Hamburg. Jungheinrich, Haspa, Budni, Vattenfall, Globetrotter und Industrieverband üben massive Kritik. Ruf nach Neuwahlen lauter.
Seit Wochen rumort es in der Hamburger Wirtschaft, fragt man Topmanager und Firmeneigentümer nach ihrer Meinung zur neuen Handelskammerführung. Im April hatte das Bündnis „Die Kammer sind wir“ die Macht in Hamburgs wichtigster Wirtschaftsvertretung übernommen – mit einem Kantersieg bei den Plenumswahlen. Die Monate danach wurden turbulent. Die versprochene Abschaffung der Kammerbeiträge verschoben die Wahlsieger auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.
Der langjährige Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg-Schmidt-Trenz musste – mit einer hohen Abfindung ausgestattet – sein Amt räumen. Und schließlich stellte die neue Hauptgeschäftsführung ihren Sparplan vor – mit der Konsequenz, dass fast jede vierte Stelle am Adolphsplatz gestrichen werden soll. Aus einem Rumoren wird nun ein Aufschrei. Denn sechs der bekanntesten Hamburger Wirtschaftsvertreter üben jetzt im Abendblatt offen massive Kritik an der neuen Kammerführung unter Präses Tobias Bergmann. Von „Skandal“ ist die Rede, und auch der Ruf nach Neuwahlen wird lauter.
Kammerarbeit sofort aufkündigen
Jungheinrich, Deutschlands führender Hersteller von Gabelstaplern, und der Energiekonzern Vattenfall würden ihre Mitgliedschaft – wenn sie denn könnten – wegen der aus ihrer Sicht schlechten Kammerarbeit am liebsten sofort aufkündigen. „Wenn es keine Pflichtmitgliedschaft gäbe, würden wir sofort austreten“, sagten Jungheinrich-Vorstandschef Hans-Georg Frey und der Hamburger Vattenfall-Generalbevollmächtigte Pieter Wasmuth unisono.
Er sei „geschockt“, was derzeit in der Handelskammer geschehe, sagte Frey und kritisierte die Planung der Kammer, ihr Budget bis 2022 halbieren zu wollen, scharf. „Bei so radikalen Einschnitten muss man aufpassen, dass nicht am Ende der Patient tot auf dem OP-Tisch zurückbleibt. Dass ein Viertel der Belegschaft abgebaut werden soll, ist ein Skandal.“ Wenn ein Unternehmen wie Jungheinrich oder die Stadtverwaltung so massive Einschnitte beim Personal vornehmen würden, gäbe es zurecht einen riesigen Aufschrei in Hamburg, sagte der Jungheinrich-Chef weiter.
„Unseriöses Wahlversprechen“
Die neue Kammerführung treibe einen Keil in die Kaufmannschaft, ergänzte Hamburgs Vattenfall-Chef Wasmuth und bezieht sich dabei auf die Änderung der Mitgliedsbeiträge. „Um das unseriöse Wahlversprechen von der Abschaffung der Beiträge zu heilen, senken die neuen Machthaber in der Kammer für ihre eigene Klientel die Beiträge, bezahlen müssen das aber die großen Unternehmen wie unseres. So geht das nicht.“ Kammerpräses Bergmann habe jüngst von Hamburgs Wirtschaft mehr Dynamik verlangt. „Gleichzeitig wird die Kammer aber von ihm kaputt gespart. Wo ist denn da die Konsistenz?“
Der Chef des Industrieverbands Hamburg (IVH), Michael Westhagemann, hofft, dass die seit Dezember amtierende Hauptgeschäftsführerin Christi Degen endlich auf die Wirtschaft zugeht: „Die neue Kammerführung ist seit Monaten mit sich selbst beschäftigt. Ich erwarte jetzt von der neuen Hauptgeschäftsführerin im Interesse der Unternehmen inhaltliche Botschaften. Hamburg hatte früher über die Handelskammer Hamburg eine starke Stimme in Berlin und Brüssel – das ist nun leider vorbei und macht mich nachdenklich.“
Neuwahlen gefordert
Langjährige ehemalige Funktionsträger des Ehrenamts wie der Globetrotter-Geschäftsführer Andreas Bartmann und der Eigentümer der Drogeriekette Budnikowsky Cord Wöhlke sprechen sich inzwischen sogar für Neuwahlen aus. Er habe lange geschwiegen, weil er der gewählten neuen Kammerführung die Gelegenheit geben wollte, sich erst einmal einzuarbeiten. Deshalb habe er auch in der Finanzkommission mitgemacht, sagte Bartmann. „Inzwischen passieren dort aber Dinge, welche die Arbeit vieler Jahre zerstören.“
Über lange Zeit seien enge Netzwerke und gute Verbindungen ins Ausland entstanden, die nun innerhalb kürzester Zeit gekappt würden. Und damit meine er nicht nur den Umgang mit der Vereinigung der Industrie- und Handelskammern (IHK) Nord. „Wir können nicht noch weitere zwei Jahre bis zu den nächsten Kammerwahlen warten, weil bis dahin Entscheidungen für die Kammer getroffen werden, die sich nicht mehr zurückdrehen lassen. Deshalb brauchen wir jetzt Neuwahlen.“ Zumal der Ausgang der letzten Wahlen in der Kammer aufgrund von Versprechen zustande gekommen sei, die nicht gehalten würden, so Bartmann.
