Hamburg. Der Boxer besucht Lydia Smuda, mit 110 Jahren die älteste Hamburgerin, und erfüllt ihr damit einen Herzenswunsch.

Er kam, sah und siegte: So hatte sich Wladimir Klitschko seinen Besuch bei der ältesten Hamburgerin vielleicht vorgestellt. Doch es kam ganz anders. Am Ende war es wohl doch ein Punktsieg für Lydia Smuda. Denn die zierliche 110-Jährige eroberte das Herz des großen Boxers im Sturm. Schnell wurde aus ihrem Gespräch trotz Fernsehkameras und anwesender Presse ein Treffen unter alten Freunden. Es wurden Ratschläge ausgetauscht und Bilder der Kinder gezeigt. Eine Stunde blieb der ehemalige Weltmeister im Schwergewicht, lauschte bedächtig den Worten einer Hamburgerin, die mehr als ein Jahrhundert erlebt hat und die sich ihr Alter einfach nicht anmerken lässt.

Aber von Anfang an. Am 6. November feierte Lydia Smuda, die seit drei Jahren in einer Seniorenanlage in Osdorf lebt, ihren 110. Geburtstag. Das Hamburger Abendblatt berichtete und erwähnte dabei auch ihren Herzenswunsch. Was man sich mit 110 Jahren noch wünscht? Genau, den Besuch eines Boxers. Also zumindest, wenn man Lydia Smuda heißt.

Das beeindruckte auch Wladimir Klitschko, der anschließend auf einem Treffen bestand. „Ich möchte sie persönlich besuchen“, vermerkte Klitschko auf der Mappe, die seine Managerin am Donnerstag mitgebracht hatte.

Am Montag erfuhr Lydia Smuda von ihrem vorzeitigen Weihnachts­geschenk. „Erst wollte sie es überhaupt nicht glauben“, erinnert sich ihre Freundin und Betreuerin Fitnat Soyka. Diese hatte sich schon oft darum bemüht, Frau Smuda ihren großen Wunsch zu erfüllen. Ohne Erfolg. Alle ihre Versuche scheiterten bereits am Telefon.

Besuch komme ihr vor wie ein Sieg im Ring

Vielleicht wollte man ihr nicht glauben, dass eine 110-Jährige Boxfan ist. Und so sagte die zierliche, für den Anlass elegant gekleidete Frau im Rollstuhl als Erstes zu dem großen breitschultrigen Boxer im Holzfällerhemd, der sich zu ihr runterbeugte, auch folgenden Satz: „Hören Sie mal, wissen Sie, wie mir das vorkommt, dass Sie nun wirklich hier sind? Wie ein Sieg im Ring.“

Vermutlich war es schon da um Waldimir Klitschko geschehen. Vielleicht war es aber auch Frau Smudas anderer Wunsch, den sie später äußerte: „Ich möchte mal mit Ihrer Mutter sprechen und ihr sagen, dass sie zwei ganz tolle Söhne hat.“

Denn Frau Smuda ist nicht einfach nur Boxfan, sie ist vor allem ein großer Fan der Klitschko-Brüder. Die ehemalige Erzieherin hat den Werdegang der beiden verfolgt, ihre Kämpfe im Fernsehen gesehen und die Biografie gelesen. Ihr gefällt, dass die beiden nie gegeneinander kämpfen wollten, dass sie prinzipientreu sind, sich einsetzen und im Kampf nicht einfach draufhauen.

Das erklärt sie auch alles dem Boxer, der relativ sprachlos neben ihrem Rollstuhl in die Knie gegangen war. Er möchte ihr etwas schenken. „Ich brauch doch nichts. Dass Sie hier sind, ist doch genug“, winkt Frau Smuda in ihrem energischen Ton ab. Erst später gelingt es Wladimir Klitschko dann doch, ihr den Boxhandschuh zu geben. Den versieht er noch mit einer persönlichen Widmung. „Immer weiterkämpfen und nie aufgeben, weil Sie sind die bewegende Kraft“.

Ja, man darf es wohl glauben. Frau Smuda hat mit ihrer schlagfertigen Art, mit ihrem erstaunlich guten Gedächtnis und ihrem Humor den Boxer berührt und bewegt. Er bleibt eine Stunde lang, weicht nicht von ihrer Seite, spricht intensiv mit der Hamburgerin. Er will wissen: Wie konnte sie so alt werden? (Kann sie auch nicht sagen, das stehe aber so in ihrem Pass, also müsse es wohl stimmen). Ob sie Dinge in ihrem Leben bereut? (Sie habe nie etwas getan, für das sie Reue empfinden musste).

