Hamburg. Zwischen einem Schulhof und einem Parkplatz ist in schlanken drei Monaten in einem Hinterhof ein Konzertsaal entstanden.

Der Konzertsaal wird pünktlich fertig. Was für ein schlichter Satz. Und was für Wellen hat es in den vergangenen zehn Jahren geschlagen, dass dem eben gerade nicht so war. Doch bisweilen bewahrheitet er sich, sogar in Hamburg. Nun, vielleicht nicht gerade beim weltberühmten Renommierprojekt an der Hafenkante. Aber in einem Hinterhof am Grindel: Zwischen einem Schulhof und einem Parkplatz ist in schlanken drei Monaten ein Konzertsaal entstanden. Sein Betreiber: die Initia­tive Tonali.

„Fertig“ ist natürlich auch in diesem Fall relativ. Nur wenige Tage vor dem Eröffnungskonzert stehen im Foyer noch Kisten, Werkzeug liegt herum. Die Lichtleiste für die Längswand fehlt noch, die wird extra angefertigt. Deshalb haben Amadeus Templeton und Boris Matchin, die Gründer und Köpfe von Tonali, als Übergangslösung einfache Halogenleuchten gekauft. „Ein bisschen Improvisation braucht es“, sagt Templeton gut gelaunt, die Arme voll vom Beutezug im Möbelhaus.

Das Tonali-Projekt

Beim Saal selbst aber verstehen die beiden keinen Spaß. Jedes Detail haben sie überlegt und sich dazu fachlichen Rat geholt. Templeton und Matchin, von Haus aus Cellisten und seit der Gründung von Tonali im Jahre 2010 zu Impresarii der besonderen Art herangereift, sind so gut vernetzt wie kaum jemand sonst in der Stadt. Beleuchter, Innenausstatter und Akustiker haben für Freundschaftshonorare mitgeplant.

Das Interieur wirkt in seiner zurückhaltenden Eleganz wie lässig hingeworfen, die weiß getünchten Wände, die schwarzen Wollvorhänge, der polierte Boden – nichts verrät die Mühe, die es brauchte, um das ehemalige Fotoatelier in einen professionell nutzbaren Konzertsaal für maximal 99 Besucher zu verwandeln: mit einem Bodenbelag, der einem ausgewachsenen Steinway standhält, mit Wanddurchbruch zum Flügeltransport.

Gebäude stammt aus dem Jahre 1890

Die Backsteinmauern und die gewölbten Fensterausschnitte lassen das Alter des Gebäudes ahnen, es stammt aus dem Jahre 1890. Ursprünglich war es ein Pferdestall mit Remise, später diente es dem Fabrikanten Henry Loebel als Spirituosenlager. „Der hat von hier aus die gesamte Schanze mit Schnaps versorgt“, erzählt Boris Matchin und grinst.

Gerade riecht es ein wenig streng, die Glühlampen in den Scheinwerfern sollen ausbrennen. Am nächsten Tag geht der Saal nämlich in Betrieb. An zwei Tagen spielen 24 Cellisten vor einer Jury um die Teilnahme am diesjährigen Tonali-Wettbewerb. Der ist ein Herzstück des Geflechts raffiniert auf­einander abgestimmter Aktivitäten, die Tonali ausmachen und im Kern darauf zielen, die klassische Musik in die Zukunft zu tragen.

Typischer Tonali-Einfall

Die offizielle – aber nicht öffent­liche – Eröffnung ist diesen Mittwoch. Hoher Besuch fliegt dafür ein; die international gefragte Geigerin Lisa Batiashvili gibt mit ihrer jungen Kollegin Elene Meipariani, die 2017 beim Wettbewerb den dritten Preis gewann, ein Gesprächskonzert. Begleitet werden die beiden von der Pianistin Milana
Chernyavska, auf dem Programm stehen Werke von Prokofjew, Debussy, Bartók und Tomasz Skweres, Jahrgang 1984, der im vergangenen Jahr den To­nali-Kompositionspreis gewonnen hat.

Ein Kompositionspreis, auch das ist ein typischer Tonali-Einfall. Templeton und Matchin bringen Ideen zum Fliegen, die mancher Kenner des Musikbetriebs als komplett abwegig fallen ließe. Mit ihrer Begeisterung gewinnen sie immer wieder Menschen für ihr Projekt. Zu ihrem „Team“ zählen sie ein paar haupt- und zahlreiche ehrenamtliche Mitarbeiter und sogar einen Finanzier: Die Kosten für die Renovierung hat ihnen der Unternehmer Alexander Szlovák geschenkt.

Kooperationen mit Resonanzraum sind geplant

Wer hat, dem wird gegeben. Die biblische Weisheit könnte das geheime Prinzip der Erfolgsgeschichte von Tonali sein. „Der Saal ist zu uns gekommen“, sagt Matchin. Die Vermieterin sprach die beiden eines Tages an: „Jungs, ich habe was für euch. Kommt mit.“ Führte sie vom Tonali-Büro aus über die Straße, über einen Parkplatz, an einer Reihe Lieferwagen vorbei, eine Treppe hinauf und schloss eine Tür auf: „Wollt ihr das haben? Macht einen Konzertsaal daraus.“ Die Dame muss einen besonderen Draht zum Universum haben. Monate zuvor hatten Templeton und Matchin sich für andere Räume interessiert, aber es war nichts daraus geworden.

Selbst entwickelte Konzertformate

All die Tonali-Unternehmungen werden den Raum gut füllen. Es gilt, den „Schülermanagern“ die Grundlagen des Musik- und Kulturmanagement nahezubringen, damit sie Klassik-Konzerte in den Schulen organisieren. Die Wettbewerbsteilnehmer brauchen einen Ort, an dem sie ihre selbst entwickelten Konzertformate auf Praxistauglichkeit ausprobieren können, bevor sie sie in freier Wildbahn anbieten. Der Saal ist Probenraum und Konzertort, Spielwiese und Labor – und wer will, kann ihn mieten. Festivals hätten schon angefragt, sagt Templeton. Kooperationen mit dem Resonanzraum St. Pauli sind geplant.

Ab Donnerstag dann. „Eigentlich wollten wir zum ersten Geburtstag der Elbphilharmonie am 11. Januar fertig sein“, scherzt Boris Matchin. „Das haben wir knapp verfehlt.“ Aber was sind schon zwei Wochen vor der Ewigkeit.