Harburg. Die Ankündigung des Erzbistums, das Niels-Stensen-Gymnasium zu schließen, hat bei Eltern und Personal in Harburg pure Entrüstung ausgelöst.

Hanna Kastendieck

Es gab kaum einen Schüler, der nicht geweint hat. Die Nachricht von der Schließung des Niels-Stensen-Gymnasiums (NSG) und der voraussichtlichen Schließung der katholischen Grund- und Stadtteilschule Harburg (KSH) sowie der katholischen Grundschule Neugraben hat Lehrer, Schüler und Eltern völlig unvorbereitet getroffen. „Wir sind über die Entscheidung des Erzbistum Hamburgs entsetzt“, sagt Matthias Mittag, Elternratsvorsitzender des Niels-Stensen-Gymnasiums. „Mit dieser Nachricht hat keiner von uns gerechnet.“

Wie berichtet, sollen aufgrund der Finanzkrise des Erzbistums fünf der 21 katholischen Schulen in Hamburg aus Kostengründen geschlossen werden. Eines davon ist das Harburger Niels-Stensen-Gymnasium, das in fünf Jahren aus rein wirtschaftlichen Gründen nicht mehr weitergeführt werden soll. Drei weitere Schulen stehen auf der Kippe. Dazu gehören die Katholische Schule Harburg und die Katholische Schule Neugraben.

Die Nachricht ereilte die Schüler des Niels-Stensen-Gymnasiums am Freitagmittag um 11.30 Uhr, wenige Stunden vor dem lange vorbereiteten Tag der offenen Tür. Wochenlang hatten sie sich auf diesen Tag vorbereitet, mit dem Schulorchester geprobt, Experimente eingeübt, Klassenräume geschmückt, um zukünftige Fünftklässler für ihre Schule zu begeistern. Doch diese wird es am NSG zukünftig nicht mehr geben.

„Es hat auch mich völlig unvorbereitet getroffen“, sagt Winfried Rademacher, der seine Kollegen am Donnerstagabend in einer Lehrerkonferenz über die Entscheidung des Erzbistums informiert hat. „Es gab keinerlei Signale, die auf eine Schließung hingedeutet hätten.“ Zumal die Schule erst 2011 ihren Neubau an der Haeckelstraße bezogen hatte und weitere zehn Millionen an Investitionen beschlossen waren.

Für die Schüler bedeutet die Schließung: ab Klasse zehn aufwärts können sie hier noch ihr Abitur machen. Alle jüngeren Jahrgänge müssen spätestens in fünf Jahren auf andere Schulen ausweichen.

Auch an den katholischen Grund- und Stadtteilschulen in Harburg und Neugraben ist die Sorge groß. „Sollte sich hier keine anderweitige Lösung finden, werden an diesen Schulen zum Schuljahr 2019/20120 keine Schüler mehr aufgenommen“ heißt es in einem Schreiben des Erzbistum Hamburg. „Wir sind alle erschüttert“, sagt Luiza Raguse vom Schulverein der KSH. Die Schließung der Schulen habe Schüler, Eltern wie Lehrerschaft völlig unerwartet getroffen.

„Viele Kinder sehen ihren Weg verbaut, wenn es zur Schließung des NSG kommt“, sagt Christian König, Elternratsmitglied an der KSH. Denn bislang war es möglich, nach gutem Abschluss an der KSH in die Oberstufe des NSG zu wechseln, dort ein Vorbereitungsjahr zu absolvieren und anschließend gemeinsam mit den Gymnasiasten das Abitur zu machen.

„Damit galt das NSG als Vorzeigeprojekt für alle anderen katholischen Schulen in Hamburg“, sagt Winfried Rademacher. „Sie konnten bei uns ihre Abi machen ohne ihren Status als Stadtteilschüler zu verlieren.“

Damit wird künftig Schluss sein. Für Eltern und Schüler eine Entscheidung, die nur schwer zu begreifen ist. „Es ist an Lächerlichkeit kaum noch zu überbieten, wenn sich die katholische Kirche die Schließung der Schulen mit ihrer Finanznot begründet“, sagt ein Vater, dessen Sohn auf dem NSG sein Abitur gemacht hat.

