Hamburg. Nach dem Messermord in einem Edeka-Markt in Barmbek lässt der Weisse Ring die Wohnung des Getöteten räumen.
Auf dem Fichtenholzschrank im Wohnzimmer liegen alte HSV-Tickets und ein paar Bücher. Krimis, Reiseführer, technische Fachliteratur, ein Simmel-Roman: „Auch wenn ich lache, muss ich weinen“, heißt er. Manche Bücher sind noch aufgeschlagen, so als hätte sie jemand eben erst auf den Stapel gelegt, um nur mal kurz aus der Wohnung zu gehen. Doch der Mieter dieser Wohnung in einem der typischen Backsteinbauten in Barmbek kommt nicht mehr zurück: Mathias P., ein 50 Jahre alter Ingenieur, ist tot.
Am 28. Juli, einem ganz normalen Freitagnachmittag, hatte er noch schnell im nahen Edeka-Markt für das Wochenende einkaufen wollen. Und wurde dort bei einem Messerattentat, das weltweit Aufsehen erregte, von einem 26 Jahre alten abgelehnten palästinensischen Asylbewerber mit einem Küchenmesser erstochen, das der Täter zuvor aus dem Supermarkt-Regal gezogen hatte.
Sieben Opfer überlebten
Acht Menschen attackierte der mutmaßliche Islamist Ahmad A., bevor er auf der Straße von mutigen Passanten gestoppt wurde. Sieben Opfer überlebten den plötzlichen Angriff. Mathias P. erlag seinen schweren Verletzungen noch im Supermarkt. „Alles war selbstverständlich. Nur das Ende nicht“, hieß es in der Traueranzeige der Angehörigen, die in Mecklenburg-Vorpommern wohnen. Mathias P. lebte allein in Hamburg. Mit der Haushaltsauflösung beauftragten die Verwandten nun die Opferschutzorganisation Weisser Ring.
An diesem Morgen ist daher Christian Requard mit seinem Unternehmen „Alsterschlepper“ in die Barmbeker Wohnung gekommen, um sie auszuräumen. Vieles ist schon in Kartons verstaut. Ein großes Postpaket mit einem neuen Computer steht noch unverpackt im Schlafzimmer. Auch hier viele Fachbücher, ein großes Luftbild von Fuerteventura.
Barmbek: Messerangriff islamistisch motiviert?
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Überall an den Türen und Schränken sind dunkle Flecken zu sehen: Hier nahm die Polizei Fingerabdrücke, offenbar, um zu sehen, ob es nicht doch schon vorher Kontakte zwischen Täter und Opfer gegeben habe, sagt Requard, der solche Wohnungen schon mehrmals gesehen hat. Er und seine beiden Mitarbeiter, Flüchtlinge aus Syrien, schleppen den schweren Fichtenholzschrank aus der Wohnung, auch Stühle, das Bett, alles aus massivem Holz. Oft kommen solche Möbel nach der Haushaltsauflösungen einfach nur auf den Müll oder werden auf Flohmärkten verscherbelt. Hier ist es anders.
Die Alsterschlepper arbeiten mit sozialen Einrichtungen zusammen, die dann Möbel und Einrichtungsgegenstände gespendet bekommen. In diesem Fall ist das die Stadtteilküche „Pottkieker“. Schränke, Stühle und andere Möbel sollen ausschließlich zwei Frauen erhalten, die nach Jahren in Notunterkünften und Frauenhäusern wieder eine Wohnung gefunden haben.
Kristina Erichsen-Kruse ist stellvertretende Landesvorsitzende des Weissen Rings in Hamburg und weiß, dass dieser andere Weg der Haushaltsauflösung den Angehörigen von Verstorbenen hilft – trotz aller Trauer. Gerade in einem solchen Fall, wenn jemand Opfer eines Verbrechens geworden ist. „Es gibt einem oft ein deutlich besseres Gefühl, wenn man weiß, dass auch bei einem so sinnlosen Tod die hinterlassenen Dinge jemandem zugutekommen“, sagt sie. Das sei ein respektvoller Abschied von solch persönlichen Sachen – die dann eben nicht einfach auf den Müll geworfen werden.
„Sozial und respektvoll“ – so wirbt auch Christian Requard im Internet für sein Unternehmen. Natürlich ist die Arbeit auch Routine, sagt er. Die Geschichte der Menschen, die dort gelebt haben – die wollen er und seine Leute möglichst nicht zu dicht an sich heranlassen. „Job ist Job“, heißt es bei ihnen.
Noch keine Anklage gegen Ahmad A. erhoben
Doch manchmal ist es eben auch anders. Etwa, wenn jemand viele Bilder und besondere Erinnerungen hinterlassen hat – dann komme man dem verstorbenen Bewohner schon näher. Oder eben in einem solchen Fall wie dem Barmbeker Messermord. „Das ist uns schon sehr nahegegangen. Da merkt man, wie schnell und zufällig es einfach aus sein kann“, sagt Requard.
Tatsächlich traf es Mathias P. ganz offensichtlich zufällig, er stand gerade dort, wo Ahmad A. das Messer aus der Verpackung riss und dann unvermittelt und mehrfach auf den Barmbeker Ingenieur einstach. Warum Ahmad A. das tat und ob er möglicherweise Mitglied einer Terrororganisation ist – das wird von der Bundesanwaltschaft noch weiter untersucht.
Asylantrag wurde abgelehnt
Eine Anklage sei noch nicht erhoben worden, die Ermittlungen dauerten an, sagt ein Sprecher der Bundesbehörde in Karlsruhe. Allerdings gehe die Bundesanwaltschaft nach bisherigen Ermittlungen von einem „radikalislamischen Hintergrund“ der Tat aus. Zwei Tage vorher erst habe er sich wohl für eine strenge islamische Lebensweise entschieden und sich dann entschlossen, ein Attentat zu begehen, um als Märtyrer zu sterben.
Der Palästinenser, der in den Vereinigten Arabischen Emiraten geboren wurde, war 2015 als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Seine mögliche Radikalisierung war Hamburger Behörden bekannt, eine Gefahr sah man aber offensichtlich nicht, lediglich psychische Probleme.