„Wenn man auf die bisherige Arbeit der Kammer und die Zerstrittenheit im Präsidium schaut, wären Neuwahlen der beste Weg“, sagte auch Budni-Eigentümer Wöhlke. „Ich fühle mich nicht mehr von der Handelskammer vertreten – und ich weiß, dass es vielen anderen großen Unternehmen in der Stadt genauso geht.“
Der Vorstandssprecher der Hamburger Sparkasse, Harald Vogelsang, der als einer der wenigen unabhängigen Unternehmer im Plenum verblieben ist, nimmt ebenfalls die große Unzufriedenheit in der Wirtschaft über die Kammerarbeit wahr und fordert nun, dass sich die Unternehmer selbst wehren. „Von einer Interessenvertretung, die die Hamburger Wirtschaft stützen soll, ist nicht mehr viel zu erkennen. Die Kammer hat sich nun ein Jahr lang überwiegend mit sich selbst beschäftigt, statt sich um die Wirtschaft zu kümmern“, beklagt Vogelsang. Nun müssten sich die etablierten Unternehmen wieder mehr mit ihrer Kammer befassen. Der Haspa-Chef ist sich sicher: „Es reicht nicht, sich zu wundern und zu ärgern. Ab jetzt hilft nur noch Engagement.“
Druck der kleinen Firmen wächst
Auch er würde sich freuen, wenn sich mehr Hamburger Unternehmen für die Kammer engagierten, greift Kammerpräses Bergmann den Vorstoß von Vogelsang auf. Dass die großen Unternehmen sich derzeit von der Kammer nicht repräsentiert fühlten, bedauere er. „Man darf dabei aber nicht vergessen, dass sich zuvor viele mittelständische Firmen über Jahre nicht von der Kammer repräsentiert gefühlt haben. Sonst wäre dieses Wahlergebnis vor einem Jahr niemals zustande gekommen.“ Die Wahlbeteiligung sei damals größer gewesen als jemals zuvor, so Bergmann. „Das ist ein ganz starkes Mandat.“
Deshalb werde die Kammerführung auch ihren Sparkurs „mit Bedacht“ fortsetzen, für den sie gewählt worden sei. Finanziell sei die Kammer im bundesweiten Vergleich „besonders üppig“ ausgestattet gewesen. „Wir fahren da einen anderen Kurs.“ Auch die Kritik am neuen System der Mitgliedsbeiträge wies Bergmann zurück: „Wir haben es solidarischer gestaltet.“ Vorher sei ein Unternehmen mit einem Umsatz von 50 Millionen Euro genauso behandelt worden wie ein kleiner Ein-Mann-Betrieb. „Das ist jetzt gerechter.“ Dennoch wächst auch der Druck der kleinen Firmen: Der Unternehmer Tom Heinkel (Heinkel Group) hat Bergmann in einem offenen Brief zum Rücktritt aufgefordert. Mehr als 30 Unternehmer hätten seinen Brief schon unterschrieben, sagt Heinkel.