Die radikalen Umgestaltungen des Elbufers kamen kaum über Skizzen hinaus, andere Projekte wie die Sanierung des Gängeviertels schon.
Gut, dass dieser Kelch an Hamburg vorübergegangen ist. „Ich bestimme, dass in der Hansestadt Hamburg das Elbufer und sein Hinterland entsprechend der Bedeutung der größten deutschen Seehafenstadt würdig ausgestaltet und die damit in Verbindung stehende Umgestaltung des Hafens und der Verkehrsanlagen durchgeführt wird“, hieß es im Führererlass „über städtebauliche Maßnahmen in der Hansestadt Hamburg“ vom 26. April 1939. Adolf Hitler hatte nicht Großes mit Hamburg vor, sondern Größenwahnsinniges. Hamburg – neben München, Berlin, Nürnberg und Linz eine von fünf Führerstädten – sollte mit New York konkurrieren.
Dafür wollten die Baumeister des Führers mächtig klotzen: Eine gewaltige Hochbrücke sollte mit 180 Meter hohen Pylonen die Elbe überspannen, ein Wolkenkratzer 250 Meter in den Hamburger Himmel ragen, eine Volkshalle für 50.000, ein Aufmarschplatz für 100.000 Menschen entstehen. Am Altonaer Balkon sollten ein großer neuer Anleger für die Kraft-durch-Freude-Flotte und ein Hotel mit 2000 Betten entstehen, von dort bis zu den Landungsbrücken eine zur Elbe offene Hochstraße auf dem Geesthang führen, überragt von 60 Meter hohen Hochhäusern.
Beträchtliche Teile von Altona und St. Pauli mit rund 40.000 Wohnungen werden kurzerhand überplant – eine Vorwegnahme späterer grauenvoller Bombennächte. „Hamburg war die einzige ,Führerstadt‘, in der man die städtebauliche Moderne wagte“, sagt die Wissenschaftlerin Sylvia Necker. Offenbar ging es Hitler um ein architektonisches Wettrüsten. Dafür ernannte er 1939 den erst 36-jährigen Hamburger Konstanty Gutschow zum „Architekten des Elbufers“. Hitler sagte damals in einer Rede: „Deshalb lasse ich dort Wolkenkratzer hinstellen von der gleichen Gewalt der größten amerikanischen.“
Die Hansestadt sollte mit New York konkurrieren
Auch für die Elbhochbrücke – in der Trassenführung übrigens fast deckungsgleich mit der späteren A 7 – wünschte sich der Diktator ein großes monumentales Bauwerk. Die Elbbrücke blieb das Steckenpferd des größenwahnsinnigen Herrschers – sie sollte „Amerika übertreffen, so wie Hamburg dazu ausersehen war, die amerikanischen Maßstäbe zu übertreffen“, erinnerte sich später Albert Speer, der Architekt des Führers. Das Gauhaus – das höchste des Kontinents – solle als „Landmarke am Tor der Welt ... dem an der anderen Seite des Atlantiks liegenden New York entgegentreten“. Geld und Zeit spielten keine Rolle, Menschenrechte ohnehin nicht: Im Konzentrationslager Neuengamme mussten Zehntausende Menschen Backsteine für den Bau der Führerstadt fertigen – rund 50.000 Häftlinge starben an den unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen in der Horror-Ziegelei oder wurden ermordet.
Die Gesamtkosten für den Umbau der Hansestadt wurden auf 1,3 Milliarden Reichsmark veranschlagt, 1963 sollte alles fertig sein. Kritiker aus dem In- und Ausland lobten die Pläne. Sogar Fritz Schumacher, von den Nazis aus dem Amt gedrängter Oberbaudirektor, war begeistert: „So kann ich nur hoffen, dass diese schöne Arbeit ihre gebührende Anerkennung findet. Es wäre für Hamburg ein Glück“, schrieb er an Gutschow.
Verwirklicht aber wurde nichts.
