Rotherbaum. Neue Regeln für Studierende in Hamburg – Zehn-Punkte-Katalog vorgestellt. Vollverschleierung wird nun reglementiert.
Ein allgemeines Burka-Verbot gibt es auch künftig an der Universität Hamburg nicht. Wie steht es aber mit Verschleierung in Prüfungen oder Gebeten zur Vorlesungszeit? Mit diesen und ähnlichen Fragen sah sich die Leitung der Universität Hamburg zuletzt wiederholt konfrontiert – und handelte. Die Uni regelt nach eigenen Angaben als bundesweit erste Hochschule in einem „Verhaltenskodex zur Religionsausübung an der Universität Hamburg“, wie Studierende im Wissenschaftsbetrieb ihren Glauben leben und ausüben können. Der Kodex wurde gestern von Uni-Präsident Dieter Lenzen und seinen Mitstreitern vorgestellt.
Ein Thema, in dem Konfliktpotenzial stecken könne, aber keineswegs müsse, sagte die Philosophie-Professorin Birgit Recki. Unter ihrer Leitung hatte eine Kommission von zehn Wissenschaftlern den Verhaltenskodex mehrere Monate lang erarbeitet. Beteiligt waren Religionswissenschaftler, Verfassungsjuristen, Psychologen und Vertreter des Studierendenausschusses AStA. Letztere in beratender Funktion, als der Verhaltenskodex im Akademischen Senat vorgestellt und diskutiert wurde. AStA-Vorstand Franziska Hildebrandt sieht den Kodex als „gemeinsame Verständigung für die Uni-Mitglieder, wie wir gemeinsam an der Uni zum Allgemeinwohl arbeiten wollen“. Vertreter der katholischen Hochschulgruppen bedauerten in sozialen Netzwerken, dass man religiöse Hochschulgruppen in den Prozess nicht miteinbezogen habe.
Religiöse Feste nur im „Raum der Stille“
Konflikte, die Anlass für den Kodex geben hätten, habe es immer wieder mal gegeben. So berichtete Recki etwa von organisierten Freitagsgebeten eines salafistischen Predigers in einem Uni-Institut – „ein Akt konfrontativer Religionsausübung“. Oder von „aggressiver Schulmeisterei“ junger Männer, die muslimische Studentinnen dazu bringen wollten, Kopftuch zu tragen. Lenzen führte als Beispiel an, dass ein junger Mann immer wieder mit lauten „Jesus“-Rufen aufgefallen sei.
Was aber bedeutet der Kodex konkret für das Leben an der Uni? Dies wird in einer zehn Punkte umfassenden „Ausführungsbestimmung des Präsidiums“ geklärt. Ein allgemeines Burka-Verbot wird es demnach nicht geben, religiöse Symbole wie das Kreuz, der Davidstern oder spezifische Kopfbedeckungen und andere „religiös motivierte Bekleidung“ sind erlaubt. Eine Vollverschleierung untersagt der neue Verhaltenskodex allerdings, falls diese den Wissenschaftsbetrieb beeinträchtigt. Dazu zählen unter anderem Prüfungen, Labor-Praktika und medizinische Untersuchungen.
Wer aus religiösen Gründen ein Zeugnis nicht aus den Händen einer Frau entgegen nehmen will, müsse auf das Zeugnis verzichten. Fußwaschungen in sanitären Anlagen oder hörbare Gebete in Bibliotheken sollen ebenfalls unterbleiben. Außerdem sollen religiöse Feste nur im eigens vor rund zehn Jahren eingerichteten „Raum der Stille“ begangen werden dürfen. In der Vorweihnachtszeit finden die traditionellen Weihnachtsfeiern der unterschiedlichen Fakultäten zumeist in deren eigenen Räumlichkeiten statt.
Diskriminierung von Frauen will die Uni nicht dulden
Der „Raum der Stille“ ist nach Angaben der Universität nicht nur ein Gebets- und Meditationsraum, sondern auch ein Ort des interreligiösen und interkulturellen Dialogs. Die Diskriminierung von Frauen aus religiösen Gründen will sie in diesem Raum nicht dulden. So ist eine Trennung nach Geschlechtern, wie sie bisher mit einem Vorhang vorgenommen werden konnte, nicht mehr erlaubt. Dies gelte unabhängig davon, so Lenzen, ob die Frauen dies selbst wünschen oder nicht.
Timo (25) studiert Lehramt und meditiert bis zu zweimal wöchentlich in dem „Raum der Stille“. Mittwochs gibt es einen geschützten Termin um 12 Uhr für die traditionelle Meditation des Zen-Buddhismus. „Ich habe bis jetzt nichts erlebt, was mich gestört hätte“, erzählt er. Die meisten Menschen, die zum Beten kämen, seien Muslime. „Die sind sehr respektvoll, und stören sich nicht daran, dass jemand nebenbei meditiert.“ Und die Geschlechtertrennung? „Das ist kulturell geprägt, man sollte es respektieren. Ich habe manchmal das Gefühl, dass muslimische Studierende, die ihre Religion praktizieren, als rückständig betrachtet werden.“
Auch Forderungen, Seminare nach Gebetszeiten auszurichten, hatten Anlass für den Verhaltenskodex gegeben. Die Universität werde sich bei ihrer Veranstaltungsplanung aber nicht von Gebetszeiten leiten lassen, sagte Lenzen. Richtlinie seien die gesetzlichen Sonn- und Feiertagsbestimmungen. „Es ist aber niemandem verboten, den Raum zu verlassen.“ Gespräche mit Islamwissenschaftlern hätten ergeben, sagt Recki, dass nach dem Koran Gebetszeiten bei Bedarf verschoben werden dürften.
Nada macht die Diskussion um den Vorhang zu schaffen. Die 19-jährige Studentin nutzt den „Raum der Stille“ mehrmals täglich. Im Winter, wenn die Sonne früh untergeht, betet die Muslima hier an manchen Tagen fünf mal. Dafür zieht sie sich ein Gebetskleid an und trägt ein Kopftuch. Letzteres benutzt sie nur beim Beten. Als Nada noch Schülerin am Helmut-Schmidt-Gymnasium in Wilhelmsburg war, musste sie zum Beten in den Keller gehen. Umso mehr schätzt sie den Raum an der Uni. Auch der Vorhang sei ihr wichtig. Sie könne sich umziehen, aber auch flüsternd Gespräche mit anderen Frauen führen. „Den Männern ist das nicht so wichtig wie uns“.
Wenn viele Studierende gleichzeitig beten, verteilten sich die Frauen im ganzen Raum, so Nada. Für das Gemeinschaftsgebet am Freitag werde der Vorhang an die Seite geschoben. Im Juni wurde ein Großteil abgerissen, jetzt hängt nur noch ein kleines Stück.