Hamburg. Der 49-Jährige entscheidet in Hamburg beim Amtsgericht seit mehr als acht Jahren über alle Strafsachen mit Bezug zur Schifffahrt.

Schlepperballett, Einlaufparade, prächtige Dreimaster, die Hamburg ansteuern, und dazu jede Menge großer und kleiner Schiffe, die sich auf der Elbe tummeln: Beim Hafengeburtstag wird es traditionell eher eng auf Hamburgs großem Strom – manchmal zu eng. So wie bei dem ehemaligen Feuerschiff, das im Jahr 2008 bei einem Ablegemanöver erst gegen eine Fregatte trieb, dann mit der Strömung gegen ein Polizeiboot gedrückt wurde und dort einen Sachschaden von gut 7500 Euro verursachte. Schlimmer waren die Folgen an dem ehemaligen Feuerschiff selbst: Achtern wurden die hölzernen Aufbauten auf mehreren Metern eingedrückt und teilweise aufgerissen – sehr zum Erstaunen der Gäste an Bord, die, noch mit Sektgläsern in der Hand und in Feierlaune, plötzlich im Freien standen.

„Jeder Hafengeburtstag bringt mir mindestens ein Verfahren“, erzählt Amtsrichter Arno Lehmann. „Wobei es eigentlich erstaunlich ist, dass es bei der Masse der Schiffe nicht mehr Kollisionen gibt.“ Seit mehr als acht Jahren ist Lehmann, der eine Wirtschaftsabteilung leitet, als einziger Richter am Amtsgericht zuständig für alle Strafverfahren mit Bezug zur Schifffahrt, also beispielsweise bei Alkoholfahrten, bei Zusammenstößen und Gewässerverunreinigungen. Das „Revier“ des 49-Jährigen ist nicht nur der Hamburger Hafen, sondern beispielsweise auch der Nord-Ostse-Kanal und der Elbe-Seitenkanal bis zur Einmündung in den Mittellandkanal. Das ist im Staatsvertrag zwischen Hamburg, Niedersachsen, Bremen und Schleswig-Holstein über die gerichtliche Zuständigkeit in Binnenschifffahrtssachen geregelt.

Wehrdienst auf einem U-Boot-Versorger

In Eckernförde aufgewachsen, war Lehmann schon als Kind mit großen und kleinen Gewässern vertraut, er verfügt über mehrere Segelscheine und war in seiner Wehrpflichtzeit bei der Marine, als Schiffstechniker auf einem U-Boot-Versorger. „Ich habe also schon mal ein Schiff und einen Motorraum von innen gesehen. Es ist hilfreich zu wissen, wie das dem Grunde nach funktioniert.“

Schiffskollisionen beschäftigen den Juristen, der vor seiner Richtertätigkeit bei der Staatsanwaltschaft war, immer wieder. Da gab es beispielsweise den Zusammenstoß zwischen zwei Schiffen, bei dem eins mit seinem Buganker die Seite des anderen aufschlitzte. Es war ein Tanker. Viel Öl lief in die Elbe. „Da ist es schwer festzustellen: Wer hat was falsch gemacht?“ Wenn weder Funkverkehr noch Radaraufzeichnungen vorliegen, helfen oft Sachverständigen-Gutachten weiter. Aber kaum ein Gutachten ohne Gegengutachten. Das macht die Verfahren mitunter sehr aufwendig und langwierig.

Alles ist ständig im Fluss

„Das Problem auf dem Wasser im Gegensatz zur Straße: Es herrschen Strömung und Wind“, erklärt Lehmann. „Und wenn ein Schiff erst mal treibt, treibt es. Alles ist ständig im Fluss. Man kann nicht sagen: Ich trete auf die Bremse, und sofort steht alles. Wenn man ein Manöver falsch ansetzt, ist oft nichts mehr zu retten.“ Deshalb müsse ein Schiffsführer stets vorausplanen und vernünftig entscheiden. Ein übliches Szenario: Ein großes Schiff kündigt an, dass es aus einem Hafenbecken herausgefahren wird.

