Hamburg. Die Deutschland-Premiere der Show „Mother Africa“ wurde auf Kampnagel zu einem beeindruckenden zirzensischen Vergnügen.

Der Titel ist etwas irreführend. Der treffendere Name für die Show „Mother Africa“ müsste eigentlich „Circus Africa“ sein, denn genau das wird bis zum Jahresende auf Kampnagel ­geboten: atemberaubende Artistik und spektakuläre Jonglagen von afrikanischen Artisten gepaart mit Tanzein­lagen und unterlegt von Afro-Rock. Diese bunte Truppe hat der Clown und ­Artist Winston Ruddle zusammengestellt. Ruddle gründete 2003 in Tansania eine Schule, in der junge Afrikaner zirzensische Tricks und Techniken lernen. Immer neue Talente kommen aus dieser Schmiede und werden mit dem Tournee-Zirkus um die Welt geschickt. Seit 2006 tourt „Mother Africa“, in diesem Jahr ist das Ensemble mit einem neuen Programm unterwegs, das auf Kampnagel seine Deutschland-Premiere erlebte.

Schon die erste Nummer verfolgen die Zuschauer in der Halle k6 mit vor Staunen offenen Mündern. Mikael ­Efram Haile, ein Artist aus Äthiopien, zieht sich nur mit den Händen an einer zehn Meter hohen Stange hoch und zeigt in luftiger Höhe einige Figuren, die nur mit extremer Muskelspannung und Körperbeherrschung machbar sind. Was mit einem BMX-Rad alles möglich ist, demonstriert Rashid Hamadi Mmanga in seiner lustigen Einlage.

Publikum ist aus dem Häuschen

Er bringt das Rad zum Hüpfen, er tanzt im Rhythmus der Musik, und auch als ihm das Vorderrad gestohlen wird, dreht er weiterhin seine Kreise auf der Bühne. Technik ist eben alles. Der nächste ­Höhepunkt in der gut zweistündigen Show lässt nicht lange auf sich warten. Vier junge Akrobatik-Künstlerinnen aus Äthiopien jonglieren zu einem Shakira-Song große flache Kissen mit Händen und Füßen und verrenken ihre Körper dabei in ­geradezu aberwitziger Weise. Das Publikum ist aus dem Häuschen und klatscht begeistert im Takt der ­Musik.

„New Stories from Khayelitsha“ heißt die Show im Untertitel. „Khayelitsha“ (übersetzt „unsere neue Heimat“) ist der Name eines der größten Townships Südafrikas, das ungefähr 30 Kilometer von Kapstadt entfernt liegt. Dort wohnen etwa zwei Millionen Menschen verschiedener Herkunft und Religionen auf engstem Raum und oft noch in selbst ­gebauten Hütten aus Blech, Holz oder Pappe. In einer Kulisse mit einem baufälligen Hair-Shop auf der linken und einem Supermarkt auf der rechten Bühnenseite lassen die Regisseure Winston Ruddle und Ulrich Thon die atemberaubenden Nummern ablaufen.

Nummer von Weltklasse-Format

Wie den „Global Walk-Act“ aus Ägypten, der zum ersten Mal in Europa zu sehen ist. Amir Said kommt mit einer Bierflasche auf die Bühne und markiert einen Betrunkenen. Das hält den Ägypter nicht davon ab, auf einem über­dimensionalen Ball zu balancieren. ­Dabei rudert er mit den Armen, als würde er jeden Moment kopfüber nach unten stürzen, doch dieser vorgespielte Rausch ist nur eine Steigerung des Schwierigkeitsgrades der Nummer. Amir und sein Bruder Akram schaffen es sogar, von einem Ball über eine Hürde auf einen anderen Ball zu hüpfen – auch das eine Nummer von Weltklasse-Format.

Wie schon bei der Vorgänger-Show „Khayelitsha – My Home“ wird „New Stories from Khayelitsha“ abermals von der Choreografin und Tänzerin ­Noluyanda Mqulwana unterstützt. Sie stammt aus dem südafrikanischen Township. Auf die Frage, ob in den Straßen des Townships tatsächlich so viel getanzt und gesungen wird wie die ­Artistik-Show das zeigt, sagt sie: „In Khayelitsha wird jeden Tag gefeiert, ­gesungen und getanzt.

Show mit überragender Artistik

Gerade am Sonntag ist es eine Herausforderung: Aus der Kirche dringt laute Musik in die Straßen, im Nachbarhaus probt eine Band und ein Haus weiter spielt ein DJ
House-Music.“ Eine siebenköpfige Band ­begleitet die Artisten während der Show mit Afro-Funk und Rhythm & Blues. Sehr präsent ist dabei der Congaspieler Abubakari Omari Mngondai. Tänzer in knallbunten Kostümen vermitteln die Lebensfreude der Menschen, die unter Armut und Entbehrungen leiden, aber im Tanz und im Gesang Ablenkung von den sie umgebenden Problemen finden.

„Mother Africa“ versucht nicht, die afrikanischen Zustände zu problematisieren, es ist eine Show, die mit überragender Artistik zeigt, dass Afrikaner inzwischen mit Zirkus-Stars aus Osteuropa und Asien mithalten können. Hautfarbe und Herkunft spielen eine untergeordnete Rolle. Gegen Ende des Spektakels wird es doch noch politisch, wenn das Porträt von Nelson Mandela (1918– 2013) an die Wand projiziert wird und der ­Nobelpreisträger und ehemalige Staatspräsident Südafrikas in einer Rede Gerechtigkeit und Frieden anmahnt.

Staunen und Begeisterung

Nach der Pause setzt sich das an Höhepunkten reiche Programm fort. Die vier äthiopischen Mädchen entpuppen sich als wahre Schlangenmenschen. Sie können sich mit den Füßen an den Schultern berühren und so verrenken, als wären ihre Wirbelsäulen aus Gummi. Mikael Efram Haile, der mit seinem Afro und dem roten Stirnband an Jimi Hendrix erinnert, zelebriert eine furiose Nummer mit drei Diavolos; Salomon Solgit balanciert auf einer wackeligen Wäscheleine, jongliert dabei mit drei großen Macheten und fährt als Höhepunkt mit einem Einrad auf dem schwankenden Seil.

Mohammad Husseni Mohammad und sein Partner Mohamed Ramadhani Bakari verblüffen mit einarmigen Hebefiguren und zeigen ­dabei, wie ein perfekter Waschbrettbauch aussieht. Das Publikum feiert die Artisten und tritt beswingt den Heimweg an – in den Ohren den Gospel „Oh Happy Day“ und immer noch voller Staunen und Begeisterung über diese ganz ­besondere Zirkusshow.

„Mother Africa“ tägl. außer 24. und 25.12. bis 30.12., 19.30 (am 26., 29., 30.12. zusätzlich 16.00), Kampnagel (Bus 172), Jarrestraße 20, Karten 45,90–64,90, Familien-Ticket: 4 Karten für 98,- in der HA-Geschäftsstelle (Großer Burstah 18–32) und unter T. 30 30 98 98; circus-mother-africa.com