Und doch hat das vermeintlich Tausendjährige Reich deutliche Spuren in der Stadt hinterlassen. Die deutlichsten wurden dabei auf eine Landkarte gezogen: Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz verleibte sich die Hansestadt am 1. April 1937 kurzerhand Altona, Wandsbek, Wilhelmsburg und Harburg ein – aber auch kleinere Landgemeinden wie Hummels- und Poppenbüttel, Lokstedt und Niendorf, Alten- und Finkenwerder. Mit einem Federstrich wuchs die Bevölkerung der Stadt um eine halbe Million auf 1,7 Millionen.
Auch sichtbare Veränderungen nahmen die Nazis vor – teilweise, indem sie alte Pläne als eigene propagandistisch überhöhten: So wurde in der nördlichen Neustadt das Gängeviertel saniert. Dahinter steckte auch eine Kampfansage: Denn zwischen Hafenrand über den Großneumarkt bis hin zum Gängeviertel lag „Klein-Moskau“, eine Hochburg der KPD. „Kampf dem Kommunismus heißt deshalb Kampf den menschenunwürdigen Wohnverhältnissen“, sagte Gutschow. „Die Sanierung des Hamburger Gängeviertels wird so zu einer Tat, die symptomatisch für die Zielsetzungen der neuen nationalsozialistischen Weltanschauung ist“.
Anders als bei früheren Gängeviertel-Sanierungen gingen die Städtebauer etwas behutsamer vor, obwohl restlos alle Fachwerkhäuser aus dem 17. und 18. Jahrhundert zwischen Kaiser-Wilhelm-, Wexstraße und Kohlhöfen abgerissen wurden. An die Stelle dieses „sozialen Brennpunktes“ entstanden fast kleinstädtisch anmutende Klinkerbauten mit weißen Sprossenfenstern, Erkern und Ziegeldächern. Die Straßen folgen den alten Gängen, das ganze Sanierungsgebiet Rademachergang imitiert eine Altstadt. Und so dürfte der oberflächliche Bummler des 21. Jahrhunderts in den Bauten der 30er-Jahre mehr Gelungenes finden als im Sozialen Wohnungsbau der Wiederaufbaujahre.
Rudolf Klophaus wollte mit City-Hof-Hochhäusern „an die fortschrittliche Architektur der Hamburger zwanziger Jahre“ anknüpfen
Auch einige Kontorhäuser in der Innenstadt sind zwischen 1933 und 1945 entstanden: Das Helmut-Schmidt-Haus, in dem heute die „Zeit“ untergebracht ist, der Altstädter Hof, das „Standard-“, später „Essohaus“ an der Ecke Neuer Jungfernstieg/Esplanade oder das ehemalige Verwaltungsgebäude der Hamburg-Mannheimer Versicherung am Alsterufer. Während die beiden Letzteren aufgrund der weiterhin gültigen Alster-Gestaltungssatzung aus hellem Naturstein gebaut wurden, sind die Bauten in der Altstadt abgestimmt auf die Kontorhäuser aus rotem Klinker.
Beide Entwürfe kamen vom Architekten Rudolf Klophaus, der in den 20er-Jahren bereits mit Fritz Schumacher bei der Großsiedlung Dulsberg beteiligt war und größere Teile des Kontorviertels gestaltete. 1928 war er am Mohlenhof beteiligt. Im Dritten Reich, 1933 war Klophaus praktischerweise in die NSDAP eingetreten, bekam er viele Aufträge. Dazu zählt das Bartholomayhaus zwischen Altstädter Straße und Steinstraße mit seinen barocken Blendgiebeln. Auch die derzeit so umstrittenen City-Hof-Hochhäuser aus den 50er-Jahren sind Entwürfe von Klophaus – er wollte mit dem später übel verhunzten Komplex der Nachkriegsmoderne „an die fortschrittliche Architektur der Hamburger zwanziger Jahre“ anknüpfen.
