Hamburg. Das Werk dokumentiert die Stadtentwicklung und so manche Abriss-Sünde der Vergangenheit. Ein Buch zum Stöbern und Festbeißen.
Für manche Hamburger gehört es zum Jahresende dazu wie Nikolaus, Advent oder Weihnachten: das Architektur-Jahrbuch aus dem Junius Verlag. In diesen Tagen erscheint die Ausgabe 2017/18.
Seit 1989 bringt der Verlag aus Bahrenfeld nicht nur einen Rückblick auf das Schaffen der vergangenen zwölf Monate, sondern auch einen Aus- und Überblick zu den zentralen Fragen der Stadtentwicklung. Eine Mischung, die das Werk bei Profis wie Laien gleichermaßen beliebt macht. Einzelne, längst vergriffene Ausgaben erzielen im Antiquariat Preise von bis zu 150 Euro. Das vorherige Jahrbuch war schon Weihnachten vergriffen. Der Junius Verlag und die Hamburgische Architektenkammer freuen sich, dass die Auflagen seit einigen Jahren wieder anziehen.
Elbphilharmonie wird gewürdigt
Es ist ein Buch zum Stöbern und Blättern, zum Festbeißen und Loslassen. Und es ist ein Jahrbuch, das von Erfolgen und Niederlagen, von Streitigkeiten und Lösungen erzählt. Natürlich spielt die Elbphilharmonie in Form einer 100-Tage-Bilanz eine Rolle, aber bleibt ein Kapitel unter insgesamt 28 Beiträgen.
Darin traut Herausgeber Dirk Meyhöfer dem Konzerthaus eine prächtige Zukunft zu, gepaart mit hanseatischem Understatement: Die Philharmonie sei ein „Geschenk an die Hamburger“, Sie „hochzuschreiben zur Landmarke, zum zukünftigen Welterbe und zu was nicht allem – das ist unnötig, Ihr diesen Platz zu sichern, dafür werden die nächsten Jahrzehnte schon ganz allein sorgen.“ Auch die Oper von Sydney habe etwa 50 Jahre zum Welterbe benötigt.
Auf einer Langstrecke stellt sich der ehemalige Oberbaudirektor Jörn Walter den kritischen Fragen und lässt 18 Jahre Wirkungszeit in Hamburg Revue passieren. Dabei übt Walter verhalten Kritik an der Politik – etwa an der Herauslösung des Verkehrsressorts aus der Stadtentwicklungsbehörde und der Verlagerung von Kompetenzen in die Bezirke. Wie spottete einst Volkwin Marg; Hamburg sollte nicht siebenmal Bielefeld sein!
Streitlustig und pointiert
Gewohnt streitlustig und pointiert befasst sich Architekturkritiker Gert Kähler mit dem Zeisehof in Ottensen und dem Osdorfer Born zu dessen 50. Geburtstag. Der Neubau auf dem alten Parkplatz an der Ecke Behringstraße/Friedensallee sei zwar „deutlich zu groß für seinen Ort“, aber „trotz schwieriger Umstände wirklich gute Architektur“. Den Gentrifizierungsgegnern schreibt er bei allem Verständnis ins Stammbuch: „Stadt ist Wandel. Auch Ottensen ist den heutigen Bewohnern nur auf Zeit geliehen.“
Aus der Zeit seiner Entstehung verteidigt er die umstrittene Großsiedlung Osdorfer Born gegen die wohlfeile Kritik der Gegenwart. Lesenswert sind auch die Ausflüge in die Geschichte, die durchaus in die Zukunft weisen können, etwa die Historie des seriellen Bauens oder eine Würdigung des großen Hamburger Architekten Martin Haller – dessen Bauten noch im vergangenen Jahrzehnt rüde abgeräumt wurden. Eine herrliche Skurrilität bietet der Einblick in das Autosilo des Hotels Reichshof – altmodisch und vielleicht doch ein Modell für die Zukunft.