Hamburg. Oberlandesgericht entlässt Reno G. wegen zu langer Untersuchungshaft. Er war zu acht Jahren Haft verurteilt worden.

Er gilt als hochgradig verdächtig, seine Freundin mit einem Messerstich umgebracht zu haben. Dafür wurde Reno G. im Juni dieses Jahres vom Schwurgericht wegen Totschlags zu acht Jahren Haft verurteilt. Doch jetzt kam der 51-Jährige aus dem Gefängnis frei. Der Grund: Eine Fortdauer der Untersuchungshaft für den Hamburger, dessen Verurteilung noch nicht rechtskräftig ist und der damit weiterhin als unschuldig gilt, sei unverhältnismäßig, entschied das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG).

Mit der Freilassung ist das passiert, wovor in der Justiz seit Jahren gewarnt wird: Weil etliche Kammern sehr stark belastet sind, war befürchtet worden, dass es zu Entlassungen aus der Untersuchungshaft kommen könnte.

Gerade bei den Schwurgerichtskammern, aber auch in anderen Bereichen des Landgerichts, ist in der Vergangenheit eine „Arbeit am Limit“ festgestellt worden. Die Justizbehörde hat darauf reagiert und acht weitere Richterstellen genehmigt; mit drei Stellen konnte zum 1. August dieses Jahres eine vierte Schwurgerichtskammer eingerichtet werden. Doch bis dahin hatten drei solcher Kammern, die speziell für Tötungsdelikte zuständig sind, die Verfahren bewältigen müssen.

„Unsere Maßnahmen zur Entlastung der Justiz sind der richtige Weg“, sagte Marion Klabunde, Sprecherin der Justizbehörde. Seit 2015 werde das Personal an Gerichten und bei der Staatsanwaltschaft kontinuierlich ausgebaut. „Insgesamt haben wir die Justiz bisher um 123 Köpfe verstärkt“, so die Sprecherin. Zugleich gehe es um eine Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, um die Gerichte zu entlasten.

„Die Gerichte stehen bei der Prozessführung zunehmend vor höheren Anforderungen. Hier haben wir auf Bundesebene bereits Vereinfachungen erreicht“, sagte Klabunde. Weitere nötige Veränderungen werde Justizsenator Till Steffen (Grüne) in den anstehenden Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition ansprechen.

Landgerichtspräsidentin versteht Entscheidung nicht

Die Freilassung von Reno G. konnte gleichwohl nicht verhindert werden. Der Mann war angeklagt, seine 49 Jahre alte Freundin am 8. Mai 2016 getötet zu haben. Die Frau starb durch einen Messerstich ins Herz. Der Angeklagte hatte zum Auftakt des Prozesses im Oktober 2016 beteuert, er habe die Frau „über alles geliebt und nicht getötet“. Er hatte aber eingeräumt, ihre Leiche in einem Koffer verstaut zu haben, in dem sie auch gefunden wurde. Das Schwurgericht war am Ende des acht Monate dauernden Prozesses von der Schuld des Angeklagten überzeugt und verhängte acht Jahre Freiheitsstrafe.

Die Verteidigung legte Revision ein. Damit ist die Entscheidung bis heute nicht rechtskräftig. Gegen einen weiteren Vollzug der Untersuchungshaft legte Reno G. schließlich Beschwerde ein. Das Oberlandesgericht hatte darüber zu entscheiden, ob eine Fortdauer der Untersuchungshaft noch verhältnismäßig ist. Dabei muss das Freiheitsrecht des Verdächtigen gegen das Interesse des Staates an der Strafverfolgung abgewogen werden.

Laut Rechtsprechung darf eine Untersuchungshaft nicht länger dauern als nötig. „Nach Auffassung des 2. Strafsenats des OLG sind im bisherigen Verfahren solche Verzögerungen eingetreten, die es unverhältnismäßig machen, dass der Angeklagte weiter in Untersuchungshaft bleiben muss“, sagte Gerichtssprecher Kai Wantzen auf Abendblatt-Anfrage.

„Ich verstehe die Entscheidung des OLG im Ergebnis nicht“, sagte Land­gerichtspräsidentin Sibylle Umlauf. „Die Kammer hat unter Aufbietung aller Kräfte über Monate vier bis fünf Verhandlungstage in der Woche abgehalten. Mehr geht nicht. Die Entscheidung des OLG, den Mann vorzeitig aus der Haft zu entlassen, ist für mich – auch bei unzureichender Personalausstattung des Landgerichts – schwer nachvollziehbar.“

Zügiges Verfahren war nicht möglich

Laut OLG sind die 25 Verhandlungstage des Prozesses nicht so terminiert worden, wie es für ein zügiges Verfahren erforderlich wäre, zudem sei an manchen Tagen nur kurz verhandelt worden. Insbesondere von Januar bis zur Urteilsverkündung im Juni habe oft weniger als einmal pro Woche ein Verhandlungstermin stattgefunden, was sonst als Minimum angesehen wird.

„Die zuständige Kammer hatte neben dem Verfahren gegen den 51-Jährigen im selben Zeitraum fünf weitere Verfahren, davon in vier Haftsachen, zu verhandeln“, sagte Gerichtssprecher Wantzen. Im fraglichen Zeitraum habe die Kammer fast 130 weitere Hauptverhandlungstermine gehabt. Nach Auffassung des OLG sei es Sache des Staates, „derartige, nicht nur vorübergehend bestehende Engpässe“ durch eine angemessene Ausstattung der Gerichte zu vermeiden.

Schon im Mai 2015 waren zwei wegen Totschlags verurteilte Männer, deren Urteil noch nicht rechtskräftig war, aus der Untersuchungshaft freigekommen. Die Begründung war ähnlich wie in dem jetzt entschiedenen Fall. Auch hier war nach Überzeugung des Oberlandesgerichts eine Fortdauer der Untersuchungshaft unverhältnismäßig, weil Verfahrensverzögerungen vermeidbar gewesen seien.