Hamburg. Henning Gebhardt wird auch “Mr. Aktie“ genannt. Der Hamburger Fondsmanager über Fehler, Renditechancen und Risiken an der Börse.

Der Wechsel hat in der Finanzbranche großes Aufsehen erregt: Zum Jahresanfang kam Henning Gebhardt, der frühere Leiter des globalen Aktiengeschäfts der Deutsche-Bank-Tochter DWS, zum Hamburger Privatbankhaus Berenberg. Der Star-Fondsmanager, wegen seiner bevorzugten Anlageklasse „Mr. Aktie“ genannt, soll hier das Geschäft mit Publikumsfonds voranbringen. Über sie können auch Sparer ohne großes Vermögen in Produkte des Hamburger Privatbankhauses investieren. Das Abendblatt sprach mit dem 50 Jahre alten Manager über seine Anlagestrategie und seine neue Aufgabe bei Berenberg.

Hamburger Abendblatt: Sie beschäftigen sich schon seit vielen Jahren mit der Geldanlage in Aktien. Haben Sie eine Erklärung, warum die Deutschen so risikoscheu sind und viele den Aktienmarkt möglichst meiden wollen?

Henning Gebhardt: Offenbar gehört eine gewisse Risikoabneigung zur deutschen Mentalität. Hinzu kommt: Gerade als man in Deutschland gegen Ende der 90er-Jahre begonnen hatte, sich doch etwas mehr für Aktien zu interessieren, kam es kurze Zeit später zum Zusammenbruch des Neuen Marktes, zudem verlor die Telekom-Aktie drastisch an Wert. Das steckt den Menschen immer noch in den Knochen. Auch deshalb setzen die Deutschen in der Altersvorsorge sehr stark auf Garantien. Die kosten aber immer Geld und gehen zulasten der Rendite. Dabei steht außer Frage, dass man am Aktienmarkt über längere Anlagezeiträume gute Renditen erzielt.

Was heißt das konkret?

Gebhardt: Mit sechs bis acht Prozent jährlicher Rendite kann man langfristig rechnen. Das entspricht auch dem durchschnittlichen Gewinnzuwachs der Firmen.

Bankenunabhängige Finanzexperten empfehlen Privatanlegern immer wieder, über Indexfonds in den Aktienmarkt zu investieren und das Geld nicht in Fonds zu stecken, bei denen ein aktives Management die Titel auswählt und dafür teils kräftige Verwaltungsgebühren kassiert. Tatsächlich zeigen Statistiken, dass es kaum einem dieser Fondsmanager gelingt, auf Dauer besser abzuschneiden als der Gesamtmarkt. Ist Ihr Berufsstand also eigentlich überflüssig?

Gebhardt: Wie Sie sich denken können, teile ich diese Auffassung nicht ganz. Auch einige Kollegen von mir beweisen, dass man den Index schlagen kann. Das schaffen wir vielleicht nicht in jedem Jahr, aber durchaus stabil immer wieder.

Aber selbst die amerikanische Investorenlegende Warren Buffett rät Privatanlegern zu einem Indexfonds.

Gebhardt: Das wundert mich auch. Schließlich ist er selbst ja der beste Beweis, dass man mit sorgfältiger Auswahl der Unternehmen, in die man investiert, über lange Zeit eine sehr deutliche überdurchschnittliche Wertsteigerung erzielt. Seine Aussage bezog sich aber vor allem auf die amerikanischen Aktienmärkte, die anders strukturiert sind. Allerdings ist es in guten Börsenphasen – wie wir sie in den zurückliegenden Jahren hatten – generell schwieriger, sich positiv vom Gesamtmarkt abzuheben.

Woran erkennen Sie die „Gewinner-Aktien“, die das ermöglichen?

Gebhardt: Ich orientiere mich dazu gern an langfristigen, strukturellen Wachstumstrends und suche nach den Unternehmen, die davon profitieren. Ein solcher Trend ist die Überalterung der Gesellschaft. Pharmakonzerne könnten die Gewinner sein. Ein anderes Beispiel ist die „Industrie 4.0“, die künftig Logistiker und Softwareanbieter zusammenbringt. Solche Megatrends kann man auch als Laie erkennen und Schlüsse daraus ziehen.

Welche Fehler sollte ein Privataktionär unbedingt vermeiden?

Gebhardt: Der größte Fehler besteht darin, sich von Emotionen treiben zu lassen. Viele Anleger verkaufen zu früh, wenn es mit dem Kurs aufwärtsgeht. Man sollte seine Gewinner behalten und die Verlierer verkaufen. Denken Sie etwa an Versorger wie RWE, die an der Börse über Jahre schlecht liefen. Gegen solche Trends kann man sich nicht stellen. Und noch eines: Schauen Sie nicht jeden Tag auf den Kurszettel.

Sie haben davon gesprochen, dass Sie sich gern an Langfristtrends halten. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang Internet-Aktien? Die schießen schnell hoch, können aber auch wieder steil abstürzen.

Gebhardt: Es gibt Titel wie Amazon, die seit 20 Jahren an der Börse sind und sich insgesamt sehr gut entwickelt haben. Auch United Internet mit einer fast ebenso langen wie bewegten Börsengeschichte ist noch da. Die Geschäftsmodelle vieler Firmen am Neuen Markt waren nicht wirklich ausgegoren. Die jüngeren Unternehmen der zweiten Internet-Welle sind deutlich robuster aufgestellt – denken Sie etwa an Zalando.

