Hamburg. Bei dem Fall geht es um gut 20 Gramm Marihuana, die bei einer Durchsuchung in der Wohnung eines 37-Jährigen gefunden wurden.
Am liebsten wäre sie jetzt ganz weit weg. Bestimmt nicht in diesem Verhandlungssaal, in der Rolle als Zeugin. „Muss ich wirklich alles erzählen“, vergewissert sich Hanna V. (alle Namen geändert) ängstlich. Denn für die 77-Jährige bedeutet dieser Auftritt im Prozess vor dem Amtsgericht ein echtes Dilemma. Natürlich nimmt sie ihre Zeugenpflichten ernst – und die Wahrheit sage sie ohnehin immer, erklärt die Rentnerin würdevoll. Aber da ist auch die Angst, dass sie dem Angeklagten ernsthaft schaden könnte. „Dabei ist er doch so sympathisch“, meint die Rentnerin von ihrem Nachbarn und sieht den 37-Jährigen sorgenvoll an: „Musst du jetzt ins Gefängnis?“
Daniel S. zuckt nur mit den Schultern. Gerichtserfahren ist der Hamburger nicht, was soll er also dazu sagen? Es geht um gut 20 Gramm Marihuana, die bei einer Durchsuchung in der Wohnung des Angeklagten gefunden wurden, zusammen mit einer Feinwaage und kleinen Abpacktütchen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm deshalb Handeltreiben mit Betäubungsmitteln vor. Er wolle erst mal schweigen, hat der hagere blasse Mann zum Prozessauftakt verkündet. Und abwarten, was seine Nachbarin so erzählt.
Sie sitzt oft am Küchenfenster
Und so berichtet Hanna V. von einem Schreiben, das im Sommer in dem Eppendorfer Mehrfamilienhaus kursierte. Initiiert hatten das zwei Väter aus der Nachbarschaft, die Unterschriften gegen Drogenhandel sammelten. „Sie hatten Angst um ihre Kinder“, erinnert sich die Rentnerin. Gemeint war offensichtlich Daniel S., der bei seiner Mutter wohnte und bei dem die 77-Jährige öfters auffällige Besucher beobachtet hatte. Männer, die zielstrebig die Wohnung des 37-Jährigen avisierten.
Sie sitze oft am Küchenfenster und gucke raus, erzählt Hanna V. Viele Leute kommen und gehen, beobachtet sie regelmäßig. Der Pilgerstrom erinnere sie „an eine Ameisenstraße. Die Besucher bleiben alle nur etwa fünf Minuten. Es ist so, als seien sie angerufen worden: Jetzt gibt es Stoff.“ Hanna V. zögert einen Augenblick, in der Terminologie der Szene ist die Rentnerin offensichtlich nicht zu Hause. „Heißt das so: Stoff?“, vergewissert sie sich. Als sie die Mutter des Angeklagten auf den schwunghaften Verkauf ihres Sohnes ansprach, „fiel die aus allen Wolken“. Später habe sie aber gesagt: „Das weiß ich.“
Einbruch in der Nachbarschaft
Aufgeflogen ist die Sache nach einem Einbruch in der Nachbarschaft. Einem Polizeibeamten erzählte Hanna V. damals, dass ständig Leute im Haus ein und aus gingen. „Und da habe ich wohl auch mal Betäubungsmittel erwähnt.“ Die Ermittler gingen der Sache nach. „Seit dem Polizeieinsatz ist Schweigen im Walde. Jetzt kommt niemand mehr. Und die Nachbarn brauchen sich keine Sorgen mehr um ihre Kinder zu machen“, bilanziert die Zeugin.
Offensichtlich bekümmert die Rentnerin aber weiterhin, welches Schicksal ihren Nachbarn nun erwartet. Im Rausgehen wirft sie ihm einen sorgenvollen Blick zu. Doch Daniel S. weiß sich anscheinend selber gut zu helfen. „Die Hälfte stimmt nicht“, wischt er die Aussage der 77-Jährigen beiseite. Seine Mutter habe von seinen Machenschaften nichts gewusst, betont er. „Und die Leute waren keine Jugendlichen, sondern alles Erwachsene. Ich habe einen großen Freundeskreis.“ Viele Leute seien Krankenbesuche gewesen, als sich seine Freunde um ihn kümmern wollten. „Aber ich habe Drogen verkauft, das gebe ich zu.“ Das meiste sei allerdings für den Eigenbedarf.
Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu 10 Euro
Das nimmt ihm die Richterin nicht ab und verurteilt ihn zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu 10 Euro. Dass Tütchen und Feinwaage sichergestellt wurden, „stinkt zum Himmel“ und spreche deutlich für ein Handeltreiben. Auch die angeblichen Krankenbesuche sind für die Vorsitzende nicht nachvollziehbar. „Dann wären die Leute sicher länger geblieben als fünf Minuten.“