Hamburg/Berlin. Während sich Olaf Scholz bei “Markus Lanz“ auffallend zurückhält, fordert Johannes Kahrs die SPD in den “Tagesthemen“ zum Umdenken auf.
Der Druck auf die Genossen nimmt beinahe stündlich zu: Lässt sich die SPD am Ende doch noch auf eine große Koalition ein? Eine Frage, die führende Genossen derzeit auch öffentlich kontrovers diskutieren – mit unterschiedlichen Positionen.
An diesem Donnerstag fährt Parteichef Martin Schulz ins Schloss Bellevue im Berliner Tiergarten, um mit dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier über Auswege aus der Regierungskrise zu beraten. Nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen könnte Steinmeier die SPD auffordern, Gespräche mit der Union zu führen.
Auch in der SPD mehren sich die Stimmen, die Schulz öffentlich auffordern, den bisherigen Kurs zu überdenken. Die Sozialdemokraten hatten nach dem Absturz auf ihr schlechtestes Nachkriegsergebnis bei der Bundestagswahl vor acht Wochen entschieden, für eine große Koalition mit der Union nicht mehr zur Verfügung zu stehen und in die Opposition zu gehen. Doch mit dem abrupten Ausstieg der FDP aus den Bemühungen um eine Jamaika-Koalition sind die Karten im politischen Berlin völlig neu gemischt.
Kahrs: Neuwahlen wären eine Bankrotterklärung
Darauf verweist auch der Hamburger Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs aus Hamburg-Mitte. Der Sprecher des Seeheimer Kreises, eines eher konservativen Arbeitskreises von SPD-Abgeordneten, gibt seit Montag ein Interview nach dem anderen, in dem er seine Parteigenossen ermahnt, offen in das Gespräch mit Steinmeier zu gehen und das kategorische Nein zu einer neuen großen Koalition aufzugeben.
Die Entscheidung, nach der Wahl nicht zur Verfügung zu stehen, sei zwar richtig gewesen, sagte Kahrs am Mittwochabend in den ARD-"Tagesthemen". Nun sei die Lage aber eine andere. "Als der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gesagt hat, jetzt müssen alle mit allen reden, haben wir gesagt, jawohl, ist notwendig, muss so sein. Ich gehe davon aus, dass wir die Gespräche aufnehmen."
Im "Deutschlandfunk" führte der Hamburger Abgeordnete weiter aus: "Nachdem der Bundespräsident mit sehr klaren, sehr deutlichen Hauptsätzen sich an die Bevölkerung und die Parteien gewandt hat, ist es jetzt die Pflicht und Schuldigkeit eines jeden Demokraten, dem zu folgen und natürlich diese Diskussion aufzunehmen. Alles andere wäre für mich undenkbar." In der "Rheinischen Post" ergänzte Kahrs. "Die SPD trägt Mitverantwortung für den Staat." Neuwahlen wären eine Bankrotterklärung aller demokratischen Parteien, so der Haushaltspolitiker.
Kahrs sprach sich jedoch nicht direkt für eine große Koalition aus. "Das ist ein Prozess, wo man nicht gleich mit einem Ergebnis anfängt", sagte der SPD im "Deutschlandfunk". Es könne sowohl um die Tolerierung einer Minderheitsregierung, als auch um Neuwahlen, ein Jamaika-Bündnis oder eine Neuauflage der GroKo gehen. "Ich glaube, gerade in einer Demokratie ist das jetzt ein sehr spannender Moment, wo alle Parteien da sind und noch mal nachdenken müssen."
Scholz: Gute Chancen für die SPD bei Neuwahlen
Mit seinen Äußerungen geht der Hamburger Bundestagsabgeordnete auf Konfrontation zu SPD-Vize und Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz. Am vergangenen Wochenende hatte dieser auf einem Sonderparteitag der Hamburger SPD mit Blick auf die Sondierungsgespräche von Union, FDP und Grünen erklärt: „Wenn die das nicht schaffen, dann haben die sich blamiert. Dann muss es Neuwahlen geben.“ Die SPD habe zudem gute Chancen, sich bei einer Neuwahl zu steigern.
Während Kahrs am Mittwochabend in der ARD klar Stellung für die Aufnahme von Gesprächen bezog, hielt sich Olaf Scholz fast zeitgleich mit Aussagen auffällig zurück. In der ZDF-Sendung von Markus Lanz ließ er sich am Mittwochabend nicht aus der Deckung locken. Immerhin deutete er an, dass er Neuwahlen noch immer für die bessere Lösung hält: "Es wäre falsch zu sagen, dass das keine Möglichkeit ist". Allerdings schloss Scholz auch eine Schwarz-Rot nicht kategorisch aus. Eine Minderheitenregierung, die von der SPD toleriert wird, sieht Scholz sehr skeptisch: "Aus meiner Sicht ist das etwas, womit man sich sehr schwer tun sollte."
+++ Kommt jetzt die Stunde des Olaf Scholz? +++
Gesprächen mit der Union wird sich die SPD am Ende wohl nicht verweigern, das hat bereits Fraktionschefin Andrea Nahles angedeutet. Steinmeier dürfte wohl alles versuchen, Parteichef Schulz zum Einlenken zu bewegen. Aber was dann? Was macht Schulz? Und was machen seine Widersacher? Die Zeit drängt. In zwei Wochen findet der Parteitag in Berlin statt. Jetzt braucht die SPD sehr schnell Entscheidungen. Doch Hamburgs Sozialdemokraten zeigen, wie unterschiedlich die Haltungen in der Partei derzeit sind.