Hamburg. Konzernchef Alexander Birken über steigende Umsätze, das Sterben der kleinen Läden und die eigene Antwort auf Alexa von Amazon.

Seit Anfang des Jahres leitet Alexander Birken von Hamburg aus die Otto Group mit seinen rund 50.000 Mitarbeitern. Seine Ziele sind ehrgeizig. Er will nicht nur den Umsatz kräftig steigern und die Zahl der Produkte deutlich erhöhen, sondern auch den Kulturwandel im Unternehmen weiter vorantreiben.

Bei unserem letzten Gespräch im Mai haben Sie gesagt, Veränderungen im Otto-Konzern werden mit Ihnen als Chef immer mehr zur Normalität. Welche Veränderungen hat es denn in Ihren ersten Monaten an der Spitze von Otto bereits gegeben?

Alexander Birken: Veränderungen werden bei uns nicht von der Spitze vorgegeben, sondern entstehen im Miteinander, aus der Organisation heraus. Und hier sind wir auf einem guten Weg. Dieser notwendige Veränderungsprozess hat übrigens nicht mit mir begonnen, sondern er startete bereits mit unserem Kulturwandel 4.0. Die Kollegen vernetzen sich heute über Firmen- und Bereichsgrenzen hinweg anders als früher, tauschen sich intensiver aus. Hierarchien verlieren dabei an Bedeutung, am Ende zählt die bessere Idee. So ist zum Beispiel unser Mietservice Otto Now entstanden, mit dem Kunden sich bei uns Waschmaschinen, Kaffeeautomaten und andere Produkte gegen Entgelt ausleihen können. Oder ein Beispiel aus der Organisation: die Campus-interne Mitfahr-App. Über diese schließen sich Kollegen zusammen und fahren zum Beispiel gemeinsam zur Arbeit.

Umsätze steigen

Sind Sie mit dem Veränderungsprozess bereits zufrieden – oder geht noch mehr?

Birken: Wir stehen erst am Anfang eines spannenden Weges der Veränderung. Aber es hat sich schon viel getan. Das merkt man, wenn Kollegen ein halbes Jahr lang nicht bei uns im Konzern waren – wegen Erziehungszeiten oder weil sie im Ausland waren – und dann zurückkommen. Sie bescheinigen uns einen immensen Kulturwandel, auf den wir auch stolz sein können.

Lassen Sie uns einen Blick auf die erste Hälfte des Geschäftsjahres 2017/18 werfen. Wie hat sich die Otto Group entwickelt?

Birken: Im wichtigen Onlinehandel hatten wir im ersten Halbjahr ein Umsatzplus von zehn Prozent und damit unsere starke Stellung ausgebaut, in der Gesamtgruppe lag das Wachstum bei sieben Prozent – das war mehr, als wir uns vorgenommen hatten, und bestätigt uns in unserer fokussierten Wachstumsstrategie. Wir haben ja als Ziel ausgegeben, 17 Milliarden Euro Umsatz bis zum Jahr 2022 zu erreichen – und darauf bezogen liegen wir im ersten Halbjahr 2017/18 sogar über den Erwartungen. Zudem haben wir bei Otto allein im ersten Halbjahr 200.000 neue Artikel zusätzlich eingeführt – auch hier konnten wir auf dem Weg zu einer Plattform mehr erreichen als gedacht. Herausheben möchte ich unser Mode-Start-up About You – hier konnten wir den Umsatz mehr als verdoppeln.

Wohin geht die Entwicklung bei About You?

Birken: Wir wollen aus About You ein Unternehmen mit einem Milliarden-Umsatz machen. Derzeit sind wir auf einem guten Weg, den Vorjahresumsatz von 135 Millionen Euro im laufenden Geschäftsjahr mehr als zu verdoppeln.

Wie zufrieden sind Sie mit der Ertragssituation im Konzern?

Birken: Wir sind sehr zufrieden und gehen davon aus, dass wir in diesem Geschäftsjahr ein deutlich positives Ergebnis erreichen werden.

Wie wird sich der Umsatz der gesamten Otto Group im Gesamtjahr aus Ihrer Sicht entwickeln?

Birken: Da wir noch ein wichtiges Weihnachtsgeschäft vor uns haben, tue ich mich hier mit Prognosen ein wenig schwer. Aber die steigende Kundenzahl – in Deutschland erreichen wir mit unseren Angeboten jeden zweiten Haushalt – macht mich zuversichtlich.

Anders gefragt: Mit welchem Umsatzplus wären Sie zufrieden?

Birken: Mit jedem Umsatzanstieg von rund sechs Prozent.

Die Welt ist derzeit politisch nicht gerade ruhig. Neben dem Nordkorea-Konflikt schwelt die Türkei-Krise weiter, und nun kommen auch noch die Unabhängigkeits­bestrebungen in Katalonien hinzu. Spüren Sie bereits oder befürchten Sie Auswirkungen auf Ihr Geschäft?

Birken: Unsere Endkundengeschäfte in Spanien und der Türkei sind relativ klein. Deshalb belastet uns dies in der gesamten Gruppe nicht. Allerdings sind diese Entwicklungen nicht gerade ein Grund zur Freude. Denn Bestrebungen wie in Katalonien könnten auch auf andere Regionen in Europa übergreifen. Und wir als Otto Group sind selbstverständlich an einem starken europäischen Staatenbündnis interessiert.

Spüren Sie in Ihrem US-Geschäft das seit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten abgekühlte Verhältnis zwischen den USA und Europa?

