Hamburg. Die Stadt hat einen neuen Sportwettbewerb: Curox. Bei der Weltpremiere am Wochenende wurden die fittesten Hamburger gesucht.

Dieser Zeitungsartikel müsste eigentlich mit Geruch und Ton ausgeliefert werden. Wenn Sie Fantasie haben, dann stellen Sie sich beim Lesen bitte vor, es würde nach Schweiß riechen und in ihren Ohren dröhnt laute Musik gemischt mit Anfeuerungsrufen: Los, weiter! Hau rein! Quäl dich! Gib alles!

Wir sind bei der schwitzigsten und witzigsten Veranstaltung des vergangenen Wochenendes, den Curox Games. Diesen Wettbewerb haben sich der Hockey-Olympiasieger Moritz Fürste und der Cyclassics-Erfinder Christian Toetzke ausgedacht. Bei ihrer Idee handelt sich um eine absolute Weltpremiere. Keiner der Teilnehmer und Teilnehmerinnen weiß, was genau ihn erwartet, alle sind Pioniere, alle sind aufgeregt.

Was soll dieser Sch...?

„Oh, meine Beine zittern“, sagt Astrid Falkensteiner. Die 37-jährige Bauingenieurin ist noch keinen Meter gelaufen. 8000 werden es am Ende sein, aber davor liegen knapp zwei Stunden, in denen sie mehrfach an ihre Grenzen stößt, in denen sie sich fragt, was sie hier überhaupt tut, in denen sie später nicht mal mehr denken kann, und ihre Muskeln protestieren: Was soll der Sch...?

Curox

Kein Schmerz, kein Gewinn: Bei den Burpee Broad Jumps, einer Kombination aus Kniebeuge, Liegestütz und Hocksprung, gehen die härtesten Jungs zu Boden
Kein Schmerz, kein Gewinn: Bei den Burpee Broad Jumps, einer Kombination aus Kniebeuge, Liegestütz und Hocksprung, gehen die härtesten Jungs zu Boden © Andreas Laible
Bis zur Unterzuckerung: Teilnehmer Marlon Kolberg macht 
Ausfallschritte mit einem 30 Kilo schweren Sandsack
Bis zur Unterzuckerung: Teilnehmer Marlon Kolberg macht Ausfallschritte mit einem 30 Kilo schweren Sandsack © Andreas Laible
Die Macher des neuen Sport-Ereignisses: Hockey-Olympiasieger Moritz Fürste  und Fitnesscoach Mintra Mattison
Die Macher des neuen Sport-Ereignisses: Hockey-Olympiasieger Moritz Fürste und Fitnesscoach Mintra Mattison © Andreas Laible
„Sled Push“ heißt die Übung, bei der ein Schlitten mit Gewichten 50 Meter weit geschoben wird
„Sled Push“ heißt die Übung, bei der ein Schlitten mit Gewichten 50 Meter weit geschoben wird © Andreas Laible
Teilnehmerin Astrid Falkenstein beim 200 Meter Farmer’s Carry
Teilnehmerin Astrid Falkenstein beim 200 Meter Farmer’s Carry © Andreas Laible
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„Sei nicht so nervös, wir sind gut vorbereitet“, sagt Marlon Kolberg, ihr Trainingspartner. Der 45-Jährige aus Langenhorn macht seit Langem Sport, er hat richtig Lust auf diesen Wettkampf: „Erkennst du die Euphorie in meinem Gesicht?“ Doch, doch. Man sieht sie klar und deutlich. Aber nicht mehr lange.

Denn der Parkour wartet. In der Messehalle B6 wurde eine Art Arena aufgebaut in deren Mitte, der sogenannten Roxzone, verschiedene Geräte stehen. Folterwerkzeuge, wird ein Teilnehmer sie später nennen. Damit meint er beispielsweise einen Schlitten mit Gewichten, den die Athleten erst 50 Meter schieben und dann 50 Meter ziehen müssen. Außerdem gibt es Ski-Ergometer, Rudergeräte, Sandsäcke, Kettle Bells und Medizinbälle. Das ganze sieht aus wie das größte Fitnessstudio der Welt, nur etwas roher, etwas weniger geleckt. Sport pur, nix Wellness.

"Der Arsch muss richtig runter"

An den verschiedenen Stationen sind Schilder angebracht, die anspornen sollen, wie etwa: No pain, no gain! Kein Schmerz, kein Gewinn! Der Aufbau macht unmissverständlich klar: Ende der Komfortzone. Wer sonst in gut temperierten Studios Kurse wie Bodyba­lance oder Rückengymnastik besucht, der hätte hier heute wenig zu lachen.

