Hamburg . Lydia Smuda aus Winterhude ist nun 109 Jahre alt. Ihr Herzenswunsch ist ein Date mit den Klitschkos - für die sie auch nachts aufsteht.
Mit Rollator an die Geburtstagstafel? Nicht mit ihr. Auch wenn Lydia Smuda erst vor Kurzem am Bein operiert wurde – ihren Gästen will die älteste Hamburgerin, die heute 109 Jahre alt wird, ohne „das olle Ding“ gegenübertreten. Und zwar genau so, wie sie es sich vorgenommen hat: würdevoll und feierlich, am Arm ihrer Freundin Fitnat Soyka, zu den Klängen klassischer Musik. „Es wird wieder märchenhaft“, sagt Lydia Smuda mit leuchtenden Augen.
Gefeiert wird auf einem Ponton vor Blankenese – in ihrem Lieblingsrestaurant Fischklub. Dort zu essen ist für die alte Dame immer ein großes Ereignis. Sie lässt sich extra die Haare einlegen und ist schon Tage vorher aufgeregt. Auch für den Besuch des Abendblatts hat sie sich schick machen lassen. Frisch onduliert und im lila Pullover, doch leider – der Einfachheit halber – im Rollstuhl, bittet sie zu Weißwein und Brot mit Lachs.
Fitnat Soyka will ihr so viele schöne Momente wie möglich bereiten und auch diesen Nachmittag zu etwas ganz Besonderem machen. „Sie hat es verdient“, sagt die 56-jährige Türkin liebevoll. Seit 1991 hat sie Lydia Smuda quasi adoptiert und zur Ersatzoma für ihre Familie gemacht. Mindestens dreimal in der Woche ist sie bei ihr, oft gemeinsam mit ihrem Mann, sie kauft für sie ein und hat ihr auch weitere Hilfe organisiert: Vicky, die die Wäsche macht, und Marion, die sich als „Personal Trainerin“ um Lydia Smudas operiertes Bein kümmert. „Meine guten Engel“ nennt sie die Damen. Sie sind sich gegenseitig ans Herz gewachsen und schließen jeden Besuch mit einer Plauderstunde und einer Tasse Kaffee ab.
Auch eine Frohnatur wie Lydia Smuda braucht manchmal Seelsorge. Dafür kommt regelmäßig Pastorin Tomke Ande vorbei, die sie noch aus der Zeit kennt, als sie in Winterhude wohnte. „Mit ihr bespreche ich alles für meine Beerdigung“, sagt sie. Aber das habe noch Zeit, winkt sie ab und lacht. „Mein Arzt hat gesagt, ich werde noch 110. Und der muss es doch wissen.“
Zäh genug ist sie jedenfalls. Beckenbruch, Bauchtumor und jüngst der Oberschenkelhalsbruch – was für andere Menschen in ihrem Alter eine schwere Bürde gewesen wäre, hat sie mit Optimismus überstanden. Bis vor drei Jahren lebte sie in ihrer kleinen Wohnung am Maria-Louisen-Stieg. Nachdem sie dort eines Tages bewusstlos zusammengebrochen war, rieten ihr die Ärzte zu betreutem Wohnen.
„Gerettet hat mich übrigens das Hamburger Abendblatt“, sagt Lydia Smuda. Seit dem ersten Erscheinungstag am 14. Oktober 1948 liest sie es jeden Tag. Am Tag ihres Zusammenbruchs war einer Nachbarin aufgefallen, dass die Zeitung noch im Briefkasten steckte. Sie schaute in Lydia Smudas Wohnung und fand sie bewusstlos auf dem Schlafzimmerboden.
Für die Klitschko steht sie sogar nachts auf
In der Seniorenwohnanlage Rosengarten bewohnt sie zwei Zimmer mit Küche und Bad. Morgens um halb sieben wird sie geweckt. „Ich brauche ja jemanden zum Rückenwaschen.“ Um acht wird sie zum Frühstück geführt. Auf dem Rückweg geht es am Briefkasten vorbei, das Abendblatt holen. Darin vertieft sie sich mit ihrer Lupe für die nächsten Stunden. „Ich lese alles“, betont Lydia Smuda. Auch Bücher, am liebsten Biografien: Martin Luther, Hannelore Kohl, Max Schmeling. Ja, wirklich. „Boxen ist ein doller Sport“, sagt sie. Wenn die Klitschkos kämpfen, steht sie sogar mitten in der Nacht auf. „Vitali und Wladimir, das sind richtig feine Kerle. Ein Treffen mit ihnen, das wäre mal was!“, sagt sie. „Aber dafür haben sie natürlich keine Zeit.“ Immerhin hat eines der Soyka-Kinder ihr zwei Fotos der Brüder besorgt. Sie kleben in ihrem Fotoalbum, zwischen den vielen Bildern von den gemeinsamen Unternehmungen mit ihrer Adoptivfamilie.
Ein Stichwort reicht für Geschichten aus
Darin blättert sie gerne, wenn sie alleine ist. Viel lieber aber hat sie Besuch. Dann kann sie aus ihrem Leben erzählen – und zwar nicht nur viel, sondern auch unterhaltsam. Auf ihr Gedächtnis kann sie sich dabei verlassen; ein Stichwort, und sie sprudelt los.
„Marlene Dietrich“ – die hat sie in der Operette „Land des Lächelns“ gesehen. „Es war das erste Mal, dass meine Schwester und ich ins Theater durften“, erinnert sich Lydia Smuda, die mit drei Geschwistern in einem Unternehmerhaushalt in Remscheid aufwuchs. „Wir kamen zu spät nach Hause und bekamen mächtig Ärger.“
„Kaiser Wilhelm II.“ – seinen Geburtstag, 27. Januar, wird sie nie vergessen. „In der Schule mussten wir eine besondere Schärpe anziehen, singen und Gedichte aufsagen“, sagt sie. „Aber wissen Sie: Seine Ehe war nicht gut, und seine Kinder mochten ihn nicht. Ich mochte ihn auch nicht besonders, aber seine Frau war nett und elegant.“
Daten des Lebens von Lydia Smuda
„Adolf Hitler“ – die Nazis waren ihr zuwider. „Einmal wäre ich fast ins Konzentrationslager gekommen, weil ich einem Nazigeneral eine geklebt habe.“ Er hatte die selbstbewusste junge Dame bedrängt. Sie wurde jedoch gewarnt, floh in der Nacht mit dem Zug und konnte so ihrer Strafe entkommen.
„Jopi Heesters“, „Herbert von Karajan“, „Willy Brandt“ – zu jedem hätte sie etwas zu sagen, doch jetzt will sie mal selber das Thema bestimmen. Aus einem Kästchen holt sie einen zerknitterten und vergilbten Zettel. Ein Telegramm. „Danke und viele Grüße von Lil Dagover“ steht darauf. „Sie hatte mitbekommen, dass ich einmal einem Verriss ihres Auftritts heftig widersprochen hatte“, schmunzelt Lydia Smuda.
Jetzt hat sie viel erzählt und wird etwas müde. Das Zu-Bett-Gehen sei mühsam geworden mit zunehmendem Alter, sagt Lydia Smuda. Aber sie ist zufrieden. „Wenn ich im Bett liege, dann freue ich mich. Ich überdenke den Tag und schlafe dann ein.“