Hamburg. Der Bildband “Hamburg – Krieg und Nachkrieg“ zeigt die Stadt im Faschismus – und den mühsamen Neuanfang nach der Stunde Null.
Die Erinnerungen verblassen. Im Jahr 2017 gibt es nur noch wenige Zeitzeugen, die den Faschismus und die schweren Zerstörungen der Hansestadt hautnah miterlebt haben. Umso wichtiger sind Menschen, die sich erinnern und von den finsteren Tagen des „Tausendjährigen Reiches“ erzählen. Der Hamburger Junius-Verlag hat in diesen Tagen einen beeindruckenden Bildband in die Buchhandlungen gebracht, der die Zeit wieder auferstehen lässt. „Hamburg – Krieg und Nachkrieg“ heißt das Werk, das die Fotos von gleich sieben Fotografen aus den Jahren 1939 bis 1949 zusammenbringt.
Erich Andres, Willi Beutler, Walter Lüden, Theodor Scheerer, Hugo Schmidt-Luchs, Joseph Schorer und die jüngst wiederentdeckte Alice O’Swald-Ruperti waren mit ihren Kameras vor Ort, als die Hamburger die Nazis erst feierten und dann im Feuersturm für die Untaten des Regimes büßen mussten. Es zeigt die Menschen dieser Stadt als Opfer – und als Mittäter. „Dürfen diese Bilder für sich sprechen?“, fragt Herausgeber Jan Zimmermann in seinem Vorwort, die Bilder einer „Dekade ohne Vergleich in der Geschichte der Stadt“.
Mythos von der Unverwundbarkeit
Die Fotos bilden begeisterte Hamburger ab, die 1940 den Sieg über Frankreich mit dem deutschen Gruß feiern. Und sie öffnen den Blick für die verheerenden Zerstörungen der Stadt im Luftkrieg. Nur wenige Tage nach der Zerstörung der Altstadt Rotterdams erreichten britische Bomber die Hansestadt und begannen den Mythos von der Unverwundbarkeit des Reiches zu zerstören.
Am 14. Oktober 1940 titelte der „Hamburger Anzeiger“ nach den ersten Luftangriffen martialisch: „Hamburg ist Front – und wir sind alle Soldaten.“ Die perverse Logik dieses Denkens fiel auf die Stadt zurück – in Form von alliierten Spreng- und Brandbomben, die ganze Stadtteile zerstörten und einen Feuersturm entfachten. Der „Operation Gomorrha“, der zwischen dem 24. Juli und dem 3. August 34.000 Hamburger zum Opfer fielen. Die Fotos verbreiten Apokalyptisches, sie bebildern die literarischen Texte eines Hans Erich Nossack („Der Untergang“) oder eines Wolfgang Borchert („Bill Brook“).
Zerstörte Häuser, zerstörte Menschen
Zerstörte Stadtteile, zerstörte Häuser, zerstörte Menschen. Nachdem die Faschisten Europa den Krieg erklärt hatten, opfern sie in den letzten Kriegsmonaten noch die eigenen Kinder: Nach Jahren der ideologischen Hirnwäsche ziehen halbwüchsige Hitlerjungen in den Krieg. Sie sollen eine Stadt verteidigen, die längst einem Trümmerfeld gleicht – und das in einem Ausmaße, das sich Nachgeborene gar nicht vorstellen können. Auch im Stadtbild heute vertraute Gebäude wurden schwer getroffen.
Wie schwer der Neubeginn nach der totalen moralischen und militärischen Niederlage war, auch davon erzählen die Bilder. 200.000 Menschen, darunter viele Flüchtlinge, lebten in Notunterkünften, die meisten ohne Job und ohne ausreichend Essen. Dramatisch verschlimmerte sich die Situation im Hungerwinter 1947, als die Temperaturen unter minus 20 Grad fielen. Die Infrastruktur war zerstört, die Vorratslager waren leer.
Die Fotos zeigen Greise, die am Elbstrand Brennholz suchen, Menschen, die Kohlen klauen und Mülleimer durchwühlen. Schwer erträgliche Bilder, die doch nur 70 Jahre hinter uns liegen. Erst langsam kehrt doch die Normalität in den Hamburger Alltag zurück. Der Hungerwinter weicht dem Frühling, der Wiederaufbau beseitigt die Trümmer, die Menschen fassen wieder Zuversicht.
Die Erinnerungen an diese Zeit verblassen. Gut, dass die Bilder bleiben.