Hamburg. Justiz und Polizei sollen bald einfacher Informationen austauschen können. Entwurf soll Anfang Mai in Kraft treten.

Es ist kaum vorstellbar, aber doch wahr: Die Polizei weiß bisweilen nicht, dass ein Mann, den sie als Gefährder beobachtet, hinter Gittern sitzt. Das kann dann der Fall sein, wenn der Inhaftierte zum Beispiel wegen eines Drogendelikts, also ohne terroristischen Zusammenhang, zu einer Haftstrafe verurteilt wird. Und umgekehrt: Die Vollzugsanstalten erfahren bislang nicht automatisch, ob es bei einem neuen Insassen einen Gefährder-Hintergrund gibt. „Diese Sicherheitslücke werden wir schließen. Wir müssen wissen, ob jemand, der inhaftiert wird, von den Strafverfolgungsbehörden als Gefährder eingestuft wird“, sagte Justizsenator Till Steffen (Grüne). Ein unbekannter Gefährder könne möglicherweise andere Gefangene in der Haftanstalt radikalisieren.

Der Senat hat den Entwurf für ein Justizvollzugsdatenschutzgesetz beschlossen, das von der Bürgerschaft in den kommenden Monaten beraten, beschlossen und Anfang Mai in Kraft treten soll. Darin ist unter anderem geregelt, dass die Gefängnisse bei Polizei, Staatsanwaltschaften und Verfassungsschutz bei allen Neuinhaftierungen regelhaft anfragen können, ob jemand als Gefährder geführt wird. „Diese rechtliche Möglichkeit gab es bislang nicht“, sagte Steffen.

Fall Anis Amri ist ein warnendes Beispiel

Wie sicherheitsrelevant dieser Informationsaustausch sein kann, hat der Fall Anis Amri exemplarisch gezeigt. Der Tunesier, der am 19. Dezember 2016 einen Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin fuhr und elf Menschen tötete, wurde von einzelnen Landesbehörden als Gefährder geführt. Einen konkreten Zusammenhang mit der Inhaftierung zeigt der Fall des Bremers Harry S., der sich 2015 in der Justizvollzugsanstalt Bremen radikalisierte, sich nach seiner Entlassung dem IS anschloss und ungehindert nach Syrien ausreisen konnte. S. wurde später vom Hanseatischen Oberlandesgericht zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt. Insgesamt verspricht sich Steffen von dem Gesetzentwurf „mehr Übersichtlichkeit für Anstaltsbedienstete, Anwälte und Gefangene“ bei der Regelung des Datenschutzes hinter Gittern.

Der Fall Anis Amri -- Chronik eines Terroranschlags

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    Anders als bei Polizei und Justiz, für die die Einzelstaaten der EU ihre Zuständigkeit und Gesetzgebungskompetenz behalten, wird der allgemeine Datenschutz innerhalb der EU einheitlich geregelt. Die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gilt vom 25. Mai an unmittelbar für alle EU-Staaten. Steffen sieht darin den Vorteil, dass international tätige Unternehmen sich nur auf eine Rechtslage einstellen müssen. „Aber die Grundverordnung sieht auch harte Sanktionen bei Ver­stößen vor. Unternehmen drohen Geldstrafen von bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes“, sagte Steffen. Unternehmen müssen sich bei Streitfällen in Zukunft immer an den für ihren europäischen Hauptsitz zuständigen Datenschutzbeauftragten wenden.

    Der gläserne Mensch

    Die DSGVO sieht das „Recht auf Vergessen“, also die Löschung von Daten nach bestimmten Fristen, vor. „Personenbezogene Daten gelten manchen als das Öl des 21. Jahrhunderts, weil sich damit Wertschöpfungsketten generieren lassen. Andererseits besteht die Gefahr, dass wir zum gläsernen Menschen hinkommen“, sagte der Grünen-Senator. Gerade die Zusammenführung sensibler Daten aus unterschiedlichen Quellen berge Risiken. „Wir brauchen einen wirksamen Datenschutz, sonst bekommt jemand keine Versicherung, nur weil er im falschen Viertel wohnt oder die falschen Freunde bei Facebook hat“, so Steffen.

    Mit einem eigenen Hamburgischen Datenschutzgesetz, dessen Entwurf der Senat ebenfalls beschlossen hat, sollen die EU-Regelungen für den Umgang mit personenbezogenen Daten durch Behörden, Verwaltung und öffentliche Unternehmen konkretisiert werden. Dabei soll das Datenschutzniveau laut Steffen keinesfalls ab­gesenkt werden. Präzisiert wird die allgemeine EU-Vorgabe etwa durch konkrete Regelungen für den Umgang mit Daten, die aus der Videoüberwachung gewonnen werden.

    FDP fordert Nutzung des Umsetzungsspielraums

    „Wir werden genau prüfen, ob der Datenschutz in unserer Stadt tatsächlich besser, verständlicher und ein­facher wird“, sagte die FDP-Bürgerschaftsfraktionschefin Anna von Treuenfels-Frowein. Es gebe für die Länder erhebliche Umsetzungsspielräume. „Von ihrer Nutzung wird abhängen, ob sich das Datenschutzniveau verbessert“, sagte die FDP-Politikerin, die den Zeitraum zur Beratung für die Bürgerschaft als zu kurz kritisierte.

    „Wichtig ist uns, dass wir die bestehenden Gestaltungsspielräume nutzen, um die Interessen der Bürger, der Wirtschaft und Verwaltung in diesem Gesetz in einen guten und praktikablen Ausgleich zu bringen“, sagte der SPD-Justizpolitiker Urs Tabbert.