Hamburg. Die Junge Deutsche Philharmonie debütierte im Großen Saal der Elbphilharmonie – mit Begeisterung und künstlerischem Eigenwillen.

Die Junge Deutsche Philharmonie, dieses Auswahlteam von Musikstudenten, ist einzigartig. Und einzigartig aufregend. Wann hat man schon einmal die Gelegenheit, ein ganzes Orchester von Musikern in diesem Stadium zu erleben? Die Fortge­schrittenen unter ihnen stehen in der Blüte ihres instrumentalen Könnens, haben schon praktische Erfahrung, aber ihr Enthusiasmus ist noch nicht durch die zermürbende Suche nach einer ­Stelle oder den Dienstalltag abge­schliffen. Im Gegenteil, ihre Begeisterung und ihr künstlerischer Eigenwillen sind ein Markenzeichen des Klang­körpers.

Kein Wunder, dass aus der Jungen Deutschen Philharmonie Musikerkollektive vom Rang eines Ensembles Modern, einer Deutschen Kammerphilharmonie Bremen oder eines Ensembles Resonanz hervorgegangen sind.

Hübscher Doppelbezug

Gerade hat das Orchester sein Debüt in der Elbphilharmonie gegeben. Es hat einen hübschen Doppelbezug, dass Ingo Metzmacher am Pult stand. Zum einen hat er in seiner Zeit als Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper im Verein mit dem Regisseur Peter Konwitschny Musiktheatergeschichte geschrieben, zum anderen ist er mit dem Orchester irgendwie verwandt, war er doch jahrelang Mitglied des Ensembles Modern.

Vor allem aber hat Metzmacher offenkundig mühelos Zugang zu jungen Menschen. Sonst hätten sie ihn schon gar nicht geholt, bei der Jungen Deutschen Philharmonie geht es entschieden basisdemokratisch zu. Hinter dem Motto „Sax & Crime“ verbarg sich ein dezidiert amerikanisches Programm, reines 20. Jahrhundert, aber von der unterhaltenden Sorte und insofern wiederum von fern an Metzmachers Silvesterkonzerte „Who’s Afraid Of 20th Century Music?“ erinnernd.

Kino für die Ohren

Zum Auftakt servierten die Künstler Kino für die Ohren: Das „Nachtstück“ für Orchester hat Bernard Herrmann 1975 zu „Taxi Driver“ von Martin Scorsese geschrieben. Schneidende Holzbläsercrescendi erzeugten Thrillerstimmung und entließen den Hörer im nächsten Moment in streichersüß umflorte Kantilenen des Saxofon-Solisten Xavier Larsson Paez.

Nun ist „unterhaltend“ nicht unbedingt gleichbedeutend mit einer Schale Konfekt; ausschließlich Gefälliges wäre schließlich unter der Würde einer Jungen Deutschen Philharmonie. Auf Herrmanns kompromisslos psychologische Filmmusik folgte „Panic“, eine Leistungsschau von Harrison Birtwistle von 1995 für Altsaxofon, Bläser und jede Menge Schlagzeug.

Nach der Pause in Richtung Allzeit-Hits

Wobei das Stück des Briten für eine handfeste Panik schlicht zu lang war und auch etwas zu gleichförmig. Minutenlang mäandrierten die Minimotive umher wie Herbstlaub auf einem Teich, hier blitzten die Posaunen auf, dort setzte die Oboe zu einer himmelhohen Linie an, oder Larsson Paez am Solo-Saxofon lieferte sich einen Schlagabtausch mit dem brillanten Solo-Schlagzeuger Daniel Higler.

So richtig von der Leine ließ Metzmacher die Seinen in Rolf Liebermanns „Concerto“ aus dem Jahr 1954. Mit dem Titel spielte der Komponist zwar auf eine Werkform des Barocks an. Zu Ohren kam jedoch mal moderne Musik und mal Jazz, dessen Schwung dem Publikum in der Elbphilharmonie förmlich die Haare in die Höhe blies. Die freche Mischung war natürlich Absicht von Liebermann, dem Fuchs, brachte er doch damit die Hohepriester einer ­abstrakten, hermetischen Neuen Musik planmäßig gegen sich auf. Sollten sie ihn doch in Donaueschingen in Abwesenheit kreuzigen, seiner Karriere hat es nicht geschadet: Rolf Liebermann ­wurde Hamburgs berühmtester Opernintendant.

Esprit und Perfektion

Nach der Pause bogen die Musiker in Richtung Allzeit-Hits ab. Alexandre Tharaud schüttelte den Klavierpart von Gershwins „Rhapsody in Blue“ aus den schmalen Ärmeln. Schade, dass der Klarinettist während seines ersten Aufwärtsglissandos kurz hängen blieb. Auch die Geigen brauchten einen Moment, um ganz auf Broadway-Schmelz umzuschalten, aber dann hatten sie ihn. Und mit den Sinfonischen Tänzen aus der „West Side Story“ von Leonard Bernstein führten die Beteiligten dann gleichsam in einer Nussschale vor, was sie unter einem gelungenen Konzert verstehen: Esprit und Perfektion, klangliche Vielfalt und rhetorische Genauigkeit, Feuerwerk und Innerlichkeit. Da capo! Im nächsten Jahr dann hoffentlich.