Hamburg. Hamburg: Lage in den Vollzugsanstalten der Stadt spitzt sich zu. Zahl der Häftlinge ist seit 2015 um ein Viertel gestiegen.
Der CDU-Justizpolitiker Richard Seelmaecker wählt ein drastisches Bild. „Es ist ein Teufelskreislauf, der dringend durchbrochen werden muss, bevor das Pulverfass explodiert“, sagt der Bürgerschaftsabgeordnete und meint damit die Personalsituation in den Hamburger Gefängnissen.
Die Daten, die zu dieser Lageeinschätzung des Christdemokraten führen, liefert der Senat in seiner Antwort auf eine Große Anfrage der CDU-Fraktion. Danach ist die Zahl der Mitarbeiter des Allgemeinen Vollzugsdienstes, also des Wach- und Betreuungspersonals in den sechs Hamburger Gefängnissen, in den vergangenen zwei Jahren gesunken. Ende Juni 2015 arbeiteten noch 894 Justizvollzugsbeamte in den Strafanstalten, Ende August dieses Jahres waren es nur noch 867 Frauen und Männer.
Weniger Personal trifft auf viel mehr Häftlinge
Der Rückgang gewinnt vor allem dadurch an Brisanz, dass die Zahl der Gefangenen im gleichen Zeitraum um rund 400 oder gut ein Viertel zugenommen hat. Mitte 2015 saßen 1548 Gefangene hinter Gittern, gut zwei Jahre später sind es 1957 Frauen und Männer. „Die Situation wird immer schlimmer, insbesondere für die Bediensteten, aber auch für die Gefangenen“, sagt CDU-Politiker Seelmaecker.
Thomas Wittenburg, Vorsitzender des Landesverbands Hamburgischer Strafvollzugsbediensteter (LVHS), teilt diese Einschätzung. „Wenn ich in den Vollzugsanstalten mit den Mitarbeitern spreche, dann wird schnell klar, dass die Grenze der Belastbarkeit nicht nur erreicht, sondern überschritten ist“, sagt Wittenburg. „Die Kollegen müssen zum Teil für zwei oder drei arbeiten“, sagt Wittenburg.
Besonders in Billwerder sind die Belastungen groß
In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Billwerder seien die Belastungen für die Vollzugsbediensteten besonders gravierend. „Hier gibt es lange Wege zwischen den Hafthäusern, und das Trennungsgebot zwischen weiblichen und männlichen Gefangenen bedeutet eine zusätzliche Herausforderung“, sagt der Gewerkschafter. Vollzugsbeamte müssten zudem häufiger sogenannte Vorführungen von Gefangenen begleiten, weil sich die Zahl der Gerichtstermine deutlich erhöht habe. Wittenburgs Fazit ist eindeutig: „Wenn wir die Anwärter für den Vollzugsdienst nicht hätten, könnten wir den Laden dicht machen.“ 155 Frauen und Männer durchlaufen derzeit in acht Lehrgängen die zweijährige Ausbildung zum Justizvollzugsbeamten.
Rechnerisch gibt es im Allgemeinen Vollzugsdienst laut Senatsantwort 1139,4 Stellen. Allerdings sind 102 Stellen oder neun Prozent davon nicht besetzt. Vor zwei Jahren lag die Vakanzquote noch bei 7,2 Prozent. Und: In dieser Rechnung sind auch 151 Stellen für Krankenpfleger und Werkstattmitarbeiter eingerechnet, die ebenfalls in den Haftanstalten tätig sind.
Mehrarbeit und Fehlzeiten steigen immer weiter an
Die Folgen der gestiegenen Arbeitsbelastung sind am Krankenstand und an den geleisteten Überstunden ablesbar.
Die Fehlzeitenquote der Justizvollzugsbediensteten betrug im Durchschnitt aller Haftanstalten im ersten Halbjahr 13,6 Prozent. Besonders hoch ist der Krankenstand mit 16,3 Prozent in Billwerder und mit 15,7 Prozent in der JVA Fuhlsbüttel. Die Zahl der Langzeiterkrankten (länger als 75 Tage durchgehend) ist mit 63 relativ hoch. Allein in der JVA Billwerder sind 26 Bedienstete über einen langen Zeitraum erkrankt.
Schließlich: Die Anzahl der Mehrarbeitsstunden ist seit Jahresbeginn deutlich angestiegen: von Ende Januar mit 49.946 Stunden auf 58.518 Ende August. Laut Senatsantwort wurden bislang erst 686 Stunden ausgezahlt.
Justizstaatsrätin sieht Hamburg auf dem richtigen Weg
Eine zusätzliche Dramatik gewinnt die Personalsituation dadurch, dass 374 Vollzugsbedienstete bis zum Jahr 2024 in Rente gehen und 173 aus anderen Gründen bis dahin vorzeitig ausscheiden. Die 155 Anwärter, die derzeit in der Ausbildung sind, werden ihre Abschlussprüfung zwischen dem 30. November 2017 und dem 31. August 2018 ablegen.
„Der zusätzliche Personalbedarf kann noch nicht durch unsere Ausbildungsoffensive aufgefangen werden“, sagt Justizstaatsrätin Katja Günther. Allerdings gebe es mittlerweile mehr Zuwächse als Abgänge. „Wir sind also auf einem guten Weg, die Situation zu verbessern“, sagt Günther. „Die Bediensteten in den Justizvollzugsanstalten haben dieses Jahr auch vor dem Hintergrund von G 20 hervorragende Arbeit geleistet. Um die enormen Belastungen und die geleistete Mehrarbeit zu honorieren, werden wir erneut bis zum 31. Mai 2018 die Auszahlung von Überstunden erleichtern.“ Im Mai 2018, sagt die Justizstaatsrätin, würden drei Lehrgänge beendet sein und 62 fertig ausgebildete Nachwuchskräfte die Arbeit in den Anstalten verstärken.
Es gibt Probleme, genügend Nachwuchs zu finden
Die Staatsrätin unterstreicht die Bereitschaft des Senats, pro Jahr bis zu 100 Nachwuchskräfte in fünf Lehrgängen auszubilden. „Wir werben kontinuierlich um neue Auszubildende“, sagt Günther. LVHS-Vorsitzender Wittenburg weist auf das Problem hin, dass nicht genügend geeignete Bewerber gefunden werden. Für Interessenten sei es häufig lukrativer, sich für die Polizei oder die Feuerwehr zu entscheiden. Und der Vollzugsdienst im Nachbarland Schleswig-Holstein biete bessere Einstiegsmöglichkeiten als Hamburg.
„Justizsenator Till Steffen muss erst einmal wieder rechtliche Zustände herstellen“, sagt Seelmaecker. Kein Verständnis habe er dafür, dass Steffen den Bediensteten durch ein Resozialisierungsgesetz „noch mehr Aufgaben aufbürden will, obwohl sie jetzt schon am Stock gehen“. Der Senator müsse die Arbeitsbedingungen in den Haftanstalten dringend verbessern und die Einstellungskriterien überarbeiten. „Andernfalls wird es angesichts der auf uns zuschwappenden Pensionierungswelle, die eher einem Tsunami gleicht, zur Katastrophe kommen“, sagt Seelmaecker.