Hamburg. Spontantäter sind schwieriger zu stoppen als Terroristen. Warum das so ist, zeigt die Geschichte des Messerstechers von Barmbek.
Der 19-jährige Syrer Yamen A. plante wohl einen schweren Terroranschlag. Sicherheitsbehörden nahmen ihn in dieser Woche fest – und verhinderten damit vermutlich eine Bluttat. Im Fall von Ahmad A. gelang dies nicht. Der 26-jährige Palästinenser hatte drei Monate zuvor in einem Supermarkt in Hamburg-Barmbek einen Kunden erstochen und fünf weitere Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt. Rund 100 Tage nach der Tat hat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Ahmad A. sitzt weiter in Untersuchungshaft.
Die Fälle zeigen Parallelen. Die jungen Araber gehörten offenbar keiner terroristischen Organisation an, sondern radikalisierten sich individuell. Beide kamen als Flüchtlinge nach Deutschland. Und in beiden Fällen wurden die Sicherheitsbehörden frühzeitig auf sie aufmerksam. Yamen A. scheint sich einschlägig betätigt zu haben: Er soll sich Chemikalien und Elektronik beschafft haben, die man zum Bau einer Bombe braucht. Das ermöglichte das Eingreifen der Sicherheitsbehörden.
Früher hätte Ahmad A. gekifft
Ahmad A. radikalisierte sich spätestens 16 Monate vor dem Messerattentat, wie Landeskriminalamts-Chef Frank-Martin Heise im August vor dem Innenausschuss der Bürgerschaft ausführte. Ein ehemaliger Kumpel des späteren Attentäters informierte demnach die Polizei über die seltsame Wandlung seines Bekannten. Früher hätten sie gemeinsam gekifft und Alkohol getrunken, nun lehne er Drogen ab und bekenne sich zum Islamischen Staat, berichtete der kurdische Hinweisgeber. Er mache sich Sorgen, auch wenn Ahmad A. ein Schwächling sei.
Ein gutes halbes Jahr später taucht der Asylbewerber im weißen Gewand eines islamischen Predigers im Flüchtlingscafé der Universität auf. Er habe lautstark auf Arabisch aus einem Buch, vermutlich dem Koran zitiert, und die Café-Besucher gefragt, wie sie glücklich zusammensitzen könnten. „Paris ist bei uns jeden Tag, der Terror wird auch zu euch kommen“, soll er dabei nach Angaben Heises gesagt haben. Zwei Wochen später berichtet die Leitung der Unterkunft in Langenhorn, in der Ahmad A. wohnt, der junge Mann sei verbal aggressiv und religiös auffällig. Er gehe nachts durch das Haus, trommele gegen Zimmertüren und rufe dabei „Allahu Akbar!“.
Akute Gefährdung sei nicht ersichtlich gewesen
Polizei und Verfassungsschutz bemühen sich um Aufklärung, sprechen im Herbst 2016 sogar mit dem Palästinenser. „Herr A. war freundlich, war gut vorbereitet und in Bezug zu seinem Werdegang als Flüchtling auch sehr aufgeschlossen“, berichtet der Leiter des Verfassungsschutzes, Torsten Voß. Nur beim Thema Islam habe er sich sehr emotional gezeigt und sei in Tränen ausgebrochen. Er sei aber keinem schlechten Einfluss ausgesetzt, sondern wünsche sich, Arbeit zu finden und einen Deutschkurs zu machen, habe er beteuert. Ein Zurück nach Gaza gebe es für ihn nicht. Eine Sachbearbeiterin der Polizei vermerkt im Januar 2017 zusammenfassend, dass weder eine akute Gefährdung noch eine Straftat ersichtlich sei.
Dann kommt der 28. Juli, zunächst ein „völlig normaler Tag“ für Ahmad A., wie Polizeipräsident Ralf Martin Meyer vor dem Innenausschuss ausführt. Der Palästinenser geht am Vormittag zur Ausländerbehörde, besucht später einen Deutschkurs und danach die Assahaba-Moschee in Barmbek. Um 14.53 betritt er den Edeka-Markt in der Fuhlsbütteler Straße und kauft ein Toastbrot. Er verlässt das Geschäft und steigt in einen Bus.
50-jähriges Opfer stirbt noch im Laden
Doch bevor der Bus abfährt, steigt er wieder aus und geht in den Supermarkt zurück. Aus einem Regal holt er sich ein Küchenmesser mit einer 20 Zentimeter langen Klinge und sticht unvermittelt mehrfach auf einen Kunden neben ihm ein. Der 50-Jährige stirbt noch im Laden. Der Attentäter geht zur Fleischtheke und verletzt dort einen weiteren Kunden lebensgefährlich.
Nach dem Verlassen des Ladens greift er drei weitere Männer an, eine Frau stürzt er vom Fahrrad. Nach Angaben von Zeugen ruft er dabei „Allahu Akbar!“ Passanten verfolgen den Attentäter und halten ihn davon ab, weitere Menschen zu verletzen. Schließlich nehmen ihn Zivilpolizisten nach mehreren Warnschüssen fest.
„Am Tattag hat er sich bis circa eine Stunde vor der Tat in der Wahrnehmung Außenstehender völlig normal verhalten“ – so gibt Meyer die Einschätzung der Bundesanwaltschaft wieder. Erst an jenem Tag habe er sich entschlossen, ein Attentat zu begehen. Er habe gehofft, dabei als „Märtyrer“ zu sterben, sagte er bei der Karlsruher Behörde aus. Der Polizeipräsident räumt Fehler der Behörden ein, kommt aber zu dem Ergebnis: „Dabei ist festzustellen, dass ein Ausschluss einer solch spontanen Tat kaum möglich ist.“