Aber Hamburg ist eine Sport-Stadt, und seine Athleten mögen es gerne anstrengender. 750 Teilnehmer sind an diesem Sonnabend erschienen. Bei der Anmeldung bekommen sie ihre Startnummern und Startzeiten, danach ein sogenanntes Technical Briefing, bei denen die Regeln der verschiedenen Übungen erklärt werden („Der Arsch muss richtig runter, sonst gibt es Strafmeter!“) Anschließend anschwitzen auf einem Fahrrad-Ergometer und direkt vor dem Start zehn Minuten Aufwärmen durch einen Fitnesscoach. Niemand soll sich verletzen, das Programm fordert dem Körper mehr ab, als Astrid und Marlon in diesem Moment wissen. Wahrscheinlich besser so.

Die Teilnehmer starten nach Geschlechtern unterteilt in zwei verschiedenen Leistungsklassen, den Jedermännern und den Profis. Die Übungen sind für alle gleich, die Männer müssen jedoch deutlich höhere Gewichte bewegen als die Frauen. Astrid geht gemeinsam mit 19 anderen Frauen aus der Jedermann-Kategorie an den Start, Marlon startet zeitversetzt mit 19 Männern. Ab jetzt leidet jeder für sich allein.

Schwitze heute, lache morgen

Sie müssen nun achtmal je einen Kilometer laufen und dazwischen an den Stationen im Wechsel Kraft und Kraftausdauer beweisen. Pausen gibt es nicht, denn am Ende zählt die Zeit, in der man den Parkour geschafft hat. Einige Sportler rennen zu schnell los und verausgaben sich bereits an den ersten drei Stationen. Die bittere Konsequenz: DNF. Did not finish. So lautet die Bezeichnung, wenn ein Teilnehmer aufgibt und nicht ins Ziel kommt. DNF sind die Albtraum-Buchstaben eines jeden Athleten. Astrid und Marlon teilen sich ihre Kräfte besser ein. Die 1000 Meter am Ski-Ergometer laufen gut, die beiden Schlittenübungen ebenfalls.

Doch an Station 4 werden 80 Meter Burpee Broad Jumps gefordert. Aus der Hocke in die Liegestütz-Position, dann hoch und so weit wie möglich beidbeinig springen. Einige Sportler bleiben sekundenlang mit dem Bauch auf der Bahn liegen. „Wieso?“ fragt ein extrem drahtiger Typ einen Tattoo-Fan, der neben ihm zu Boden ging. Der Tätowierte würde wahrscheinlich gerne mit den Schultern zucken, schafft er aber nicht mehr. Er starrt auf ein Schild, das behauptet: „Sweat today, smile tomorrow“, schwitze heute, lache morgen. Vielleicht eine Idee für seinen nächsten Tattoo-Spruch.

Astrid macht den Fehler und schaut sich nach 40 Metern um. „O, nein, ich hab erst die Hälfte, ich dachte, ich wäre schon viel weiter“, keucht sie. Einer der Judges, wie die Kontrolleure an den Stationen genannt werden, feuert sie an. „Los! Dein Willen ist stärker als dein Körper!“ Puh, hier geht’s ans Eingemachte. Dein Körper kann alles. Es ist nur dein Gehirn, das du überzeugen musst.

Einmal Weltrekordler sein

Astrid reißt sich zusammen, schafft die 80 Meter und taumelt zurück auf die Laufbahn. Sie sei keine gute Läuferin, hatte die Hummelsbüttelerin zuvor behauptet, jetzt überholt sie aber sogar einige Muskelprotze, denen die Oberschenkel beim Laufen irgendwie im Weg zu protzen scheinen. Dafür schieben die schweren Jungs den 100 Kilo schweren Schlitten vorwärts, als handele es sich um einen Wattebausch. War was?

Marlon findet seinen Meister in Station 5, den Sandbag-Lunges. Er soll 100 Meter Ausfallschritte mit einem 30 Kilo schweren Sandsack auf dem Rücken zurücklegen, nach 20 Metern aber wird ihm schwindelig. „Mist, unterzuckert“, flüstert er. Sein strahlend gelbes Shirt ist inzwischen tropfnass, die anfängliche Euphorie in seinem Gesicht einem Rot gewichen, das eindeutig signalisiert: Stop! Aber aufgeben ist für Loser, und in dieser Halle sind heute ausschließlich Gewinner am Start. Aus den Lautsprechern hört Marlon, dass ein weiterer Weltrekord aufgestellt wurde. Da dieser Wettbewerb zum ersten Mal stattfindet, regnet es Rekorde ohne Ende, einmal Weltrekordler sein, und wenn auch nur für ein paar Minuten, heute fällt es so leicht wie nie.

Die Stimme am Mikrofon gehört zu Moritz Fürste. Der zweimalige Olympiameister im Feldhockey erfüllt an diesem Tag drei Aufgaben: moderieren, mitmachen und Gastgeber sein: „Wir wollten einen neuartigen, wetterunabhängigen Wettbewerb schaffen, bei dem richtig die Post abgeht und bei dem die Zuschauer jederzeit alles im Blick haben.“

Zehn Curox in Deutschland geplant

Läuft so weit, die Halle vibriert geradezu vor Stimmung. Moritz Fürste bewegt sich am Ziel zwischen einer gigantischen Anzeigentafel und einem Auto hin und her, aus dem heraus ein DJ treibende Rhythmen auflegt. Der Veranstalter hüpft in seinen roten Turnschuhen geradezu jeden Teilnehmer ins Ziel: „Mit einer gigantischen Zeit von einer Stunde und 25 Minuten gratulieren wir Corinna! Mega!“ Fürste feiert jeden, als hätte er die letzten zehn Jahre mit ihm auf dem Hockeyfeld verbracht. Es sieht so aus, als hätte der 33-Jährige gerade 750 beste Freunde.