Ihr Chef Hendrik Riehmer wurde kürzlich im „Manager Magazin“ mit einer erstaunlichen Aussage zitiert: Die nächste Rezession werde im Herbst 2019 kommen und wieder von den USA ausgehen. Können Sie uns vielleicht sogar den Tag angeben?

Gebhardt: Nein, leider nicht. Aber ein Szenario, wonach wir noch etwa zwei Jahre lang stabiles Wirtschaftswachstum haben werden, erscheint tatsächlich nicht unrealistisch. Das Umfeld ist recht stabil, nachdem sich in Europa einige Volkswirtschaften deutlich erholt haben. Das gilt auch für Frankreich, was viele aber nicht wahrnehmen.

Der Deutsche Aktien-Index (DAX) hat in allen der zurückliegenden fünf Jahre zugelegt. Ist eine so lange Reihe guter Jahre an Börsen nicht ungewöhnlich?

Gebhardt: Es ist eine der bisher längsten Kurssteigerungsphasen, aber auch in den 1980er-Jahren, also vor der Einführung des DAX, gab es so etwas schon einmal.

Ist es für Kleinanleger trotz des derzeitigen Höhenflugs beim DAX zu empfehlen, jetzt noch Aktien zu kaufen?

Gebhardt: Ich sehe weder Blasen noch eine übertriebene Euphorie an den Börsen. Die wirtschaftlichen Aussichten für Europa sind bestens, und auch in den USA könnte die von Präsident Trump angekündigte Steuersenkung der Wirtschaft noch einmal neuen Schwung verleihen. Trotz der jüngst markierten Höchststände bekannter Aktienindizes ist es für langfristig orientierte Anleger weiter sinnvoll, in Aktien beziehungsweise Aktienfonds zu investieren. Der Anlagehorizont sollte jedoch mehrere Jahre umfassen, in denen das Kapital nicht benötigt wird. Und der Anleger muss bereit sein, Verluste mindestens temporär auszuhalten. Grundsätzlich empfiehlt sich für Kleinanleger das regelmäßige Sparen in einem gut diversifizierten Aktienportfolio, da so die Schwierigkeit des richtigen Investitionszeitpunkts ausgeglichen wird.

Was könnte den Aufwärtstrend der Börsen denn beenden?

Gebhardt: Grundsätzlich eine Rezession, die in der Regel von steigenden Zinsen ausgeht. Auch die Digitalisierung könnte negative Auswirkungen auf viele Einzeltitel haben.

Welche Branchen wären denn negativ von der Digitalisierung betroffen?

Gebhardt: Potenziell eigentlich fast alle. Die Tendenz zum autonomen Fahren würde sich im Transportsektor auswirken. Aber auch Sachbearbeiter bei Versicherungen könnten allmählich durch künstliche Intelligenz ersetzt werden.

Was ist mit dem Ende der Niedrigzinsen, die womöglich die Aktienkurse aufgebläht haben?

Gebhardt: Es stimmt, dass die Bewertungen gestiegen sind und sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis der DAX-Titel, das derzeit etwa bei 15 liegt, leicht oberhalb des langfristigen Durchschnitts bewegt. Aber das ist nicht dramatisch, die Märkte sind nicht völlig überteuert. Außerdem deutet nicht viel darauf hin, dass wir so bald ein völlig anderes Zinsumfeld bekommen.

Bei Ihrem früheren Arbeitgeber, der Deutsche-Bank-Tochter DWS, waren Sie für ein Fondsvolumen von 100 Milliarden Euro verantwortlich. Berenberg verwaltet insgesamt etwa 40 Milliarden Euro, Publikumsfonds machen aber nur einen sehr kleinen Teil aus. Verdienen Sie jetzt viel weniger Geld als zuvor?

Gebhardt: Sie werden verstehen, dass ich Ihnen diese Frage nicht beantworten werde (lacht).

Warum sind Sie nach 20 Jahren bei der DWS zu Berenberg gewechselt?

Gebhardt: Was ich hier schätze, sind neben der Kundennähe und dem tollen Team die kurzen Wege sowie die Fähigkeit zu schnellen Entscheidungen. Bei Berenberg kann ich sehr unternehmerisch agieren.

Bisher gibt es bei Berenberg etwa 20 Publikumsfonds mit einem Volumen von rund 2,5 Milliarden Euro. Was ist unter Ihrer Leitung nun geplant?

Gebhardt: Anfang Oktober haben wir vier neue Aktienfonds auf den Markt gebracht – und wir wollen das verwaltete Vermögen deutlich steigern. Der Berenberg Aktien-Strategie Deutschland hat sein Volumen, seit ich ihn Mitte Juni übernommen habe, mehr als versechsfacht.

Bedeutet der Ausbau des Geschäfts auch mehr Arbeitsplätze?

Gebhardt: Ja. Wir erhöhen zum Beispiel die Zahl der Fondsmanager im Aktienbereich von drei auf elf, darunter ist mit Matthias Born von Allianz Global Investors ein weiterer sehr renommierter Kollege. Und Berenberg wächst natürlich auch insgesamt. Allein in Hamburg hat sich die Mitarbeiterzahl seit Anfang 2016 um 126 auf 887 erhöht.

Wie kann man als Anleger ohne Millionenvermögen in die Berenberg-Produkte investieren?

Gebhardt: Prinzipiell sind unsere Publikumsfonds bei allen Banken erhältlich – wenn man danach fragt.