„Wenn man im Nebenbecken ist, bleibt man besser erst mal dort, wenn der Dicke kommt. Entscheidend ist, dass das Manöver koordiniert wird“, erklärt der Amtsrichter. In manchen Fällen werde die Elbe auch abgesperrt, wenn etwa ein Containerriese das ganze Fahrwasser braucht. Wenn er über Schiffskollisionen verhandelt und die Schuldfrage ergründet, sagt der Jurist, könne er sich natürlich nicht etwa auf Bremsspuren berufen, wie es im Straßenverkehr möglich ist. „Mit der nächsten Welle ist alles anders. Und Schiffe haben keine Blackboxes.“

Funkverkehr wird aufgezeichnet

Um eine Kollision ging es zum Beispiel auch in dem Verfahren um den mehr als 160 Meter langen Schubverband „Paula“, der im Dezember 2014 die Autobahnbrücke der A 1 gerammt hatte. Die Brücke war monatelang gesperrt, der Schaden betrug gut drei Millionen Euro. Der Strafprozess gegen den Kapitän des Schubverbandes, der nach Überzeugung des Gerichts zwar Fehler gemacht, aber nur eine relativ geringe Schuld hatte, wurde schließlich gegen 2000 Euro eingestellt. Der 75 Jahre alte Lotse, der ebenfalls angeklagt war und den zur Überzeugung des Gerichts die Hauptschuld traf, konnte sich noch nicht einmal an sein eigenes Alter erinnern oder wie er zum Gericht gekommen war. „Ich bin aus allen Wolken gefallen“, erinnert sich Lehmann. Der Prozess gegen den Lotsen wurde ausgesetzt. Ein ärztliches Gutachten ergab später, dass der 75-Jährige dauerhaft verhandlungsunfähig ist.

Was für die strafrechtliche Aufarbeitung von Verfahren von großem Wert ist: Im Hamburger Hafen wird der komplette Funkverkehr aufgezeichnet, auch die Radaraufzeichnung ist lückenlos. „Anhand des Radarechos kann ich in meinen Verfahren eindeutig nachvollziehen, wo und wie schnell ein Schiff unterwegs war“, sagt Lehmann. Für die Prozesse sind diese Daten wichtige Beweise. Oberhalb und unterhalb des Hamburger Hafens auf der Elbe sowie auf offener See gibt es solche Aufzeichnungen von Funkverkehr und Radar allerdings nicht. „Der Funkverkehr im Hamburger Hafen findet immer noch grundsätzlich auf Deutsch statt, bei Bedarf aber auch auf Englisch.“ Probleme entstünden, so der Jurist, wenn ausländische Binnenschiffer weder die eine noch die andere Sprache beherrschten.

Immer wieder Trunkenheit am Steuer

Als Richter hat Lehmann auch immer wieder mit Trunkenheit am Steuer zu tun. Auf den Gewässern gelten ähnliche Bestimmungen wie im Straßenverkehr. „Was viele nicht wissen: Die Promillegrenzen gelten auch für Sportbootfahrer, das betrifft Motorboote und Segler.“ Wer 0,5 bis 1,0 Promille hat, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Das gelte ausdrücklich auch für Jetskifahrer, Surfer und Kitesurfer. Ab 1,1 Promille besteht für die Lenker motorisierter Fahrzeuge absolute Fahruntüchtigkeit, und der Verstoß stellt eine Straftat dar. Besondere Regeln gelten für die Führer von Barkassen. Diese dürfen aus arbeitsrechtlichen Gründen überhaupt nichts intus haben.

Der Richter erzählt von einem Fall, in dem ein Mann sein Kanu in einer Eigenkonstruktion mit einem Außenbord-Motor ausgestattet hatte und so auf den Alsterkanälen unterwegs war. Als er dies einmal betrunken tat, sein Kanu umkippte und er aus eigener Kraft nicht mehr aus dem kalten Wasser kam, alarmierte ein Anwohner die Feuerwehr, die den Mann aus der Alster rettete. „Ich habe ihn zu einer kleinen Geldstrafe verurteilt. Erstaunlich war: Er war ziemlich uneinsichtig, dass er überhaupt eine Strafe bekam. Ich sagte ihm, er solle froh sein, dass die Feuerwehr ihn aus dem eisigen Wasser gerettet hat. Er hätte auch ertrinken oder erfrieren können.“

Strafverfahren gegen Nautikstudenten

Um Alkohol am Steuer ging es auch in einem Strafverfahren gegen einen Nautikstudenten. Dieser hatte ordentlich gebechert, obwohl er für einen Wachdienst auf einem Schiff eingeteilt war. Nun wollte er eilig zum südlichen Elbufer, um seinen Dienst anzutreten. Kurz entschlossen kletterte er auf eine Barkasse, stieg durch ein Schiebefenster ein und wollte losfahren – und das mit mehr als 1,1 Promille, also absoluter Fahruntüchtigkeit. Unmittelbar nach dem Ablegen kollidierte die Barkasse mit einer Zugangsbrücke der St. Pauli Landungsbrücken. Er bekam schließlich vom Amtsgericht eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu zehn Euro.