So viel Freude und Leidenschaft zu beobachten, allein dafür lohnt sich der Eintritt – wenn es einen gäbe. Die Veranstaltung kostet die Besucher nichts, lediglich die Sportler zahlen 59 Euro. Wer sich das Spektakel anschaut, der ahnt schnell, dass Ausgaben und Einnahmen wahrscheinlich keine Harmonie erzeugen. „Um Umsätze geht es uns in dieser Phase nicht“, sagt Christian Toetzke, beziehungsweise er ruft es, denn der DJ legt sich gerade richtig ins Zeug. So viel Ehrgeiz und Alles-Geben um einen herum, das lässt niemanden unberührt. Ein Zuschauer kauft sich vor Ort Turnschuhe und verabschiedet sich mit den Worten: „Ich geh jetzt zum Sport.“

Toetzke jedenfalls, Hamburgs erfolgreichster Sporterfinder (Cyclassics, Triathlon), möchte nun die große weite Welt in Angriff nehmen: „Nächstes Jahr wollen wir zehn Curox-Events in Deutschland veranstalten und 20 in den USA.“ Zum ersten Mal überhaupt hätte sich dann ein Sporttrend anders herum verbreitet: von Deutschland in die USA. „Ja, ja, der Christian greift immer nach den Sternen“, sagt einer seiner Freunde, der mit seinem Schnauzer und der roten Lederjacke auf der Stelle für einen 70er-Jahre-Film gecastet werden könnte. Und dieser Griff nach den Sternen, ist der denn so utopisch? „Nein“, antwortet der Filmstar in spe: „Christian weiß einfach, wie es geht.“

Zieleinlauf! Umfallen! Geschafft!

Tatsächlich könnte diese Veranstaltung auch außerhalb von Hamburg faszinieren, denn mit Curox wurde der boomenden Fitnesswelt erstmalig ein echter Wettbewerb ermöglicht. Endlich nicht mehr allein im Studio nur gegen sich selbst ankämpfen, sondern sich draußen mit anderen messen. Motivation pur.

Außerdem ist der Curox-Wettbewerb nicht so spitz ausgerichtet wie andere, sondern spricht eine große Zielgruppe an. Jeder, der anständig trainiert, kann es schaffen. Die von Moritz Fürste gerade ins Ziel gejubelte Corinna beispielsweise ist 50 Jahre alt und hat eine Zeit hingelegt, die Marlon und Astrid ein schwaches „Wow!“ abringt.

Zu mehr sind sie nicht in der Lage, sie müssen nach 200 Metern Farmer’s Carry (das Tragen von zwei schweren Gewichten) und 1000 Metern Rudern nun die letzte und offensichtlich schwerste Übung bewältigen: einen Medizinball 100-mal an eine circa drei Meter hohe Scheibe werfen.

Die sportliche Direktorin Mintra Mattison rät, immer nach zehn Würfen eine Pause zu machen, damit die Arme nicht zu schwer werden. Die 35-jährige Mattison ist die Sorte Coach, die man sonst aus Hollywood-Blockbustern kennt, in denen junge US-Militärs zu Höchstleitung gedrillt werden. Nur in weiblich und deutlich sympathischer. Mattison treibt Astrid an: „Keine Ausreden!“ Bei Marlon muss noch ein Schluck Wasser her, damit sein Kreislauf ihn nicht kurz vor Schluss im Stich lässt.

Dann endlich dreifacher Trommelwirbel! Zieleinlauf! Umfallen! Geschafft! Astrid in einer Stunde und 44 Minuten, Marlon hat eine Stunde 59 Minuten gebraucht. Später, als er wieder etwas mehr Luft bekommt, sagt er: „Das war von vorne bis hinten wie eine geile Party, nur das Tanzen fand ich sehr anstrengend!“

Im Vergleich zu Curox ist Hockey doch ein Pussy-Sport

Nach den Jedermännern gehen am Nachmittag schließlich die Profis auf die Bahn. Moritz Fürste hatte zuvor noch erklärt, dass es wahrscheinlich der ehrgeizigste Wettkampf seiner Karriere werden würde. Es wurde auf jeden Fall sein härtester. Als er im Ziel liegt, keucht und lacht er gleichermaßen: „Hockey ist so ein Pussy-Sport dagegen. Ich wollte bestimmt fünfmal zwischendurch aufgeben, aber ich habe mich selbst übertroffen. Bin wohl doch nicht so ein krasser Waschlappen, wie ich dachte!“