Hamburg. Frank Rausch spricht im Abendblatt über hohe Transportkosten, den Wettbewerber DHL und seine Elektroauto-Initiative.

Bis zu 15 Millionen Sendungen an nur einem Tag, in den Wochen vor Weihnachten voraussichtlich noch einmal 30 Millionen Pakete mehr als vor einem Jahr – die deutschen Zustelldienste und ihre Fahrer ächzen unter einer Flut von immer mehr Paketen. Das mit dem rasant wachsenden Onlinehandel stetig steigende Paketaufkommen bringt die Branche an den Rand der Leistungsfähigkeit. Das Abendblatt sprach mit Hermes-Deutschland-Chef Frank Rausch über die Folgen des Booms.

Hermes hat Onlinehändlern Höchstmengen verordnet und nimmt von ihnen nicht mehr alle Sendungen an. Haben Sie das Ausmaß des Sendungsaufkommens unterschätzt?

Frank Rausch: Das Weihnachtsgeschäft entwickelt sich in diesem Jahr außergewöhnlich turbulent. Momentan transportieren wir jeden Tag rund doppelt so viele Sendungen wie im Jahresmittel – und noch einmal 20 Prozent mehr Menge als zu Weihnachten 2016. Bereits im Spätsommer haben wir Sendungsmengen auf dem Niveau des Weihnachtsgeschäfts verzeichnet. Die Branche steht insgesamt vor der Herausforderung, ausreichend Zustellpersonal zu finden, um den Boom im Onlinehandel auch zuverlässig auszuliefern. Deshalb haben wir in diesem Weihnachtsgeschäft erstmals regionale Obergrenzen mit unseren Händlern vereinbart. Im Gegenzug geben wir eine Zustellgarantie. Rechtzeitig eingelieferte Pakete werden bis zum Abend des 23. an den Endkunden zugestellt. Für private Pakete gibt es im Übrigen keine Höchstmenge.

Gilt dieses Paketlimit auch für Ihr Schwesterunternehmen, den Onlinehändler Otto? Otto-Group-Chef Alexander Birken hat schon vor Monaten gesagt, man erwäge eine Zusammenarbeit auch mit anderen Paketdiensten ...

Rausch: Hermes wickelt 100 Prozent aller Pakete aus dem Otto-Konzern ab – und das bleibt auch so. Wir diskutieren bereits seit Längerem kooperative Modelle innerhalb der Branche, die dazu beitragen, die Belieferung von Kunden in den Innenstädten effizienter zu gestalten.

Wie muss man sich das vorstellen?

Rausch: Die Zahl der Pakete von Onlinehändlern an Konsumenten wird weiter stark steigen. Zugleich gibt es die Notwendigkeit, die Städte vom Individualverkehr und von den durch ihn entstehenden Schadstoffen zu entlasten. Da ist auch die gesamte Paketbranche gefordert. Wir unterstützen jede gemeinsame Lösung, die dazu beiträgt, dass wir Sendungen möglichst effizient und schonend auf der sogenannten letzten Meile zu den Verbrauchern bringen.

Post-Chef Frank Appel hat ein Ausschreibungsmodell vorgeschlagen. In einer Stadt soll nur noch jeweils ein Dienst sämtliche Pakete zu den Empfängern transportieren. Was halten Sie von dieser Idee?

Rausch: Ich vermute hinter diesem Vorstoß das klare Interesse, den Wettbewerb in der Branche weiter einzuschränken. Angesichts der Tatsache, dass die Post weiterhin mit großem Abstand Marktführer bei der Brief- und Paketzustellung in Deutschland ist, wäre ziemlich schnell klar, wer eine solche Ausschreibung in den meisten Fällen gewinnt. Die Zahl der Lieferfahrzeuge in der Stadt würde dadurch nicht sinken, denn sie sind bereits über alle Anbieter hinweg sehr gut ausgelastet. Sie hätten nur eben alle die gleiche Farbe. Der Verdacht liegt nahe, dass der Vorschlag der Kollegen aus Bonn ein Versuch ist, die ehemalige Monopolstellung zurückzugewinnen. Dabei hat erst der Wettbewerb der Paketlogistik in Deutschland einen deut­lichen Innovationsschub verschafft, der den Verbrauchern zugutekommt.

Welches Modell schwebt Ihnen denn vor?