Einen noch höheren Alkoholpegel, nämlich gut 1,5 Promille, hatte der Besitzer eines Sportbootes, der nachts ein Motorschiff überholte und dabei mit einem Tempo von etwa 45 km/h auf eine Buhne auffuhr. Nicht nur an seinem Boot entstand dadurch Totalschaden. Vor allem erlitt der Mann beim Aufprall mit dem Kopf auf den Steuerstand etliche schwere Knochenbrüche im Gesicht. Auch er musste sich wegen Alkohol am Steuer verantworten und bekam eine Geldstrafe. Nicht zuständig ist Richter Lehmann für die Frage, ob Bootsführerscheine oder Patente entzogen werden sollen. „Das macht die Schifffahrtsbehörde. Die wird von uns informiert.“

Qualvoller Tod eines Schiffsbetriebsoffiziers

Dramatisch war der Fall eines Schiffsbetriebsoffiziers, der auf einem Containermotorschiff versehentlich im Spülluftkanal eingeschlossen wurde. Dieses mehr als 16 Meter lange Rohr mit einem Durchmesser von knapp einem 1,70 Meter ist Teil des Schiffsmotors. Nach Abschluss einer Inspektion war der Schiffsoffizier erneut in den Kanal gestiegen, unbemerkt von der Crew. Später wurde nach dem vermissten Besatzungsmitglied gesucht, aber versäumt, noch einmal in dem Rohr nachzusehen. Tatsächlich war der Mann dort durch die automatisch nach innen schließenden Türen eingesperrt – und starb bei der dort herrschenden Temperatur von 42 Grad qualvoll an Überwärmung. Vor Gericht mussten sich schließlich der Kapitän und der Erste Offizier wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Der Kapitän wurde freigesprochen, der Erste Offizier zu einer Geldstrafe verurteilt. Lehmann: „Das war einer der wenigen Fälle, die mir sehr nahegegangen sind, wenn man bedenkt, unter welch grausamen Umständen das Opfer zu Tode gekommen ist.“

Altöl wird nur selten auf See verklappt

Ein Problem, das auch immer wieder die Strafjustiz beschäftigt, sind Gewässerverunreinigungen. „Die häufigsten Taten werden allerdings fahrlässig begangen, bei Bunkervorgängen im Hafen“, erklärt Lehmann – also dann, wenn auf einem Schiff große Mengen Diesel oder Schweröl getankt werden und etwas ausläuft. Der Luftverunreinigung macht sich schuldig, wer zu lange mit Schweröl gefahren ist. Dies ist auf hoher See zwar der übliche Treibstoff, der allerdings einen hohen Schwefel- und Rußgehalt hat. In einer bestimmten Nähe zum Land muss auf den weniger belasteten, aber deutlich teureren Marinediesel umgeschaltet werden. Wenn das versäumt wird, „ist das ein Fall für die Wasserschutzpolizei und dann fürs Gericht“, sagt Lehmann.

Bessere Überwachung zahlt sich aus

Wann Tanks legal gewaschen werden dürfen, ist in „Marpol“ geregelt, einem internationalen Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe. „Man darf außerhalb der Zwölfmeilenzone immer noch sehr viel“, erläutert der Richter. Beispielsweise sei es dort erlaubt, auf einer Fahrt von einem Hafen zum anderen die Tanks zu waschen. Voraussetzung ist eine Geschwindigkeit des Schiffes von mindestens sieben Knoten, eine Wassertiefe von wenigstens 40 Metern – und eben eine Entfernung von mindestens zwölf Seemeilen zum nächsten Land. „Schiffsbesatzungen, die beispielsweise Altöl verklappen oder etwas ins Meer kippen: Die gibt es in meinem Zuständigkeitsbereich heute nur noch relativ selten“, sagt Richter Lehmann. „Da zahlt sich die bessere Überwachung aus.“