Hamburg. NDR-Chefdirigent kündigte an, seinen Posten schon im Sommer 2018 zu verlassen, ein Jahr vor dem regulären Ende seines Vertrags.

Auf seiner offiziellen Internet-Seite posiert er noch lächelnd vor der Elbphilharmonie, als sei alles zwischen ihm und ihr in schönster Ordnung. Doch der digitale Terminkalender von Thomas Hengelbrock endet am 7. Dezember, mit Monteverdis Marienvesper mit Hengelbrocks eigenen Balthasar-Neumann-Ensembles in Brüssel. Was unausgesprochen signalisiert: Hier ist Baustelle.

Seit 2011 war Hengelbrock NDR-Chefdirigent und in Hamburg auf dieser Position schnell zum Publikumsliebling geworden. Er hat in der Zeit vor der Elbphilharmonie-Eröffnung extrem viel ­gearbeitet, um sein Orchester wettbewerbsreifer zu machen. Nun mag er nicht mehr. Er möchte noch schneller aus Hamburg weg, als es sein 2019 endender Vertrag vorsieht, bereits zum Ende der Saison im Sommer 2018. Der Suchtfaktor der internationalen Aufmerksamkeit, das Rampenlicht im derzeit außergewöhnlichsten Konzertsaal der Welt? Egal. War schön hier, aber ich muss los.

New York philharmonic dirige par Alan Gilbert. Salle Pleyel, Paris. Photographie fevrier 2010. ©Fred Toulet/Leemage [ Rechtehinweis: picture alliance/Leemage ]
New York philharmonic dirige par Alan Gilbert. Salle Pleyel, Paris. Photographie fevrier 2010. ©Fred Toulet/Leemage [ Rechtehinweis: picture alliance/Leemage ] © picture alliance / Fred Toulet/L | dpa Picture-Alliance / ©Fred Toulet/Leemage

Auch die Umgangs-Chemie kommt zur Sprache

In der „Welt am Sonntag“ beendete Hengelbrock die bisherige Verschwiegenheit: Bereits anderthalb Jahre vor der Eröffnung habe er sich fürs ­Gehen entschieden, „und ich habe den NDR lange vor dem Ende der letzten Saison darüber informiert“. „Sehr ­unerfreulich war das Vorgehen des NDR, unmittelbar nach der öffentlichen Ankündigung dieses Schrittes meinen Nachfolger zu benennen und noch in derselben Woche, in der ich zehn Konzerte zu dirigieren hatte, vorzustellen. Das ist vollkommen unüblich und hat nach außen einen ganz falschen Zungenschlag in diese Sache gebracht.“ Schon sehr kurz nach der Bekanntgabe, Hengelbrock wolle nicht verlängern, hatte der NDR seinen Wunschkandidaten präsentiert: Alan Gilbert, jetzt Ex-Chef des New York Philharmonic, der elf Jahre lang Erster NDR-Gastdirigent war – vier Jahre mehr als Hengelbrocks nun verkürzte NDR-Amtszeit.

Leitartikel: Hengelbrocks Abschied mit Ansage

Die tägliche Zusammenarbeit mit dem Orchester sei für ihn, so Hengelbrock, nicht immer das reine Wunschkonzert gewesen. „Ich hatte gehofft, dass es eine stärkere Eigeninitiative entwickelt. (...) Es gab natürlich Situationen, in denen ich mich sehr weit von dem entfernen musste, was ich mir vorgestellt hatte.“ Auch die Umgangs-Chemie kommt zur Sprache: „Es ist bis heute schwierig für mich, grundsätzliche Dinge und Haltungen, wie sie im öffentlich-rechtlichen System vorherrschend sind, zu akzeptieren.“ Unisono-Liebe klänge anders.

Reaktionen der Gegenseiten fallen gegenargumentkarg aus

Zur Akustik im Großen Saal, mit der gerade sein Orchester oft stark zu kämpfen hatte, sagte Hengelbrock: „Die akustischen Verhältnisse in der Elbphilharmonie sind zwar insgesamt großartig, aber je nach Repertoire bisweilen auch kompliziert.“

Die Reaktionen der Gegenseiten fallen gegenargumentkarg aus: Der NDR erklärte, Hengelbrock habe Anfang September gebeten, ihn zum Ende der Saison 2017/18 von seiner Position zu entbinden, damit er sich intensiver künftigen Aufgaben widmen kann. Diesem Wunsch habe man entsprochen. Zur mittelfristigen Planung sagt NDR-Klangkörpermanager Achim Dobschall: „An Stelle von Hengelbrock wird in der kommenden Saison der designierte Chefdirigent Alan Gilbert zwei wichtige Konzertprojekte leiten.“ Neben ihm solle Krzysztof Urbanski mit mehreren Programmen die Spielzeit prägen.

Generalintendant bedauert die Entscheidung

Generalintendant Christoph Lieben-Seutter kommentiert: „Ich bedauere die Entscheidung. Er hat dem NDR Elbphilharmonie Orchester mit unvergleichlichem Engagement und starken künstlerischen Impulsen den Weg in die Elbphilharmonie bereitet. Ich hatte mich auf ein gutes Finale seiner Zeit als Chefdirigent in der Saison 2018/19 gefreut, respektiere aber, wenn er sich anders entscheidet. Nun bleibt noch ein halbes Jahr, in dem er sicherlich weiterhin Akzente setzen wird.“

Kultursenator Carsten Brosda sekundierte: „Seine kluge Programmierung des Eröffnungskonzerts und mutige programmatische Impulse haben insbesondere zum guten Start der Elbphilharmonie beigetragen. Dafür danke ich ihm ausdrücklich. Ich gehe davon aus, dass das Orchester die Übergangsphase erfolgreich meistern wird, um auch in Zukunft das Profil des Hauses weiter zu schärfen.“

Hengelbrock hat mittlerweile wieder einen Wohnsitz in Paris, wo er neben Daniel Harding als „Chef associé“ Teil der Doppelspitze des Orchestre de Paris ist, in der ebenfalls schicken neuen Philharmonie de Paris im 19. Arondissement. Was nun für ihn kommen mag? Dazu orakelte Hengelbrock: Das könne er erst im Sommer 2018 verraten.