Ein Glas pro Tag wecke die Lebensgeister

Was aus ihrer Sicht das Wichtigste im Leben ist? (Sie sei nicht sehr gläubig. Aber sie denke, dass sie nicht in die Hölle komme,und das sei doch etwas wert). Wie sie zu Alkohol steht? (Sie sei keine Trinkerin, sondern eine Genießerin. Ein Glas pro Tag wecke die Lebensgeister). Ob sie viel Stress im Leben gehabt habt? (Nein, da gehe man gegenan). Ob man Erfolg lernen kann? (Ja, könne man. Es gebe nichts, was man nicht lernen könne).

Nach zehn Minuten sind der große Boxer und die zierliche 110-Jährige plötzlich beim Du angekommen. Wladimir Klitschko erzählt ihr von seinem Bruder, zeigt ihr, und nur ihr, Bilder von seinem Kind. „Da muss noch ein zweites Kind kommen. Es ist nicht gut, wenn es allein aufwächst“, sagt Frau Smuda in ihrem gewohnt energischen Ton aus Zeiten, als sie noch Kinder erzog. „Jawohl“, antwortet Klitschko und salutiert vor ihr.

„Ich bin froh, Sie persönlich kennenzulernen“, sagt Klitschko plötzlich. „Sie sind ein toller Motivator. Es gibt Leute, die sagen, ich bin zu alt, um noch in den Ring zu steigen.“ Lydia Smuda ist empört. „Hör mal! 40 Jahre, das ist doch kein Alter“, sagt sie. Gut, aus ihrer Perspektive gesehen mag das stimmen. Zudem nimmt die älteste Hamburgerin auf ihr Alter auch keine Rücksicht.

Mit Köpfchen einen Weg finden

Mit 105 Jahren hängte sie noch ihre Gardinen selbst auf. Bis sie 106 Jahre alt war, lebte sie noch allein in ihrer Wohnung und kümmerte sich selbst um alles, weiß ihr Arzt Andreas Soyka zu berichten. Er ist auch bei dem Termin dabei. Allerdings nicht als ihr Arzt. Lydia Smuda gehört zu seiner Familie. Vor 20 Jahren freundeten sich seine Frau und Lydia Smuda an. Da sie keine Angehörigen hat und die Familie Soyka keine Oma, wurde sie irgendwie über die Jahre zur Adoptivoma. Trotz oder gerade wegen ihres Alters unternimmt die Patchworkfamilie einiges zusammen. Gemeinsam gehen sie in den Zirkus und unternehmen Ausflüge.

Bei so viel Lebenslust und Lebenserfahrung wollte Klitschko dann auch am Ende des einstündigen Plausches unbedingt noch einen Rat fürs Leben von der 110-Jährigen haben. Die überlegte und gab dem Boxer das Folgende mit auf den Weg: „Nimm das Leben an, wie es kommt, und mach etwas daraus, wie es dir gefällt.“ Man sollte nicht dagegen ankämpfen, einfach draufschlagen, sondern mit Köpfchen einen Weg finden.

Klitschko macht noch ein Foto von sich und Lydia Smuda

„Ich möchte zu Ihrem 120. Geburtstag kommen“, erklärte Wladimir Klitschko wieder etwas förmlicher zum Abschied. „Das wäre doll“, sagte die wohl älteste Boxanhängerin Deutschlands. „Aber dann bringen Sie Ihren Bruder mit“, bat sie noch schlagfertig. Klitschko gab ihr die Hand drauf und notierte sich das Geburtsdatum.

Außerdem versprach er, dass Lydia Smuda auch noch einmal seine Mutter kennenlernen dürfe. „Es war eine Ehre, Sie kennenzulernen und sich mit Ihnen zu unterhalten“, sagte Klitschko, der sogar ein Handyfoto mit ihr aufnahm – und das nicht für sie und ihre ebenfalls aufgeregte Adoptivfamilie, sondern auch für sich selbst und sein Privatarchiv. Wenn es nach ihm geht, war das wohl nicht sein letztes Treffen mit der ältesten Hamburgerin.

Immerhin rief er ihr noch zu: „Auf Wiedersehen und bis zum nächsten Mal.“ Auch Lydia Smuda würde ihn gern wiedersehen. Merkte aber doch einmal mit Blick auf ihr Alter an. „Wenn ich dann noch da bin.“