Hamburg. Der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs spricht im Abendblatt zur Lage nach dem Jamaika-Aus.

Johannes Kahrs, seit 1998 SPD-Bundestagsabgeordneter, erlebt gerade spannende Tage. Als Chef des konservativen Seeheimer Kreises versucht er, die Bundes-SPD aus der Verweigerungsecke herauszuholen. Sein Credo: Lasst uns sehen, welche SPD-Ideen mit welchen Fraktionen durchsetzbar sind.

„Die SPD muss ihren bisherigen Kurs überdenken“, haben Sie gefordert und damit maßgeblich eine Diskussion in der SPD losgetreten. Was ist der richtige Weg, um Neuwahlen zu vermeiden – Große Koalition, Tolerierung einer Minderheitsregierung oder Weiterarbeiten der geschäftsführenden Bundesregierung aus Union und SPD?

Johannes Kahrs: Ich glaube, am Ende kann all das rauskommen, was Sie geschildert haben – inklusive Neuwahlen. Aber jetzt geht es erst mal darum, dass die SPD das tut, was der Bundespräsident fordert, und mit allen redet. Und da sollte man über Inhalte reden. Wir müssen jetzt aufschreiben, was uns da wichtig ist – zum Beispiel die Bürgerversicherung und die Rente mit 63.

Brauchte es in der SPD einen Johannes Kahrs, um daran zu erinnern, dass sie eine staatspolitische Verantwortung hat?

Kahrs: Ich bin mir sicher, dass ich dazu nicht gebraucht wurde. Wir haben das Thema in der Bundestagsfraktion diskutiert. Wenn der Bundespräsident Gespräche einfordert, dann muss man das ernst nehmen. In der SPD-Fraktion gab es 45, 46 Wortmeldungen zu dem Thema. 43 Redner äußerten sich so oder so ähnlich, wie ich es jetzt getan habe.

Sie gehen auf Gegenkurs zu Parteichef Martin Schulz, der am Montag seine Entschlossenheit zu Neuwahlen betont hat.

Kahrs: Wir leben in aufregenden und interessanten Zeiten, und man wird jeden Tag schlauer. Um 18.05 Uhr nach der Bundestagswahl war es richtig zu sagen, wir wollen keine Große Koalition. Als dann Jamaika krachend gescheitert ist und Frau Merkel gezeigt hat, wie man Verhandlungen nicht führt, da fanden wir, dass wir nicht 30 Sekunden später der Notnagel sein müssen.

Kommt jetzt die Stunde des Olaf Scholz?

Aber jetzt gibt es in der SPD eine Debatte, die ganz anders geführt wird. Unter anderem Sie haben das ausgelöst, das ist Ihr Dissens zu Schulz.

Kahrs: Ich glaube, dass sich dieser Dissens auflösen lässt. Am Montag hat die Fraktion einen Beschluss gefasst, der zwar noch dieselbe Überschrift trägt wie am Wahlabend, aber der Inhalt hat sich geändert. Da steht drin, dass man reden muss, wenn der Bundespräsident ruft. Der Bundespräsident hat nicht nur die Autorität des Amtes und das Grundgesetz hinter sich, sondern er war auch mal Sozialdemokrat. Wenn er sagt, dass die Parteien eine staatspolitische Pflicht haben und alle denkbaren Varianten diskutiert werden müssen, bevor wir in Neuwahlen gehen, dann muss man das auch machen.

Wie erleben Sie als Parlamentarier diese außergewöhnliche politische Situation?

Kahrs: Es ist großartig. Es ist so aufregend wie lange nicht in meinem Leben. Jetzt gibt es ein großes Nichts, und das Parlament kann dieses Nichts füllen. Der Hauptausschuss ist bereits besetzt, im Dezember werden alle weiteren Bundestagsausschüsse besetzt, dann sind wir arbeitsfähig. Wir können Gesetze einbringen, wir können Gesetze beschließen. Und alles ohne eine Bundesregierung, die einen Staatssekretär schickt, der einen Sprechzettel verlesen lässt, der zuvor dreimal im Kanzleramt weißgewaschen wurde. Das ist großartig. Da kann man auch gern noch länger über GroKo oder Tolerierungen und über Inhalte reden.

Merkel will keine Minderheitsregierung – darum ist das klug von der Kanzlerin

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    Ist Schulz als Parteichef zu halten?

    Kahrs: Wenn er sich an die Spitze der Bewegung setzt – davon gehe ich aus –, dann sage ich, wir vom Seeheimer Kreis sind dabei. Ich habe ihn auf dem Parteitag als Vorsitzenden gewählt, und er ist ein anständiger Kerl, macht lange Politik und ist sehr erfahren. Ich habe vollstes Vertrauen, dass das gut laufen wird.

    Und Sie würden Martin Schulz am 7. Dezember wiederwählen?

    Kahrs: Aber selbstverständlich.

    Und wenn es einen Gegenkandidaten gibt?

    Kahrs: Das glaube ich nicht.

    Wäre Olaf Scholz eine Alternative?

    Kahrs: Olaf Scholz ist für alles eine Alternative und kann alles. Die Frage ist, ob er will. Soweit ich weiß, kandidiert er als stellvertretender Parteivorsitzender.

    Kann Hamburg auf Olaf Scholz als Bürgermeister eigentlich verzichten?

    Kahrs: Wenn er Bundeskanzler werden würde, wäre ich bereit, auf ihn als Hamburger Bürgermeister zu verzichten.

    Müsste Scholz jetzt aktiv werden, wenn er Kanzlerkandidat werden wollte?

    Kahrs: Wenn wir merken, dass er aktiv wird, hat er etwas falsch gemacht. Politik findet nicht so statt, dass sich alle auf den Marktplatz stellen und schreien.

    Einmal angenommen, es kommt doch zu Neuwahlen: Kann Martin Schulz noch einmal Spitzenkandidat werden?

    Kahrs: Der Parteivorsitzende hat laut Satzung das alleinige Vorschlagsrecht.

    Sollte Martin Schulz auch Spitzenkandidat werden?

    Kahrs: Das ist seine Entscheidung.

    Wäre es eine Bedingung der SPD für die Tolerierung einer Minderheitsregierung, dass Merkel nicht Kanzlerin bleibt?

    Kahrs: Ich glaube, dass sie das gar nicht will, weil es mit der von ihr gewünschten Stabilität nichts zu tun hat. Ich finde aber, jeder kümmert sich um sein eigenes Personal. Ich habe kein Problem damit, wenn Frau Merkel das macht. Ich glaube, es nützt zurzeit uns.