Hamburg. Das Museum Angewandte Kunst verneigt sich mit einer Ausstellung vor der Mode-Ikone. Wir haben mit Jil Sander gesprochen.
Kaum eine andere Designerin hat das modische Frauenbild so sehr geprägt und gewandelt wie Jil Sander. Dank ihr ist der Hosenanzug ebenso selbstverständlich in der Geschäftswelt geworden wie das Kostüm. Für ihre schlichte, coole Eleganz wurde die Kreative, die ihre Karriere in Hamburg begann, auf der ganzen Welt gefeiert. Das Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main zeigt die erste Einzelausstellung einer deutschen Modedesignerin, deren gestalterische Kraft bis in die Gegenwartskunst und Gartengestaltung wirkt. Mit dem Abendblatt sprach die 73-Jährige in einem ihrer seltenen Interviews über Kleidung als Schutz und die Faszination eines weißen T-Shirts.
Wann und wie ist die Idee entstanden, eine Gesamtschau über Ihr kreatives Schaffen im Museum zu zeigen?
Jil Sander: Matthias Wagner K, der Direktor des Museums Angewandte Kunst in Frankfurt, hat nicht aufgegeben, bis ich zugesagt habe. Aber er hatte mit dem Richard-Meier-Bau auch ein schönes modernes Museum zu bieten. Und weil ich in den letzten zwei Jahren mein Archiv gesichtet habe, kamen mir für eine Ausstellung schnell Ideen.
In einem Interview sagten Sie kürzlich, dass Sie bisher nie die Zeit hatten, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Für die Ausstellung haben Sie sich mit Ihrem Team auf Spurensuche begeben. Sind Sie an einigen Stellen nostalgisch geworden?
Sander: Ich neige nicht zur Nostalgie. Wer in der Mode gearbeitet hat, freut sich immer auf den leeren Tisch vor der nächsten Saison.
Mit welcher Vision sind Sie damals, Ende der 60er-Jahre, gestartet? Was wollten Sie für die Mode und für die Frauen erreichen?
Sander: Ich wollte ihnen eine Alternative zu der traditionell weiblichen Mode bieten, in der die Rollen stark definiert sind.
Betrachtet man Ihre einzigartige Karriere, entsteht das Bild einer sehr klaren, zielgerichteten und selbstbewussten Persönlichkeit. Hatten Sie je Zweifel oder das Gefühl, dass die Öffentlichkeit Ihren ästhetischen Ansatz nicht versteht?
Sander: Ich hatte oft Zweifel, aber nicht an meinem ästhetischen Ansatz. Er ist sogar aus dem Wunsch entstanden, meine Unsicherheit als junge Frau in einer vorwiegend männlichen Geschäftswelt zu beheben. Ich habe Kleidung entworfen, die mich schützt, als Unternehmerin aufbaut und energetisiert.
Den Titel „Queen Of Less“ haben Ihnen die Medien im Laufe Ihrer Karriere verpasst. Hat es Sie auch mal genervt, im wahrsten Sinne des Wortes so reduziert zu werden?
Sander: Schlagwörter haben es ja an sich zu überzeichnen. Aber sie bringen auch Dinge auf den Punkt. Ich habe schon reduziert, das Dekor vor allem. Aber in der Materialentwicklung, den Schnittdetails und der Ausführung herrschte Opulenz.
Was denken Sie, wenn Sie sich das heutige Straßenbild mit der Dominanz von Sneakers, Jeans und Sportbekleidung, vor allem bei jungen Leuten, ansehen?
Sander: Ich verstehe das Bedürfnis, sich nicht mehrmals täglich umziehen zu wollen, wie es noch Anfang der 60er-Jahre für bessergestellte Frauen üblich war. Die Entspannung des Dresscodes hat viele vernünftige Vorteile gebracht. Was ich beklage, ist, dass der heutige Streetstyle häufig so energielos ist, als wolle man in den Kleidern untertauchen.
Finden Sie Mode heute überhaupt noch spannend? Oder gibt es andere Themen, die Sie mehr faszinieren?
Sander: Mich haben immer schon Kunst, Architektur, die Natur und das Reisen interessiert, ganz abgesehen von der Politik, die man heute nicht ignorieren kann. Ich bin froh, dass ich diesen Bereichen jetzt mehr Zeit widmen kann.
Sie sollen noch immer am liebsten Ihre eigene Mode tragen – welche Kleidungsstücke sind Ihnen im Laufe der Zeit besonders ans Herz gewachsen?
Sander: Das weiße Hemd und das weiße T-Shirt. Davon habe ich an die 100 im Schrank, in vielen Variationen.
Ihre Vorliebe für Blau haben Sie mal begründet mit der meditativen und zugleich lebendigen Kraft. Die Farbe spiegele sowohl den Himmel als auch das Meer. Fühlen Sie sich am Meer besonders wohl?
Sander: Ich bin in der Nähe der Ostsee geboren, das hat meine Liebe zum Wasser vielleicht mitgeprägt. Ich empfinde die Elemente überhaupt als sehr erholsam, auch die Wüste, eigentlich alles in der Natur, was sich auf großem Raum entfalten kann.
Wenn Sie an Ihre erste Boutique in Hamburg denken – welche Assoziationen haben Sie dann? Ist Hamburg noch immer Ihr Lebensmittelpunkt, Ihre Heimat?
Sander: Es gibt viele Orte, an denen ich gerne bin, aber Hamburg und die Hamburger kommen meinem eher zurückhaltenden, sehr auf die Sache konzentrierten Naturell am nächsten.
Die Ausstellung trägt den Titel Präsens, zeigt also den Ist-Zustand von Jil Sander. Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Sander: Dass es immer ein starkes Gefühl von Präsens, von Gegenwärtigkeit geben wird.
Jil Sander Präsens, bis 18. Mai 2018, www.museumangewandtekunst.de