Hamburg . Aufstockung der Gerichte kostet 2,7 Millionen Euro. Zu lange U-Haft soll so vermieden werden – sonst drohen Freilassungen.
Justizsenator Till Steffen (Grüne) will die Hamburger Gerichte erneut verstärken. Nach einem Vermerk aus der Justizbehörde, der dem Abendblatt vorliegt, plant der Senator die Schaffung von insgesamt 14 zusätzlichen Richterstellen plus Servicekräften, was die Einrichtung von vier neuen Strafkammern ermöglicht. Die Staatsanwaltschaft soll um fünf Stellen – ein Abteilungsleiter und vier Dezernenten – aufgestockt werden.
Anlass für den Vorstoß, der noch im Senat beraten und von den Koalitionsfraktionen von SPD und Grünen gutgeheißen werden muss, ist laut Vermerk „die verstärkte Aufklärungsarbeit der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder sowie die gestiegene Bedrohungslage im Bereich des Terrorismus“. Die Folge ist ein erwarteter Anstieg sogenannter Staatsschutzverfahren, die beim Landgericht und beim Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) anhängig sind.
Erwarteter Anstieg bei Staatsschutzverfahren
Laut Vermerk wird die Zahl der eingegangenen erstinstanzlichen Strafverfahren beim Landgericht von 2014 bis Ende dieses Jahres um gut ein Viertel gestiegen sein. Wurden 2014 noch 294 Verfahren gezählt, werden es nach einer Hochrechnung im laufenden Jahr 373 Verfahren sein.
Hinzu kommt der erwartete Anstieg bei Staatsschutzverfahren. Dabei handelt es sich laut Vermerk vor allem um Verfahren gegen Tatverdächtige der somalischen Al-Shahab-Miliz, des sogenannten Islamischen Staats (IS) und der afghanischen Taliban sowie „sonstiger hochgefährlicher ausländischer terroristischer Vereinigungen“.
Das Landgericht registriert außerdem eine Zunahme sogenannter Haftsachen, die vorrangig bearbeitet werden müssen, um eine unangemessen lange Untersuchungshaft zu vermeiden. Bereits mehrfach mussten Tatverdächtige wegen zu langer U-Haft freigelassen werden. Im dritten Quartal 2017 erreichte der Anteil der Haftsachen an allen laufenden Landgerichtsverfahren einen neuen Spitzenwert von 72 Prozent. Zum Vergleich: 2008 waren es nur 44 Prozent. „Die Zunahme der Haftsachen stellt das Landgericht zunehmend vor Probleme, einen ordnungsgemäßen Ablauf der Strafverfahren zu gewährleisten“, heißt es dazu in dem Vermerk.
2,7 Millionen Euro zur Personalaufstockung
Immer mehr Probleme beim ordnungsgemäßen Ablauf der Strafverfahren – diesem Trend will Justizsenator Steffen entgegensteuern. Am Landgericht sollen drei neue Strafkammern eingerichtet werden, wofür drei Vorsitzendenstellen (R 2) und sechs Richterstellen (R 1) vorgesehen sind. Am OLG geht es um einen zusätzlichen Strafsenat mit einem Vorsitzenden (R 3) und vier Richter (R 2). Zusammen mit den Personalverstärkungen bei der Staatsanwaltschaft sind für die Personalkosten 2,7 Millionen Euro erforderlich, die der Justizsenator über einen Nachtragshaushalt für das Jahr 2018 bereitstellen will.
Der von Steffen vorgeschlagene Nachtragshaushalt für 2018 in Höhe von 2,7 Millionen Euro zur Personalaufstockung bei der Justiz schließt fünf zusätzliche Stellen (ein Abteilungsleiter, vier Dezernenten) bei der Generalstaatsanwaltschaft ein. Hintergrund ist auch hier die verstärkte Aufklärungsarbeit der Sicherheitsbehörden und die gestiegene Bedrohungslage im Bereich des Terrorismus.
Laut dem Vermerk aus der Justizbehörde, der dem Abendblatt vorliegt, hat sich die Zahl der vom Generalbundesanwalt an die Generalstaatsanwaltschaft abgegebenen Staatsschutzverfahren in erster Instanz von vier im Jahr 2015 über 14 (2016) auf bislang 50 Neueingänge im laufenden Jahr erhöht. Dabei stammen nur 36 Verfahren aus Hamburg. Der Rest verteilt sich auf die Bundesländer Schleswig-Holstein (18 Verfahren), Bremen (sechs) und Mecklenburg-Vorpommern (acht). Die Ermittlungsbehörde rechnet mit einem Anstieg auf 70 Verfahren noch in diesem Jahr.
Nachbarländer sollen Ausbau der Justiz mitbezahlen
Da Hamburg eine Kooperation mit den drei norddeutschen Ländern zur Übernahme ihrer Verfahren beschlossen hat, strebt Steffen deren Beteiligung an den Kosten für die Personalaufstockung bei Staatsanwaltschaft und Gerichten an.
Immer wieder war die gestiegene Belastung der Gerichte und der Anstieg der Verfahrensdauern Gegenstand der politischen Auseinandersetzung. Mehrmals hatten Richter und Staatsanwälte in Brandbriefen an den Senat auf die ihrer Ansicht nach unerträgliche Lage aufmerksam gemacht.
Und Steffen hat bereits gegengesteuert: Seit 2015, also dem Beginn der rot-grünen Koalition, sind nach Angaben der Justizbehörde 123 neue Stellen geschaffen worden. So wurde das Verwaltungsgericht wegen des Anstiegs der Asylverfahren zum Beispiel um neun Richterstellen verstärkt. Aber auch das Hanseatische Oberlandesgericht (fünf Richterstellen) und das Landgericht (zwölf Richterstellen) sowie die Staatsanwaltschaft (17 Stellen) wurden schon einmal personell verstärkt. Die schon bewilligten Richterstellen sind zum Teil noch nicht besetzt, weil das ein relativ kompliziertes, internes Versetzungsverfahren voraussetzt.
Derzeit gibt es am Oberlandesgericht 70 Richterstellen und am Landgericht 216 Stellen.