Die Moderne indes war nicht der Stil der Jahre – im Stadtbild erhalten haben sich eher schlichte Großsiedlungen wie an der Ostfrieslandstraße auf Finkenwerder oder die Luftgausiedlung in Osdorf, Letztere wiederum von Rudolf Klophaus. „Im Wohnungsbau hat der Nationalsozialismus keinen neuen ,Stil‘ entwickelt; was gebaut wurde, war eine biedere Fortsetzung des ,Heimatstils‘ der Zeit zuvor, verbrämt mit einigen Flaggenmasten mit Hakenkreuzfahnen“, schreibt Gert Kähler in seinem lesenswerten Buch „Von der Speicherstadt bis zur Elbphilharmonie“.
Eher skurrile Beispiele sind die Schwarzwaldsiedlung oder die Norwegerhäuser. Die Schwarzwaldsiedlung in Langenhorn verwendete Architekturformen aus dem süddeutschen Raum, um eine heile Welt vorzugaukeln, die bei der Fertigstellung 1940 längst Illusion war. Die Norwegerhäuser in Wohldorf-Ohlstedt entstanden in einer Siedlung für die Parteibonzen. 1944 wurden die Blockhäuser mit Grasdach direkt aus Norwegen importiert und von Werner Kallmorgen sensibel in die Landschaft gefügt. Viele der NSDAP-Parteigrößen konnten das Idyll der Walddörfer nur wenige Monate genießen, die meisten wurden nach der Befreiung festgenommen und interniert. Schließlich verkaufte die Saga die Norwegerhäuser.
Die Täter des Unrechtsstaates zogen in ein norwegisches Blockhausidyll
Das Idyll im Norden stand in krassem Gegensatz zu den Führerstadtplänen und der Realität in der Innenstadt. Die hochfliegenden Ideen von Gutschow verwandelte der Luftkrieg in Luftschlösser. Kurz nach Kriegsbeginn wurden alle Mittel und Arbeitskräfte in Hitlers Angriffskrieg umgeleitet, 1941 alle städtebaulichen Planungen kriegsbedingt zurückgestellt. Trotzdem plante Gutschow weiter, auch als die Stadt in Schutt und Asche fiel. Die verheerenden Zerstörungen der Aktion „Gomorrha“ im Sommer 1943, die ganze Stadtteile wie Rothenburgsort oder Hammerbrook dem Erdboden gleichmachte und 34.000 Tote forderte. Gutschow kommentierte: „Das Bild der Trümmer rührt uns nicht in der Seele, vielmehr lässt es nur umso deutlicher und lebendiger das Bild des zukünftigen Hamburgs, des neuen Hamburgs vor unseren Augen entstehen.“
Seine Visionen, entkernt um das Monumentale, setzten schließlich einige seiner Mitstreiter in der Freien und Hansestadt um. „Die Stunde null ist eine Legende“, sagt Oberbaudirektor Jörn Walter. „Einen völligen Neuanfang konnte es allein deshalb nicht geben, weil es die gleichen Architekten waren.“ Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Gestalter des neuen demokratischen Deutschlands – etwa mit Neu-Altona – durchaus auf alte Pläne zurückgriffen. Schon Gutschow verfolgte das Konzept der aufgelockerten Stadt, die den Verkehr der Zukunft zu managen vermag. So plante er einen Reichsautobahnring, die Elbquerung und große Magistralen. Pläne, die später Mitarbeiter aus seinem Stab kaum verändert umsetzten.
Die Generalbebauungspläne von 1941, 1944 und 1947 stehen in einer Traditionslinie. Die Elbquerung verläuft fast an derselben Stelle wie zuvor geplant – nur als Tunnel, nicht als Brücke. Und doch gilt, was Bürgermeister Max Brauer als Resümee einer finsteren Zeit zog: „Vieles wurde geplant, weniges gebaut; aber über die Hälfte des Bestandes ist in dieser Zeit zerstört worden.“ Das Tausendjährige Reich hinterließ in der Hansestadt Verheerungen und Verwüstungen.