Osdorf. Lydia Smuda ist die älteste Hamburgerin und ein großer Fan des Boxsports. Zum 111. Geburtstag kam auch der Bürgermeister.

„Ich bin Hamburgs Bürgermeister“, stellte sich Olaf Scholz vor. Fast wirkt er etwas verlegen. In den meisten Fällen erkennen ihn die Leute, und mit der Antwort hatte Scholz wohl auch nicht gerechnet. „Da gratuliere ich Ihnen aber“, beglückwünscht ihn Lydia Smuda. Das war irgendwie anders geplant. Scholz war am Montagnachmittag doch in die Osdorfer Seniorenwohnanlage an die Isfeldstraße geeilt, um Lydia Smuda zu gratulieren. Sie hatte gewusst, dass zu ihrem besonderen Geburtstag ein Ehrengast erwartet wurde. Dass es ein Bürgermeister sein sollte, wusste sie auch noch. Nur von welcher Stadt, da war sie sich nicht mehr ganz sicher. Na gut, wer seinen 111. Geburtstag feiert, dem sei das nun wirklich verziehen.

Die alte Dame im Rollstuhl thront am Ende des gedeckten Tisches. Ein paar ihrer Verwandten und Freunde sind gekommen. Aber noch viel mehr Medienvertreter. Zahlreiche Kameras sind auf sie gerichtet. Das Blitzlichtgewitter erinnert an manchen roten Teppich. Die 111 Jahre alte Hamburgerin bringt das nicht aus der Ruhe. Sie fragt nur irgendwann in die Runde: „Warum knipsen Sie denn bloß so?“ und erntet Gelächter.

Über den Bürgermeister schimpfen geht gar nicht

Für Stimmung sorgt ihre direkte Art, die amüsiert auch den Bürgermeister. Den fragt sie zum Beispiel, ob ihm denn sein Posten in Hamburg gefällt. „Ja, ja“, entgegnet Scholz und hört anschließend Smudas Vortrag zu, die ihm erklärt, wie schön es sei, im Leben immer dazuzulernen und neue interessante Menschen wie ihn kennenzulernen. Kurz hält Scholz die Atem an, als die 111-Jährige sagt: „Es gibt ja Leute, die über den Bürgermeister schimpfen. Aber so etwas gibt es bei mir nicht.“ Das würde sie sofort unterbinden, sagt sie in ihrer resoluten Art. Scholz ist begeistert. „Einverstanden. Davon bräuchte ich mehr“, sagt er und stößt mit ihr an. Anschließend gab es in privaterer Runde noch ein Stück Kuchen, bevor der Bürgermeister-Tross wieder weiterziehen musste.

Mit ihren jetzt 111 Jahren ist Lydia Smuda die älteste Hamburgerin, der eben auch ein Bürgermeister persönlich gratuliert. Sie zählt damit auch zu den ältesten Menschen Deutschlands. Eine offizielle bundesweite Erhebung gibt es zwar nicht, aber einige Listen und Stellungnahmen von Städten anlässlich von Geburtstagen lassen eine Einschätzung zu. Danach gibt es nur noch ganz wenige Damen, die einige Monate älter sind als die Hamburgerin. Und so fasziniert viele natürlich, wie sie das gemacht hat.

Ein Geheimnis für ein langes Leben? Gibt’s nicht

Die Frage nach dem Geheimnis ihres langes Lebens hat sie schon oft gehört und genauso oft mit einem spitzfindigen Lächeln und einer plietschen Antwort beiseite- geschoben. „Ich habe gar nichts dafür gemacht. Das ist einfach so gekommen“, sagt die 111-Jährige, die das Thema gar nicht spannend findet.

Viel mehr interessiert sie sich fürs Boxen. Ja, die kleine, zierliche Dame in ihrem Rollstuhl blüht förmlich auf, wenn es um ihren Lieblingssport geht. Zu gern verfolgt sie Boxkämpfe im Fernsehen. Dabei hat sie selbst nie geboxt. Aber sie musste sich in ihrem langen Leben oft durchkämpfen. Vielleicht fasziniert sie deshalb dieser Sport so. Großer Fan ist sie von den Klitschko-Brüdern.

Wladimir Klitschko schenkte ihr einen Boxhandschuh

Umso größer war die Freude, als im vergangenen Jahr Wladimir Klitschko als verspätetes Geburtstagsgeschenk oder vorzeitiges Weihnachtspräsent – wie man es gerade sehen will – die alte Damen in ihrer Seniorenwohnanlage persönlich besuchte. Eine Stunde lang blieb der ehemalige Weltmeister im Schwergewicht. Es wurden Fanbilder des jeweils anderen gemacht, Fotos der Kinder gezeigt. Da verstanden sich zwei auf Anhieb. Das lag bestimmt daran, dass sich Smuda so schnell nicht einschüchtern lässt und klare Vorstellungen hat, die sie unumwunden äußert. So hatte die ehemalige Lehrerin in dem ihr eigenen energischen Ton auch dem großen Wladimir erklärt, dass er ihr nichts schenken brauche. Trotzdem schaffte er es am Ende, ihr die Boxhandschuhe samt Widmung zu überreichen. Ein Geschenk mit nachdrücklicher Wirkung.

„Sie hütet sie wie die Kronjuwelen“, erzählt ihre Freundin Fitnat Soyka, die Lydia Smuda über ihren Mann kennenlernte. Denn der Mediziner betreut die Dame seit Jahrzehnten und ist erstaunt über ihre Lebenseinstellung und ihre Gesundheit. Immerhin hängte sie mit 105 Jahren noch ihre Gardinen selbst auf.

Bis sie 106 Jahre alt war, lebte sie noch allein in ihrer Wohnung und kümmerte sich selbst um alles. Zwar würde sie langsam auch über kleine Gebrechen klagen, aber für ihr Alter sei sie doch außergewöhnlich, attestiert ihr ihr Arzt. Und seine Frau ergänzt: „Ich habe es mit der Bandscheibe und damit echt zu kämpfen. Aber schauen Sie doch, wie wohlauf Lydia mit 111 Jahren ist.“

So erstaunt nicht, dass die Pressevertreter sich gegenseitig beim Hinausgehen zurufen: „Bis nächstes Jahr!“