Vor 20 Jahren übernahm in Hamburg erstmals Rot-Grün. Nicht herzliches Einvernehmen wie heute prägte den Start.
Es war durchaus ein historischer Augenblick im ehrwürdigen Bürgermeistersaal des Rathauses. Doch als Ortwin Runde für die SPD und Krista Sager für die Grünen – damals noch Grün-Alternative Liste, kurz GAL genannt – am 6. November 1997 ihre Unterschriften unter den ersten rot-grünen Koalitionsvertrag in Hamburg setzten, dämpften die Protagonisten allzu hohe Erwartungen. Jetzt komme es darauf an, das Papier mit Leben zu füllen, gab Sager zu Protokoll. Und Runde lobte den Vertrag als solide Arbeit. Unterstatement eben.
Hinter den 24 Unterhändlern beider Parteien – zwölf Sozialdemokraten und zwölf Grün-Alternativen – lagen 13 intensive Verhandlungsrunden, in denen zum Teil sehr erbittert um Positionen und Projekte gestritten wurde. Dass es am Ende überhaupt zu einem Bündnis für vier Jahre kam, war angesichts der Ausgangslage für manche Beobachter durchaus überraschend. Zu unterschiedlich waren die politischen Ziele zwischen der machterfahrenen Dauerregierungspartei SPD und den immer noch spontimäßig durchwirkten GALiern, die vor allem eines gut konnten: Opposition, und zwar gegen die SPD. Viele in der GAL, nach heutigen Maßstäben eine Partei mit klar linkem Profil, hatten damals grundsätzliche Bedenken, auf die Senatsbank zu wechseln, noch dazu mit „dieser“ SPD.
Phase akuter Schwäche
Auf der anderen Seite durchlebten die erfolgsverwöhnten Sozialdemokraten eine Phase akuter Schwäche. Bei der Bürgerschaftswahl am 21. September war die SPD mit nur 36,2 Prozent auf das bis dahin schlechteste Ergebnis seit 1946 abgestürzt. Noch am Wahlabend hatte Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) spektakulär seinen Rücktritt aus Enttäuschung über das schlechte Abscheiden erklärt. Auch die schnelle Einigung auf Runde als potenziellen Voscherau-Nachfolger konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die SPD in einer tief greifenden Krise befand.
Wer das harmonische, ja geradezu herzliche Einvernehmen von SPD und Grünen im heutigen Rathausbündnis erlebt, kann sich kaum vorstellen, wie fremd sich die Akteure beider Parteien vor 20 Jahren waren. Die GAL-Verhandlungschefin Krista Sager hat rückblickend einmal gesagt, in den Koalitionsgesprächen habe eine Atmosphäre von „Distanz und Misstrauen“ geherrscht. Nicht nur die Wirtschaft der Stadt begegnete den Grünen mit heftiger Skepsis. Auch im Mitte-rechts-Lager der SPD wurden die Vorbehalte gegen die GAL gepflegt. Voscherau zum Beispiel hatte seine Abneigung einem rot-grünen Bündnis gegenüber nie verborgen.
Finanzlage ließ keine großen Wohltaten zu
Andererseits drängte der realpolitische Flügel der Grünen endlich auf die Umsetzung der eigenen Politik, und das ging nun einmal nur über die Beteiligung an der Regierung. Und in sechs anderen Bundesländern gab es bereits rot-grüne Bündnisse oder hatte es gegeben. Wie heute auch entschied die grüne Basis über den Eintritt in die Koalition. Das Ergebnis zeigt die damalige Zerrissenheit der Partei: Zwei Drittel der Mitglieder stimmten für, aber immerhin ein Drittel gegen den Koalitionsvertrag.
Entscheidend für den Start in das rot-grüne Bündnis war das persönlich gute Verhältnis zwischen Runde, der dem linken Parteiflügel angehört, und Sager. Runde, der nie Zweifel an seinem Willen zur Koalition aufkommen ließ, erhielt bei der Wahl zum Ersten Bürgermeister in der Bürgerschaft nur eine Stimme weniger, als SPD und GAL Sitze hatten – beinahe schon ein Erfolg.