Birken: Nein, wir sind mit Crate and Barrel in den USA sehr gut unterwegs. Wir sehen allerdings derzeit durch die starken Hurrikans Beeinträchtigungen. Denn die Menschen kaufen in den betroffenen Regionen selbstverständlich erst mal deutlich weniger ein.

Die Deutschen shoppen immer mehr online, was den Otto-Konzern sicherlich freut, aber gerade bei stationären Händlern zu Problemen führt. Immer mehr alteingesessene Läden müssen schließen oder die teuren Innenstadtlagen verlassen. Auch Hamburg ist davon betroffen – sind Amazon und Otto die Totengräber des stationären Handels?

Birken: Derzeit wird erst jeder zehnte Euro im Onlinehandel umgesetzt. Und selbst wenn dieser Bereich weiter wächst, wird er den stationären Handel nicht überrollen. Die größte Wirkung des Onlinehandels liegt aber darin, dass er das gesamte Einkaufserlebnis neu definiert. Ich denke, jeder stationäre Händler muss sich selbst fragen, wie kann er sich mithilfe der neuen Technologien neu erfinden. Hier sind Kreativität und Innovationen gefragt.

Was heißt das konkret?

Birken: Das fängt bei modernen Zahlungssystemen an, geht über die Nutzung von Virtual Reality bis hin zur Bereitstellung von Tablets für die Kunden in den Geschäften. Die stationären Händler müssen online und offline stärker zusammenführen. Das ist die Zukunft. Die Grenzen zwischen online und offline werden mittelfristig ohnehin verschwinden.

Blutet Ihnen als Konsument nicht selbst das Herz, wenn Sie sehen, dass die Einkaufsstraßen der Innenstädte immer gleich­förmiger werden, weil Traditionsgeschäfte dort verschwinden?

Birken: Natürlich verliert eine Innenstadt an Attraktivität, wenn etablierte Händler dort schließen. Allerdings ist daran nicht primär der Onlinehandel schuld. Das liegt vor allem an den stark gestiegenen Mieten, die von den großen Handelsketten immer weiter in die Höhe getrieben werden. Ohnehin müssen Städte verstärkt darüber nachdenken, wie sie auch in ihren B-Lagen attraktiv für die Kunden bleiben. Hier können zum Beispiel Erlebniswelten mit intelligenten Gastronomie- und Entertainmentkonzepten helfen. Städte wie Leipzig und Wismar haben vorgemacht, wie das funktioniert.

Wäre die Otto Group mit ihrem technischen Know-how im Onlinehandel nicht der ideale Partner für stationäre Händler?

Birken: Wir sind sehr offen für solche Partnerschaften und bekommen auch viele Anfragen. Allerdings muss es für beide Seiten eine Win-win-Situation sein.

Der Anteil der Otto Group am Onlinehandel liegt bundesweit bei 11,1 Prozent, Amazon ist klarer Marktführer mit 18,4 Prozent. Haben Sie den Ansporn, Amazon zu überholen?

Birken: Sagen wir es so: Von den traditionellen Handelsunternehmen sind wir das einzige, das Amazon überhaupt die Stirn bieten kann. Aber es wäre fatal, Amazon lediglich kopieren zu wollen. Wir müssen unseren eigenen Weg gehen. Und auf diesem unseren Weg sind wir derzeit sehr gut unterwegs. Wir haben starke Marken wie Bonprix oder About You. Otto ist eine deutlich femininere Plattform als Amazon, und wir legen deutlich mehr Wert auf persönliche Beratung – und wir werden auch in Zukunft unsere Steuern hier in Deutschland zahlen.

Amazon ist äußerst erfolgreich mit seinen Sprachassistenten Alexa und den dafür entwickelten Audiogeräten Echo. Reagieren Sie auf diese Innovationen, oder betrachten Sie diese letztlich nur als belanglose Spielerei?

Birken: Ganz im Gegenteil. Wir arbeiten über alle unsere Firmen hinweg gemeinsam sehr intensiv an diesem Thema, ich möchte aber heute noch keine Details verraten. Ich bin überzeugt davon, dass das Thema „Steuerung über Sprache“ rasant an Bedeutung gewinnen wird. Die Sprachsteuerung als Ersatz für Tastaturen und Displays wird nicht aufzuhalten sein. Schon heute wird jede fünfte Anfrage über Google via Sprachnachricht gestellt. Überraschend ist dabei, dass nach neuesten Studien gerade die ältere Generation sehr gerne auf Sprachsteuerung zurückgreift.

Arbeiten Sie derzeit eher an Software oder Hardware für Sprachsteuerung?

Birken: Wir machen uns intensiv über beide Themen Gedanken.

Wie könnte die Sprachsteuerung für den Otto-Kunden in der Praxis funktionieren?

Birken: Angenommen, der Kunde hat keine Druckerpatronen mehr. Dann würde er dies Otto via Spracherkennung mitteilen. Eine automatische Stimme würde ihn im Anschluss fragen, welche Patrone er für seinen registrierten Drucker genau haben möchte und ob er vielleicht sogar ein Patronen-Abonnement abschließen will, sodass ihm alle drei Monate das gewünschte Produkt zugesendet wird. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig. Der Kunde muss für solche Zwecke nicht mehr den Computer anschalten, er könnte über Google Home kommunizieren oder in Zukunft vielleicht über einen sprechenden Kühlschrank oder eine Waschmaschine.