Rausch: Was für eine echte Entlastung der Innenstädte sorgen würde, sind zum Beispiel für alle Anbieter gemeinsam nutzbare Mikrodepots in den oder am Rande der Innenstädte, die nur ein- oder zweimal am Tag von größeren Lkw ver- und entsorgt werden. Die Zustellung könnte ab hier mit Lastenfahrrädern, E-Bikes, Elektro-Transportern oder zu Fuß erfolgen – da gibt es viele Möglichkeiten auf der letzten Meile bis zum Kunden. Auch die Städte und Kommunen haben ein Interesse an kooperativen Lösungen.

Hermes hat ja in Hamburg schon einen Paketroboter getestet. Gehört der auch zur Zukunft der Paketzustellung?

Rausch: Beim Test hier in Hamburg ging es zunächst um die Frage, ob der Roboter von den Menschen auf der Straße akzeptiert wird. Das wird er eindeutig. Allerdings unterliegt der Einsatz hohen Auflagen und darf zum Beispiel nur begleitet eingesetzt werden, was auf Dauer nicht wirtschaftlich abbildbar ist. Zum jetzigen Zeitpunkt ist der Roboter zwar eine innovative Nische, er ist aber nicht für einen flächendeckenden Einsatz geeignet. Er könnte in Zukunft die Lieferung von speziellen Produkten unterstützen, zum Beispiel die Zustellung von Medikamenten.

Bis zu einer Kooperation mit anderen Anbietern dürften Jahre vergehen. Was tut Hermes aktuell, um die wachsende Paketmenge und zugleich die Probleme der innerstädtischen Zustellung zu bewältigen?

Rausch: Wir investieren umfangreich in den Ausbau unserer logistischen Infrastruktur. Neun große Logistikzentren im Wert von 300 Millionen Euro werden wir bis 2019 an unser Netz anschließen. Drei davon haben wir bereits in diesem Jahr eröffnet. In Hamburg gab es vor wenigen Wochen den ersten Spatenstich für ein neues Logistikzentrum. Wir sind froh, dass wir ein optimal angebundenes Grundstück in Billbrook dafür gefunden haben. Mit dem Daimler-Konzern haben wir die Lieferung von 1500 Transportern mit Elektroantrieb bis 2020 vereinbart. Die ersten 30 Vorserienmodelle setzt Hermes ab dem Frühjahr 2018 in Hamburg ein. Von Billbrook aus wird die Hermes-Flotte die Hansestadt im Jahr 2019 komplett kohlendioxid- und stickoxidfrei beliefern.

Gilt das auch für die Fahrzeuge der im Auftrag von Hermes tätigen Subunternehmer?

Rausch: Unsere Vertragspartner in der Zustellung werden die Elektrotransporter vorrangig einsetzen. Sie werden über Leasingverträge an der Elektrifizierung unserer Flotte beteiligt.

Das löst aber nicht das wachsende Verkehrsproblem durch Lieferfahrzeuge für die Zustellung an der Haustür ...

Rausch: Zugleich erweitern wir das Netz unserer Hermes Paketshops. In Hamburg unterhalten wir derzeit rund 300 Annahmestellen, bundesweit 15.000. 2018 wollen wir die Zahl auf 16.000 steigern, 2020 sollen es dann 20.000 sein. Studien zeigen, dass Kunden sehr wohl bereit sind und es sogar als Vorteil empfinden, wenn sie Pakete selbst abholen können. Vorausgesetzt, der nächste Paketshop ist im Stadtgebiet nicht viel weiter als sieben Gehminuten entfernt. Paketboxen, die allen Anbietern zugänglich sind, erweitern zusätzlich das Spektrum.

... der Empfänger schleppt künftig selbst?

Rausch: Hermes stellt heute jährlich mehr als 400 Millionen Pakete pro Jahr zu. Die große Mehrheit davon wiegt weniger als zehn Kilogramm. Das nehmen heute bereits viele Kunden auf sich. Es ist ja auch nur ein weiteres Angebot. Der Kunde entscheidet selbst, welche Option am besten in seinen Alttag passt.

Ist die Hauszustellung ein Auslaufmodell?

Rausch: Nein, sie ist immer noch die Zustell­option, die die meisten Kunden bevorzugen. Diesen Service wird es weiter geben. Allerdings muss die individuelle Zustellung an die Haustür teurer werden. Wir haben in Deutschland die beste und zuverlässigste Logistik der Welt, zugleich sind die Paketpreise die niedrigsten in Europa. Die Firmen investieren ständig in neue Services und Angebote, in Fortschritt und Digitalisierung. Zudem muss die Entlohnung für unsere Paketzusteller steigen. An dieser Stelle müssen Handel, Logistik und Politik noch besser kooperieren, um das Wachstum für alle Beteiligten auskömmlich zu gestalten. Wir brauchen mindestens 50 Cent mehr pro Paket.