Finanzlage spitzte sich zu
Neben Sager, die Zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin wurde, stellte die GAL mit Willfried Maier (Stadtentwicklung) und Alexander Porschke (Umwelt) zwei weitere Senatsmitglieder. Der Preis des Mitregierens war für die Grünen hoch. Bei allen großen Infrastrukturprojekten hatte sich die SPD durchgesetzt. Die Planungen für die (damalige) Elbvertiefung liefen weiter. Hamburgs Bewerbung um den Bau des neuen Riesen-Airbus A380 wurde fortgesetzt. In der Konsequenz wurde für die nötige Werkserweiterung ein Teil des Mühlenberger Lochs zugeschüttet, was die Grünen stets bekämpft hatten. Und der Bau des hochmodernen Containerterminals in Altenwerder, dem ein Fischerdorf weichen musste, wurde ebenfalls fortgesetzt.
Planungen für eine von den Grünen gewünschte Stadtbahn zum Flughafen Fuhlsbüttel wurden zwar aufgenommen, aber nie umgesetzt. Gebaut wurde, wie von der SPD favorisiert, die S-Bahn zum Flughafen. Die GAL konnte eine moderne Fahrradpolitik ebenso im Koalitionsvertrag verankern (vieles davon wird heute erst umgesetzt) wie die „Förderung des Zufußgehens“. Für große Wohltaten gab es angesichts einer schlechten Wirtschaftslage und hoher Arbeitslosigkeit kaum finanziellen Spielraum. „Die Finanzlage der öffentlichen Haushalte spitzt sich zu“, hieß es im Koalitionsvertrag. SPD und Grüne rechneten mit „weiteren Einnahmeausfällen in dreistelliger Millionenhöhe“. Dagegen kann Rot-Grün heute angesichts des fortdauernden Konjunkturhochs manches politische Problem mit Geld lösen ...
Einstieg in die „Ehe für alle“
Andererseits setzte das erste rot-grüne Bündnis Zeichen: Dem Runde-Senat gehörten sechs Frauen und sechs Männer an. So viel Gleichberechtigung hatte es im Hamburger Rathaus noch nie gegeben. Und die von Rot-Grün beschlossene „Hamburger Ehe“, bei der sich homosexuelle Paare in ein Partnerschaftsbuch der Standesämter eintragen konnten, war vor 20 Jahren (!) ein erster Schritt zur „Ehe für alle“ 2017. Die erste große Krise kam mit dem Kosovokrieg 1999. Aus Protest gegen die Politik der rot-grünen Bundesregierung, die es seit 1998 gab, verließen fünf Abgeordnete die GAL-Fraktion und gründeten eine eigene Gruppe unter dem Namen „Regenbogen“. Die rot-grüne Mehrheit war dadurch aber nicht gefährdet. Schon im Mai 1998 hatte Anna Bruns, Frontfrau der GAL-Linken, ihr Bürgerschaftsmandat aus Protest gegen die ihrer Ansicht nach zu große Nachgiebigkeit der Grünen-Senatoren gegenüber der SPD niedergelegt.
Bilanz fiel nicht schlecht aus
Auch die SPD litt unter Auszehrung. Sozialsenatorin Helgrit Fischer-Menzel (SPD) trat im März 1998 nach Filzvorwürfen im Zusammenhang mit ihrer Behörde zurück. Bürgermeister Runde hatte lange gezögert, ehe er Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) im Mai 2001 zum Rückzug bewog. Da waren die Defizite im Bereich der inneren Sicherheit – etwa rund um den Hauptbahnhof und bei der Bekämpfung der offenen Drogenszene – längst so groß geworden, dass ein gewisser Ronald Schill mit der von ihm gegründeten Partei von Monat zu Monat in Umfragen zulegte.
Insgesamt fiel die Bilanz nach vier Jahren Rot-Grün nicht schlecht aus, zumal die ungleichen Partner trotz vieler Krisen durchgehalten hatten. Noch zu Beginn des Jahres 2001 hatte es nach einer Fortsetzung des Bündnisses ausgesehen. Doch der Frust vieler Hamburger über die Lage der inneren Sicherheit und die lange Regierungszeit der SPD mit ihren filzigen Begleiterscheinungen begünstigte Schills kometenhaften Aufstieg und fegte das rot-grüne Bündnis mit der Wahl am 23. September 2001 schließlich weg. SPD und GAL landeten in der Opposition.
Rechnerisch wäre für die SPD auch eine Große Koalition möglich gewesen. Aber ein gewisser Olaf Scholz, inzwischen SPD-Landesvorsitzender, riet seiner Partei damals eindringlich, sofort den Weg in die Opposition anzutreten. Wie sich die Ansichten gleichen: Auch jetzt, nach dem Desaster der SPD bei der Bundestagswahl, forderte Scholz, inzwischen Bürgermeister und SPD-Vize, einen konsequenten Machtverzicht.