Hamburg. Susanne E. sendete einer Frau, bei der sie als Pflegekraft angestellt war, eine Fülle von diffamierenden Sprachnachrichten.

An Schlaf war nicht zu denken. In der Nacht, wenn die meisten anderen zur Ruhe kommen und im süßen Schlummer Kraft schöpfen, entfaltete Susanne E. (alle Namen geändert) eine geradezu grenzenlose Aktivität. Kreativ war sie, zweifellos, doch etwas Positives ist aus ihrer Geschäftigkeit mitnichten erwachsen. Bei der 47-Jährigen war die Unrast eher gleichbedeutend mit schrankenlos und maßlos. Es sollte gleichsam ein verletzendes Dauerfeuer werden, ein gigantischer Furor, der sich über Stunden entlud.

So sieht das zumindest die Staatsanwaltschaft, die die Hamburgerin wegen Beleidigung vor dem Amtsgericht angeklagt hat. Laut Ermittlungen sendete Susanne E. einer Frau, bei der sie als häusliche Pflegekraft angestellt war, eine Fülle von WhatsApp-Sprachnachrichten mit diffamierendem Inhalt. In einer Novembernacht des Jahres 2016 war sie demnach von zwei Uhr an über mehr als acht Stunden damit beschäftigt, ihre Arbeitgeberin in länglichen Mitteilungen mit Begriffen wie „Miststück“ und „alte Fotze“ zu überziehen und ihr zu sagen, sie sei „Dreck“.

Schweres Muskelleiden

Redet man so mit anderen? Und vor allem: Redet man so mit einem Menschen, der vom Schicksal hart getroffen wurde? Die Frau, der die Schmähungen gegolten haben, ist sehr krank. Anne B. sitzt wegen eines schweren Muskelleidens im Rollstuhl und ist rund um die Uhr auf andere Menschen angewiesen. Sogar das Atmen gerät für die Hamburgerin zum Kraftakt, beim Luftholen muss sie durch eine Apparatur unterstützt werden. So ist jede Unternehmung für sie extrem kräftezehrend, eine logistische Herausforderung noch dazu.

Nun wartet sie vor dem Verhandlungssaal, in dem sie als Zeugin gehört werden soll – und in dem die Angeklagte E. ihren stundenlangen Zornesausbruch per WhatsApp als durchaus gerechtfertigt deklariert. „Ich habe das geschrieben, sehe das aber gar nicht als beleidigend an. Aktion – Reaktion“, echauffiert sich die 47-Jährige, ihr trotz Winterwetter tief gebräuntes Gesicht ein Ausdruck von Selbstgefälligkeit und Trotz.

Arbeitsbedingungen seien untragbar gewesen

Insgesamt seien ihre Arbeitsbedingungen untragbar gewesen, argumentiert die Pflegekraft. Sie habe die Katze ihrer Arbeitgeberin füttern sollen. „Und ich musste ihren Lebenspartner versorgen, der auf dem Sofa lag und Pornos guckte.“ Einen Arbeitsvertrag habe sie am ersten Tag nicht erhalten. „Und danach wollte ich da nicht wieder hin, auf keinen Fall.“ Anne B. habe sie „arbeiten lassen. Und dann zahlt sie nicht!“

In ihren Handy-Nachrichten bombardierte sie die kranke Frau mit Vorwürfen, sie behandele andere Menschen „unterirdisch“. So habe sie Toilettenpapier, das sie benutzte, ihrer Arbeitgeberin zahlen müssen. Und ein Bitte und ein Danke kenne die kranke Frau auch nicht. „Ich schwöre dir, ich mache dir dein Leben zur Hölle“, drohte Krankenpflegerin Susanne E. weiter an und schrieb unter anderem, ihre Arbeitgeberin solle „sich gehackt legen“.

Vernünftige Konfliktlösungen

Die Amtsrichterin zeigt Alternativen auf, wie der Konflikt zwischen den beiden Frauen vernünftig zu lösen gewesen wäre. „Sie haben ja gar nicht abgewartet, ob Sie einen Arbeitsvertrag bekommen“, erinnert sie die Angeklagte. Offensichtlich sei, dass Susanne E. sich schlecht behandelt gefühlt hat. „Aber das kann man auch anders lösen“, ein vernünftiges Gespräch führen. „Was Sie in den Sprachnachrichten gemacht haben, war eine Aneinanderreihung von Frechheiten.“

Was ein solches Verhalten betrifft, hat die Angeklagte reichlich Erfahrung – mit sechs Vorstrafen, alle wegen Beleidigungen. „Das lässt auf ein lockeres Mundwerk schließen“, bilanziert die Richterin. „Sie haben die Taten eingeräumt. Sie haben auch Erklärungen dafür abgegeben. Aber das rechtfertigt die Beleidigungen nicht.“

Geldstrafe von 700 Euro

Die 47-Jährige solle sich überlegen, ob sie den Einspruch gegen einen Strafbefehl, gewissermaßen ein schriftliches Urteil, nicht besser zurücknimmt. Mit einer Geldstrafe über 70 Tagessätze zu zehn Euro sei Susanne E. noch relativ günstig bedient. Auf einen Freispruch oder eine Einstellung des Verfahrens könne die Angeklagte jedenfalls nicht hoffen. „Schon aufgrund Ihres Geständnisses muss ich Sie verurteilen. Sie haben sich ganz offensichtlich im Ton vergriffen und Beleidigungen ausgesprochen.“

Abendblatt-Gerichtsreporterin
Bettina
Mittelacher
schreibt jede
Woche über einen
außergewöhnlichen
Fall
Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall © HA | Andreas Laible

Bevor Susanne E. das Urteil vielleicht akzeptiert, wolle sie noch mal „eine Nacht darüber schlafen“, meint die Angeklagte kämpferisch. Doch die Richterin erklärt, sie werde es der kranken Zeugin nicht zumuten, noch einmal zu einem weiteren Termin anzureisen, weil die Angeklagte sich noch überlegen will, wie es weitergeht. Aktion – Reaktion? Dieses eine Mal entscheidet sich Susanne E. dafür, nicht mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Sie akzeptiert die Geldstrafe von 700 Euro. „Ich habe es eilig, einen dringenden Termin“, verkündet die Hamburgerin noch. Ihr nächster Einsatz als Pflegekraft.