Hamburg. Eltern prüfen rechtliche Schritte. Katholisches Erzbistum macht Hamburger Senat für Überschuldung mitverantwortlich.

Die Aufregung über die vom Erzbistum verkündeten Schulschließungen bleibt groß. Abgesehen von der emotionalen Betroffenheit der Eltern, Lehrer und Schüler kommen sie zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Am 26. Januar läuft die Anmeldefrist für das Schuljahr 2018/2019 ab. Viele Eltern fragen sich jetzt, an welcher Schule sie ihr Kind anmelden sollen.

Beispiel: Barmbek-Nord. Dort hat die Grundschule St. Sophien eine „Schonfrist“ erhalten. Innerhalb eines Jahres soll nun eine Alternative zur Schließung gesucht werden. Die Mitarbeiterin einer staatlichen Schule im Umfeld der Grundschule sagt: „Wir haben vier Neubaugebiete in der Gegend. Wir platzen schon jetzt aus allen Nähten, nun müssen noch zwei Züge von St. Sophien mit versorgt werden. Und das eine Woche vor Anmeldeschluss.“

Sich selbst die Zunge herausreißen

Wie berichtet, ist besonders der Raum Süderelbe betroffen, wo die katholischen Grund- und Stadtteilschulen Neugraben und Harburg wahrscheinlich und das Niels-Stensen-Gymnasium sicher geschlossen werden sollen. „Bezahle ich jetzt Geld dafür, damit im nördlichen Hamburg, wo sich katholische Schule an katholische Schule drängt und die Fahrwege wesentlich kürzer sind, Schulen weiter ausgebaut werden?“, fragt die Mutter zweier Gymnasiasten. „Meine Kinder werden diese Schulen nie besuchen können, da sie etwa zwei Stunden von ihrem Wohnstandort entfernt liegen. Ist das christlich? Ist das wirtschaftliches Handeln?“

„Unsere katholischen Schulen sind pastorale Räume, in denen Kinder und Jugendliche den Glauben kennenlernen können. Sich dieser Chance zu berauben, ist, als würde man sich selbst die Zunge herausreißen“, sagt Marie-Theres Kastner, Bundesvorsitzende der Katholischen Elternschaft Deutschland. Sogar im Erzbistum gibt es Kritik: „Zweifellos sind Einschnitte im Schulwesen notwendig“, sagt Pfarrer Georg Bergner aus Quickborn, der früher Kaplan in Harburg war. „Doch die 150 Jahre alte katholische Schule in Harburg hat angesichts der sozialen Durchmischung und der hohen Schülerzahl eine große Bedeutung für den Stadtteil.“ Es stelle sich die Frage, ob es richtig sei, diese Schule aus wirtschaftlichen Gründen zu schließen.

Druck auf Erzbistum steigt

Damit erhöht sich der Druck auf das mit 70 Millionen Euro verschuldete Erzbistum. Wie berichtet, will es acht seiner 21 Schulen in Hamburg schließen: die Domschule in St. Georg (Grund- und Stadtteilschule), die Franz-von- Assisi­-Schule in Barmbek (Stadtteilschule), das Niels-Stensen-Gymnasium, St. Marien in Ottensen (Grundschule) und die katholische Grund- und Stadtteilschule Altona. St. Sophien in Barmbek (Grundschule) und die Grund- und Stadtteilschulen in Harburg und Neugraben haben ein Jahr Schonfrist. Hier hofft das Erzbistum auf einen Erhalt mithilfe Dritter.

„Ich habe vollstes Verständnis, wenn unser Handeln Wut, Enttäuschung und Trauer auslöst“, sagt Christopher Haep, Leiter der Schulabteilung. Auch sei begreiflich, dass die recht plötzliche Verkündung der Schulschließungen von außen als „Bruch der bisherigen Kommunikation“ gesehen werde. Tatsächlich war Eltern und Lehrern noch Ende vergangenen Jahres in Aussicht gestellt worden, dass vor der Schließung einer Schule mit ihnen Lösungsmöglichkeiten gesucht würden.

„Unfaire Berechnung der Kosten“

Wie schlecht die finanzielle Situation der Schulen sei, habe man aber erst wenige Tage vor der Verkündung am 18. Januar erfahren – und angesichts der ablaufenden Anmelderunde keine andere Möglichkeit gesehen, als die Schließung der Schulen sofort zu bestimmen. „Jedes weitere Betriebsjahr hätte die Überschuldung immens steigen lassen und dadurch alle anderen Schulen gefährdet.“ Um die acht Schulen zu sanieren, instandzusetzen und für die vorgeschriebenen schulischen Anforderungen (Ganztagsbetreuung, Mensa, Inklusion) auszubauen, wären 100 Millionen Euro nötig. Die Summe für die 13 verbleibenden Schulen betrage 65 Millionen Euro, ebenso viel wäre für die drei Harburger Schulen erforderlich.

An der Überschuldung der Schulen ist laut Haep nicht zuletzt eine „unfaire Berechnung der Kosten“ und die daraus resultierende, nicht ausreichende Finanzierung durch die Stadt schuld. Diese setze den sogenannten Sollwert, von dem katholische Schulen 85 Prozent erhalten (den Rest müssen sie über Schulgeld finanzieren), mit 6000 Euro pro Schüler viel zu gering an. Zudem habe die Stadt zwar die Personalkosten für die vorgeschriebene Ganztagsbetreuung gezahlt, nicht aber die benötigten baulichen Maßnahmen.

Defizit von rund 100 Millionen Euro

„Seit der Einführung der Ganztagsbetreuung unserer 9000 Schüler ist ein Defizit von rund 100 Millionen Euro entstanden“, so Haep. Dass Schulsenator Ties Rabe erst aus den Medien von den Schulschließungen erfahren haben will, wundert ihn: „Ich habe bereits im Juli 2017 den Landesschulrat auf diese Entwicklung hingewiesen.“

Unterdessen prüfen Eltern am Niels-Stensen-Gymnasium in Harburg, ob sie den Beschluss zur Schließung anfechten können. Bei der Prüfung der Unterlagen ist Juristen in der Elternschaft aufgefallen, dass vermutlich ein Verstoß des Bistums gegen die Schulverträge vorliegt. Diese schreiben bei Schulschließungen eine Anhörung der Schulkonferenz vor, der Eltern, Schüler, Lehrer und Schulleitung beiwohnen. Entscheidend sei, dass diese Anhörung vor einem Beschluss stattfinden müsse. Eine solche Anhörung gab es aber nicht.