„Die katholische Kirche hat jedes Jahr über sechs Milliarden Euro Steuereinnahmen, die sie kassiert, ohne dass das Mitglied über die Verwendung mitbestimmen kann.“ Es sei eine Pflicht, dass diese Mittel dort eingesetzt würden, wo es am notwendigsten sei. Auch Birgit Rollke, Mutter von zwei Schülern, ist fassungslos. „Wir haben uns bewusst für eine nicht-staatliche Schule entschieden.Die Lehrer am NSG sind unheimlich engagiert.“

Um seine Kollegen aufzufangen, will Winfried Rademacher noch einmal mit allen Beteiligten sprechen. Der 60-Jährige ist sich allerdings sicher, dass er das Ruder nicht mehr wird rumreißen können. „Ich werde wohl als erster Schulleiter in die Geschichte des Schulwesens eingehen, der innerhalb von 20 Jahren eine Schule aufgebaut und wieder abgewickelt hat“, sagt er

Für den Bezirk Harburg ist die Schließung ein herber Schlag. An den drei Schulen in Harburg und Neugraben werden aktuell laut des Erzbistums 1534 Schüler unterrichtet. Diese Zahl von Plätzen wird künftig nicht mehr zur Verfügung stehen. Andere Schulen werden sie auffangen müssen. Matthias Czech, SPD-Abgeordneter für den Wahlkreis Süderelbe, ist bestürzt: „Ich finde es bedenklich, dass sich die Katholische Kirche komplett aus der Bildung im Süden Hamburgs zurückziehen will.“

Kritik kommt auch von der CDU-Abgeordnete Birgit Stöver: „Gerade in Harburg, wo viele Kinder besonders von einen sozialen und christlich gestützten Bildungsangebot profitieren, halte ich die geplanten Schließungen für nicht akzeptabel!“ Sozialsenatorin Melanie Leonhard fordert das Erzbistum auf, mit den Kollegien und Familien sowie der Stadt in einen Dialog zu treten, um Wege zu finden, mindestens einen Grundschulstandort und eine Perspektive für eine weiterführende Schule zu erhalten: „Die Entscheidung steht in keinem Verhältnis zur Gemeindearbeit vor Ort und den sehr guten Leistungen der Schulen.“

„Wir können als Schulbehörde keine katholischen Schulen übernehmen“, sagt Sprecher Peter Albrecht. Denkbar sei jedoch, dass Elternschaft und andere Institutionen einen Trägerverein gründen und die Schulen als Privatschulen weiter fördern.“ Eltern, Schüler und Lehrerkollegium in Harburg wissen, dass dies aufgrund der finanziellen Strukturen nicht möglich sein wird. Ganz kampflos jedoch wollen sie nicht aufgeben. Also haben die Drittklässler an der KSH Unterschriften gesammelt.

Am Sonntag kamen sie zum Gottesdienst in St. Maria zusammen und zündeten auf dem Vorplatz 21 Kerzen an: 13 weiße für die weiterhin bestehenden Schulen und acht rote für die Schulen, die von der Schließung bedroht sind. Und sie werden sich weiter dafür einsetzen, dass ihre Schule nicht zu Grabe getragen wird: jeden Montag um 17.30 Uhr mit einer Wache vor dem Mariendom.

Das NSG

Das NSG (Niels-Stensen-Gymnasium) wurde 2003 zunächst als Zweigstelle der Sophie-Barat-Schule gegründet. Zu Beginn gab es zwei fünfte Klassen.

Seit 2006 ist das katholische Gymnasium staatlich anerkannt und dreizügig. 2009 startete der erste Jahrgang in der Oberstufe mit dem Einzug in die Alte Feuerwache.

2011 zogen vier Jahrgangsbereiche, Naturwissenschaften und Informatik in den Neubau an die Haeckelstraße. Aktuell besuchen 580 Schüler das NSG