, so Brandt. Offenbar sehen es viele nicht als gern zu erfüllende staatsbürgerliche Pflicht oder gar als Ehre an, der Rechtsprechung zu helfen. Manche suchten nach Möglichkeiten, sich entpflichten zu lassen, oft auch aus beruflichen Gründen. Wichtig sei es vor allem auch, mehr für die Fortbildung von Schöffen und ehrenamtlichen Richtern zu tun, fordert Schöffenverband-Vizevorsitzender Brandt. „Neben den Gerichten veranstaltet auch der Schöffenverband Informationsveranstaltungen.“

Mehr Informationen unter www.schoeffen-nord.de