Hamburg. Verschleierte Muslima aus Harburg wird mehrfach Opfer von Übergriffen. Sie wünscht sich mehr Zivilcourage.
Das ganze Puzzle fügte sich gerade zusammen, als es passierte, sagt Alima. Die Familie Ibrahim frühstückt am vorvergangenen Donnerstag in ihrer Wohnung, Alima, ihr Mann, vier Jungs. Kein Krieg mehr, keine Flüchtlingsunterkunft, kein Umziehen, keine Angst. Den schwarzen Schleier um Kopf und Mundpartie legt die Syrerin routiniert an, wie Zähneputzen. Alima geht zum Bus Linie 144 in Harburg. Die Nachrichten hat sie nicht gesehen.
Im Bus gibt es die üblichen Blicke, Getuschel, aber dann sei diese Frau gekommen. Sie stürmt auf Alima zu und pöbelt wild. Irgendetwas, dass sie nicht hergehöre, so versteht es Alima. Die Frau greift nach dem Schleier und entblößt ihr Gesicht. Alima bricht in Tränen aus, weint den ganzen Weg, bis zur Haltestelle ihres Integrationskurses. Einige Tage später kauft Alima nahe dem Phoenix-Center Gemüse ein, eine Kundin stürmt auf sie zu, reißt ihren Schleier herunter, eine Mischung aus Niqab und Hijab.
Das Schlimmste war nicht die Entblößung, nicht die Wut der Fremden, sagt Alima, die eigentlich anders heißt. Besonders schmerzt sie, dass alle Zeugen im Bus und in dem Geschäft einfach weggeschaut hatten. „Ich dachte, die Freiheit gilt für alle. Es kommt doch nicht darauf an, was man trägt, sondern wie man sich verhält.“
Alima will sich in Deutschland integrieren
Alima sitzt mit ihrem Mann auf dem Sofa ihrer Wohnung, der älteste Sohn Mahmood übersetzt. Der Kontakt kam über eine Freiwillige zustande, die der Familie hilft. Das Ehepaar hat einige Tage überlegt, nun wollen sie doch mit dem Abendblatt sprechen. Ihr Sohn hat ihnen nun von der hitzigen Burka-Debatte in den Medien erzählt. „Die Menschen müssen wissen, dass wir uns integrieren wollen“, sagt Alima.
Die Familie Ibrahim kommt aus Damaskus – eine Metropole, die vor dem Krieg fast exakt so viele Einwohner wie Hamburg hatte. Alima entschied sich als Jugendliche für die Verschleierung ihres Haares und ihrer unteren Gesichtshälfte. „Der Koran überlässt Frauen die Wahl. Ich wollte mich vor aufdringlichen Blicken schützen“, sagt Alima. Ihr Mann hat seine Frau mit Schleier kennengelernt. Wenn man fragt, wie viele Jahre sie ein Paar sind, sagen beide auf Deutsch „lange, lange“ und lachen. Alima trägt einen braunen Mantel, der streng an der Schulter zugeknöpft ist. Im Gespräch fällt sie ihrem Mann ungeniert ins Wort.
Schon in ihrer Heimat sah sie auf der Straße täglich andere verschleierte Frauen, aber auch das Gegenteil, dicke Schminke, Miniröcke. Damit hat sie kein Problem. „Warum sollten wir etwas dagegen haben?“, fragt Alima. Der Schleier, das ist der Familie wichtig, „ist keine politische, sondern eine religiöse Entscheidung, die jede Person für sich privat trifft“.
Seit den Vorfällen geht Alima nur noch selten vor die Tür
Nach ihrer Flucht kamen sie vor einem Jahr nach Deutschland, „weil hier Freiheit herrscht, in Hamburg doch besonders“. Alima will wieder als Lehrerin arbeiten, ihr Mann ist Musiker. „Bis vor Kurzem waren alle Menschen, die wir hier getroffen haben, nett und hilfsbereit. Dafür sind wir unendlich dankbar“, sagt er.
Seit den Vorfällen geht Alima nur noch wenig vor die Tür, sagt die Familie. Bus und Bahn meidet sie vollständig, fährt nur noch mit dem Fahrrad zum Integrationskurs. „Es ist schade, dass es meiner Mutter durch Unwissenheit erst schwer gemacht wird, der Gesellschaft etwas zurückzugeben“, sagt ihr Sohn Mahmood.
Auch muslimische Gemeinden berichten davon, dass Anfeindungen häufiger werden. „Die Beleidigungen gegenüber Kopftuchträgerinnen nehmen zu. Solch ein Verhalten ist nun leider salonfähig“, sagt Mustafa Yoldaş, Vorsitzender der Schura, dem Rat muslimischer Gemeinden. Ein Polizeisprecher sagte, der Staatsschutz gehe auch Übergriffen auf Muslima nach, wenn diese aktenkundig würden. „Derzeit gibt es aber keine Häufung.“
Die Familie Ibrahim hat sich in beiden Fällen nicht an die Polizei gewandt. „Wir wollten niemandem Schmerz bereiten“, sagt das Ehepaar. Alima und die Kinder lernen weiter eifrig Deutsch. Sie hoffen, die Vorurteile entkräften zu können, wenn sie dieselbe Sprache sprechen. „Vielleicht können wir dann erklären, warum man nicht wegsehen sollte“, sagt Alima.